Ein Vierteljahr kein Mathe: Grundschulen im Krisenmodus
Viele Grundschulen im Land sind laut der Gewerkschaft GEW im Krisenmodus. Ein Grund: Zu wenige voll ausgebildete Fachkräfte. Betroffen sind demnach vor allem der Süden des Landes und die Westküste.
Mittwochmittag, 14:10 Uhr - die achtjährige Clara Bach sitzt mit ihrer Mutter am Esszimmertisch in Kölln-Reisiek bei Elmshorn (Kreis Pinneberg) und denkt angestrengt über Matheaufgaben nach. "Mittwoch ist immer unser Mathetag", erzählt die Zweitklässlerin, denn die letzte reguläre Mathematikstunde in der Schule von Clara Bach war vor Weihnachten, liegt mittlerweile also mehr als zwölf Wochen zurück. Ihre Schule ist eine von vielen im Land, an denen aktuell Krisenmodus herrscht.
Wochenlang kein planmäßiger Unterricht in den Hauptfächern, ständige Lehrerwechsel und regelmäßiges Verlagern des Unterrichts auf den Pausenhof. Für Vanessa Bach, die Mutter der Achtjährigen, gehören diese Erzählungen vom Schultag mittlerweile zum Alltag.
Grundschule Kölln-Reisiek: Schulleitung seit 1,5 Jahren krank
Das Problem an der Grundschule in Kölln-Reisiek: Es fehlen mehrere Lehrkräfte und die Schulleiterin ist seit eineinhalb Jahren krank. Am vergangenen Donnerstag (13.3.) mussten zeitweise drei Lehrkräfte die 165 Schülerinnen und Schüler der Grundschule betreuen. Unterricht war so nicht mehr möglich, die Kinder verbrachten mehrere Stunden auf dem Pausenhof.
Vanessa Bach ist selbst Lehrerin an einer weiterführenden Schule und hat deshalb die Kompetenz, um ihrer Tochter den verpassten Unterrichtsstoff beizubringen. Sie sagt, dass die Missstände wie sie aktuell in Kölln-Reisiek auftreten, letztendlich dafür sorgen, dass die Schere zu sozial schwächeren Familien immer weiter auseinanderklaffen wird.
Fachkräftemangel trifft vor allem Süden und Westen des Landes
Die Lage der Grundschule Kölln-Reisiek ist laut der Gewerkschaft GEW und dem Landeselternbeirat kein Einzelfall. Der Fachkräftemangel werde vor allem an den Grundschulen im Süden des Landes und an der Westküste immer mehr zum Problem. Landesweit hatten einem Bericht des Bildungsministeriums zufolge im Schuljahr 2023/24 mehr als 17 Prozent aller Lehrkräfte, die an Grundschulen unterrichten, keine abgeschlossene Lehramtsausbildung.
Können Stellen nicht durch ausgebildete Fachkräfte besetzt werden, kommen immer häufiger Vertretungskräfte wie zum Beispiel Studenten zum Einsatz, erklärt Kerstin Quellmann, Vorsitzende der Gewerkschaft GEW: "Wir haben viele Lehrkräfte, die keine abgeschlossene Lehramtsausbildung haben. Und das führt natürlich zu Problemen in der Ausbildung der Kinder. Wir müssen ganz ehrlich sagen, dass dadurch die Qualität der Bildung absinkt."
Eltern: Schulamt tut zu wenig
Seit November treffen sich die Elternvertreterinnen und Elternvertreter der Grundschule Kölln-Reisiek regelmäßig und versuchen Lösungen für den ausgefallenen bzw. verschobenen Unterricht zu finden. Auch mit dem Schulamt des Kreises Pinneberg hat es mehrere Gespräche gegeben.

In den Augen der Eltern tut das Schulamt zu wenig für eine Verbesserung der Situation. Sie ziehen deshalb mittlerweile auch rechtliche Schritte in Bedacht: "Wenn Kinder unbeaufsichtigt sind, wenn Kinder keinen adäquaten Unterricht bekommen und von Studenten unterrichtet werden, die gar nicht wissen, was sie da wirklich tun, dann ist der Bildungsauftrag nicht erfüllt."
Schulamt: Lehrkräfte nach Kölln-Reisiek versetzt
Das Schulamt des Kreises verweist auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein auf die angespannte Personalsituation im gesamten Schulsystem. Die Grundschule Kölln-Reisiek sei jedoch unter anderem bei der Personalsuche unterstützt worden, sodass mittlerweile zwei zusätzliche Lehrkräfte an die Schule versetzt werden konnten. Ab April soll noch eine weitere dritte Lehrkraft hinzukommen und zum Schuljahreswechsel wird eine weitere vollausgebildete Lehrkraft an die Grundschule versetzt.
Auch dem Bildungsministerium ist die Situation an der Grundschule Kölln-Reisiek bekannt, erklärt ein Sprecher auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein: "Grundsätzlich sind die Schulen derzeit genauso wie die Arbeitsbevölkerung insgesamt von Erkältungskrankheiten betroffen." Auf die Frage wie viele Planstellen an Grundschulen aktuell unbesetzt sind und wie viele Vertretungskräfte (wie beispielsweise Studentinnen und Studenten) aktuell an den Grundschulen im Land beschäftigt sind, hat das Ministerium auch nach mehrmaligem Nachfragen keine Antwort.
Wie sich der Fachkräftemangel in Zukunft auf die Grundschulen auswirkt, ist aktuell noch nicht abzuschätzen. Fest steht, dass die ersten Konsequenzen des fehlenden Personals bereits spürbar sind und das nicht nur in Kölln-Reisiek. Hier soll neues Personal dann spätestens im April für eine Verbesserung der Situation sorgen.
