Wenn ein Konzern Vermögensgegenstände oder sogar ein Tochterunternehmen in den USA hat, darf er in den USA das Chapter-11-Verfahren beantragen. "Das geht ohne Weiteres", sagt Professor Wolf-Georg Ringe, Direktor des Institute of Law & Economics der Universität Hamburg. Northvolt in Schweden hält Anteile an einer Tochtergesellschaft in Nordamerika und kann somit auch das Chapter-11-Verfahren beantragen.
Die Führungskräfte können ihren Job fortführen und es wird kein Insolvenzverwalter eingesetzt. Außerdem können Forderungen der Gläubiger, also Ansprüche der Banken und anderer Investoren, erst einmal zurückgestellt oder später reduziert werden. So hat Northvolt die Möglichkeit, die Finanzen neu zu sortieren, ohne dem Druck der Gläubiger standhalten zu müssen. Nach Informationen von NDR Schleswig-Holstein konnte Northvolt sich zuletzt mit einigen Gläubigern nicht darüber einigen, die Forderungen auszusetzen. Ein Chapter-11-Verfahren kann das Aussetzen der Forderungen zugunsten von Northvolt erzwingen. Dazu sagt Professor Wolf-Georg Ringe: "Das amerikanische Chapter 11 ist sehr schuldnerfreundlich, sehr unternehmensfreundlich."
Neue Kredite werden teurer für Northvolt. Denn für Banken und andere Investoren ist das Chapter 11 ein Warnsignal dafür, dass sie ihr Geld vielleicht nicht zurückbekommen. Deswegen heben sie die Zinsen - und damit die Risikoaufschläge für neues Geld - an.
Die Gläubiger, also die Geldgeber von Northvolt, müssen zustimmen. Allerdings nicht alle. "Die stimmen dann in bestimmten Gruppen ab. Und das Besondere ist, dass nicht alle Gruppen unbedingt zustimmen müssen", erklärt Professor Wolf-Georg Ringe. Ein Insolvenzgericht in den USA muss das am Ende nämlich bestätigen. "Und wenn das Gericht das als fair und angemessen ansieht, dann ist das Verfahren genehmigt", sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Auch, wenn einige Gläubiger versucht haben, das Verfahren mit einer Nein-Stimme zu blockieren.
Das Unternehmensinsolvenzrecht nach Chapter 11 in den USA ist sehr erfolgreich und wird sehr oft angewendet. Es hat laut Professor Wolf-Georg Ringe auch keinen stigmatisierenden Charakter wie ein Insolvenzverfahren in Deutschland. In den meisten Fällen wird das Chapter-11-Verfahren laut Ringe auch erfolgreich abgeschlossen. Oft wird Chapter-11 lange vor einer drohenden Insolvenz schon angewandt, um das Unternehmen wieder auf die Beine stellen zu können.
Noch ist nicht abzusehen, was das konkret für Bau einer Northvolt-Gigafabrik bei Heide (Kreis Dithmarschen) bedeutet. Northvolt hält trotz der wirtschaftlichen Probleme am Weiterbau fest. "Northvolt Germany ist unabhängig von der Muttergesellschaft finanziert und nicht Teil des Chapter 11- Verfahrens", teilte das Unternehmen mit. "Das Einzige, was sich ändern wird, ist die interne Finanzierungsstruktur", meint auch Professor Wolf-Georg Ringe. Er geht davon aus, dass die Refinanzierung konzernweit geschieht. "Indirekt wird das dann auch Auswirkungen auf die deutsche Finanzierung der deutschen Tochtergesellschaft haben", sagt der Wirtschaftswissenschaftler.
Der Bund und das Land Schleswig-Holstein unterstützen den Bau der Batteriefabrik bei Heide mit rund 700 Millionen Euro. Das ist bislang aber nicht der Fall gewesen. "Bisher haben wir keine öffentlichen Fördermittel zur Auszahlung abgerufen und haben entschieden, dies auch während des Chapter 11-Prozesses der Muttergesellschaft nicht zu tun", heißt es von Northvolt. Neben den direkten Fördermitteln erhält Northvolt außerdem eine sogenannte Wandelanleihe. Nach Informationen von NDR Schleswig-Holstein ist ein Teil der 600 Millionen Euro bereits ausgezahlt. Ob und welche Risiken für Bund und Land bestehen, werde "eingehend mit dem Bund besprochen und bewertet", teilte Staatskanzlei-Chef Dirk Schrödter (CDU) mit.
Laut Northvolt sind in Deutschland keine Stellenkürzungen im Zusammenhang mit dem Chapter 11-Verfahren geplant. Auch die Zusammenarbeit mit den Zulieferern soll sich nicht verändern. "Northvolt wird weiterhin alle Verpflichtungen gegenüber Partnern erfüllen und Zahlungen wie gewohnt tätigen", heißt es.
Laut "Financial Times" haben sich die Investoren hinter Northvolt zusammen mit umgerechnet mehr als 14 Milliarden Euro an Northvolt beteiligt. Größter Anteilseigner mit etwa 21 Prozent ist der Volkswagen-Konzern. Volkswagen erklärte lediglich, man stehe mit Northvolt in engem Kontakt. Die Volkswagen-Tochter Scania spielt im Sanierungsverfahren eine wichtige Rolle: Scania stellt Northvolt ein Darlehen in Höhe von 100 Millionen Dollar zur Verfügung. Damit solle die Herstellung von Batteriezellen für E-Fahrzeuge im schwedischen Skellefteå unterstützt werden.
Das Insolvenzrecht gehört zum Bundesrecht in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die USA kennen zwei unterschiedliche Insolvenzverfahren. Diese werden nach den jeweiligen Kapiteln im US-Konkursrecht als Chapter 7 und Chapter 11 bezeichnet. Während das Ziel eines Chapter-7-Verfahrens die Liquidierung eines bankrotten Unternehmens ist, kann man das Verfahren nach Chapter 11 eher als Sanierungsverfahren unter gerichtlicher Aufsicht bezeichnen.