Eine junge Frau umarmt eine Ältere. © panthermedia Foto: obencem
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AUDIO: Fachkräftemangel und Pflege (1 Min)

Pflegende Angehörige: Viel Verantwortung, wenig Wertschätzung

Stand: 10.10.2024 15:21 Uhr

84 Prozent der Menschen in Schleswig-Holstein mit einem anerkannten Pflegegrad werden zuhause gepflegt. Die Angehörigen, die diese Aufgabe übernehmen, bekommen dafür aber kaum Geld und Anerkennung, kritisiert unter anderem das Forum Pflegegesellschaft.

von Anne Passow

Menschen, die ihre Angehörigen zuhause pflegen - sie halten das Pflegesystem in Schleswig-Holstein am Laufen, werden aber weder wertgeschätzt noch gut bezahlt. Das war die Kernaussage der Landespressekonferenz zum Thema Pflegende Angehörige in Kiel. 160.000 Menschen, die einen anerkannten Pflegegrad haben, gibt es in Schleswig-Holstein. Das hat Anette Langner, Sprecherin des Forums Pflegegesellschaft und Vorständin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) heute mitgeteilt. 84 Prozent dieser Menschen werden demnach zuhause gepflegt. "Gleichzeitig ist das der Bereich, der am wenigsten politische Unterstützung bekommt", so Langner.

Ambulante Dienste auf dem Land geben oft auf

Die Entscheidung, Angehörige selbst zu pflegen, werde wohl zum einen deshalb getroffen, weil man die Angehörigen weiter eng betreuen wollen würde, zum anderen läge es aber wohl auch an zu wenig Alternativen. "Insbesondere im ländlichen Raum kündigen immer mehr ambulante Dienste den Menschen ihre Unterstützung", sagte Nicole Knudsen, Landesvorstand des Vereins "Wir pflegen SH". So hatte jüngst das Deutsche Rote Kreuz Nordfriesland mitgeteilt, seine 44 Pflegekunden in Friedrichstadt nicht mehr betreuen zu können. Der Grund seien Personalengpässe, hieß es. "Der einzige Grund, warum das Pflegesystem im Land nicht vollends kollabiert, ist, dass pflegende Angehörige das System zu stabilisieren versuchen", so Knudsen. "Es gibt keine grundpflegerische Versorgung." Gleichzeitig könnten sie sich niemals weder mental noch räumlich von ihren Angehörigen, die sie pflegen, distanzieren.

Pflegende Angehörige sind meist Frauen

Die Landespressekonferenz zum Thema Pflegende Angehörige in Kiel. © NDR Foto: NDR
Anke Homann, Nicole Knudsen und Anette Langner fordern, dass das Land Schleswig-Holstein eine Bedarfsplanung in Sachen Pflege macht.

Diese "Care-Arbeit" wird zum großen Teil von den Frauen übernommen. 70 Prozent der pflegenden Angehörigen seien Frauen, so Anke Homann, Vorsitzende des Landesfrauenrates. Der größte Teil dieser Frauen sei zwischen 55 und 64 Jahre alt - und gehe, neben der Pflege, weiter einer anderen Arbeit nach - jedoch nicht Vollzeit. Aber wenn beispielsweise ein ambulanter Pflegedienst kündigt wie in Friedrichstadt, müssten sie ihre Arbeit oft auch ganz aufgeben.

Pflegegeld hilft etwas

Wird eine Person gepflegt, bekommt sie von der Pflegekasse Geld überwiesen und kann dies an den pflegenden Angehörigen weitergeben. Die Höhe des Pflegegelds richtet sich nach dem Grad der Pflegebedürftigkeit. Laut Bundesgesundheitsministerium sind für Pflegegrad 2 insgesamt 332 Euro pro Monat und für Pflegegrad 5 insgesamt 947 Euro pro Monat vorgesehen. Zusätzlich können zum Teil steuerliche Erleichterungen geltend gemacht werden.

Langner fordert Bedarfsplanung für Schleswig-Holstein

Um die Situation pflegender Angehöriger und auch die Situation in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen zu verbessern braucht es laut Langner eine Bedarfsplanung in Schleswig-Holstein. Dafür müsse man sich Einzelprojekte wie Pflege-WGs oder Nachbarschaftsunterstützung angucken um einen Überblick zu bekommen, welche Bereiche gut und welche weniger gut versorgt würden. "Es braucht einen Neuaufschlag der pflegerischen Infrastruktur in Schleswig-Holstein", so Langner.

9.000 zusätzliche Pflegefachkräfte bis 2030 benötigt

Der Fachkräftemangel sei in der ambulanten und auch in der stationären Pflege ein Problem. Teilweise werde der Eindruck vermittelt, man müsse nur junge Menschen motivieren und überlegen, wie man die bestehende Fachkräfte halten könne - und schon sei das Personalproblem gelöst, erklärt Langner. "Das ist aber eine Illusion. Bis 2030 brauchen wir 9.000 zusätzliche Pflegefachkräfte." Mit den aktuellen und nachströmenden Fachkräften sei das nicht zu lösen. "Wir brauchen eine ehrliche und umfassende Bestandsaufnahme", so Langner. "Wir erleben nicht, dass hier in Schleswig-Holstein der Fokus auf strategische Lösungen gelegt wird."

SPD: Fehlen einer Landespflegestrategie ist Skandal

"Es ist ein Skandal, dass die Sozialministerin Touré trotz mehrfacher Ankündigungen bis heute keine Landespflegestrategie vorgelegt hat. So ein Umgang mit den Pflegenden ist völlig inakzeptabel", sagte die pflegepolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Birte Pauls, nach der Landespressekonferenz. Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) räumte in einem Statement ein: "Ohne diese häusliche Komponente wäre eine funktionierende Pflege undenkbar." Sie unterstrich aber auch: "Die Landespflegestrategie ist auf der Zielgeraden und soll zügig umgesetzt werden." Rund 30 Maßnahmen seien entwickelt worden. "Wir brauchen vor allem einen schnelleren und direkten Zugang von Fachkräften, mehr Digitalisierung und eine Verbesserung der Situation für die pflegenden Angehörigen", so Touré.

Um einen Fokus auf die pflegenden Angehörigen zu legen, läuft in Schleswig-Holstein vom 14. bis 20. Oktober die Woche der pflegenden Angehörigen. Geplant sind Veranstaltungen mit Unterstützung- und Beratungsangeboten.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 10.10.2024 | 12:00 Uhr

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Pflege

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