Nordfriesland: So funktioniert Energie-Erzeugung mit Drachen
Ein Unternehmen aus Hamburg setzt in Nordfriesland Drachen zur Energie-Gewinnung ein. Die fliegenden Kraftwerke können keine Windräder ersetzen und füllen dennoch eine Marktlücke.
Energie aus Windkraft - das ist schon seit rund 1.000 Jahren gängige Praxis, denn so lange schon baut der Mensch Windmühlen. An Windenergie im großen Stil haben wir uns längst gewöhnt, dabei wird schnell vergessen, dass Windkraft-Pioniere noch in den 70er-Jahren als weltfremde Tüftler galten. Heutige Windkraft-Turbinen ragen mit ihren riesigen Rotorblättern in Höhen bis zu 250 Metern. Noch weitaus höher steigen riesige Drachen, um aus Höhenwinden Energie zu gewinnen. Dabei ist das Drachenseil an einer Art Dynamo befestigt, der beim Steigen des Drachens Strom erzeugt.
Testfeld in Schleswig-Holstein
Ein Hamburger Entwickler-Team bringt jetzt sein Drachen-System auf den Markt. Die Versuche auf dem Testfeld in Schleswig-Holstein laufen bereits erfolgreich. Dort ist Ingenieur Stephan Wrage im Einsatz - und man könnte ihn glatt beneiden um seinen Job. Er leitet sein Windenergie-Unternehmen Skysails Power eigentlich von Hamburg aus, doch an diesem Morgen steht er auf einem großen Feld in Nordfriesland, unweit der dänischen Grenze, und lässt Drachen steigen. Genauer gesagt ist es Wrages Team aus Techniker*innen, das den Start des rot-weiß gestreiften Fluggeräts von einem Container aus überwacht.
Drehbewegungen erzeugen Strom
Der 40 Kilogramm schwere Drachen aus Hightech-Kunstfaser hat eine Spannweite von 17 Metern, ist 120 Quadratmeter groß und über eine Kunststoffschnur an einer Seilwinde befestigt. Der Start erfolgt Software gesteuert und nicht direkt vom Boden aus. Dabei hängt der Drachen an einem schräg in den Himmel ragenden Stahlmast. Strom produziert das System laut Stephan Wrage dann, wenn der Drachen eine Höhe von rund 200 Metern erreicht hat, gleichzeitig das Verbindungsseil von der Winde am Boden abrollt und dabei die Winde in Drehbewegungen versetzt. Die Drehbewegungen wiederum werden von einem Generator in Strom verwandelt. Ingenieur Wrage erklärt, wie das funktioniert: "Damit der Drachen möglichst viel Kraft hat, fliegt er dabei Figuren, wie eine Acht oder einen Kreis. Das Seil ist bei ungefähr 800 Metern Länge zu Ende. Dann stoppt der Drachen und wird in den Wind reingeflogen. So wird der Drachen mit dem Wind und der Schwerkraft zu 200 Metern Höhe zurückgebracht und dann beginnt dieser Zyklus von vorn."
Hoher Ertrag, wenig Verbrauch
Diese sogenannte zyklische Energie-Erzeugung vergleicht er mit einem Jojo. Und dieses Drachen-Jojo produziert rund 200 Kilowatt. Nur ein Teil der Energie, maximal zehn Prozent, wird benötigt, um den Drachen wieder einzuholen. Die Netto-Leistung reicht folglich aus, um etwa 100 deutsche Durchschnittshaushalte mit Strom zu versorgen. Das klingt zunächst einmal mager: Moderne Windturbinen erreichen immerhin Leistungen von fünf Megawatt und mehr, das 25-Fache also im Vergleich zu dem Skysails-System. Wozu also überhaupt riesige Drachen aufsteigen lassen, um Energie zu erzeugen? Jedenfalls nicht, um mit herkömmlichen Windrädern zu konkurrieren, betont Skysails-Chef Stephan Wrage. Es gehe vielmehr um eine Erweiterung des bestehenden Windkraft-Portfolios: "In der Höhe haben wir zwei, drei Mal mehr Wind als in Erdbodenhöhe. Dieses Mehr an Wind führt zu einer sehr starken Steigerung des Energie-Ertrags. Es gilt da die Formel, dass eine Verdoppelung der Windgeschwindigkeit einer Verachtfachung des Energie-Ertrags entspricht."
Drachen-Systeme können in entlegenen Regionen zum Einsatz kommen
Für die Strom-Produktion sind genau diese Höhenwinde so interessant. Das findet auch Holger Lange. Der Windkraft-Experte von der Hochschule Bremerhaven kann sich Drachen-Systeme wie das von Skysails Power vor allem als mobile "Container-Lösung" abseits großer Siedlungsgebiete vorstellen: "Damit kann an Stellen der Welt Energie erzeugt werden, wo es vielleicht nicht anders möglich wäre oder vielleicht nur mit Diesel-Aggregaten. Da sehe ich hier ganz klar eine Marktlücke, die man hiermit schließen kann. Ich denke da zum Beispiel an Inseln, sehr bergige Regionen oder Dritte-Welt-Länder."
Skysails kooperiert mit RWE
Im laufenden Jahr wird Skysails Power sein erstes kommerziell genutztes Drachen-System auf Mauritius vor der Ostküste Afrikas installieren. Und Ende Januar gab Energieversorger RWE bekannt, dass das Unternehmen einen Kooperationsvertrag mit Skysails Power geschlossen habe: An einem noch nicht genannten Standort will RWE demnach drei Jahre lang die Einsatzmöglichkeiten der Drachen-Technik auch in Deutschland ausloten.
Über die Kosten für eine solche Skysails Anlage ist wenig bekannt, nur soviel: Mit einem sechs- bis siebenstelligen Euro-Betrag müsse kalkuliert werden. Konkreter wird Stephan Wrage, wenn es um die erzeugte Energie geht: "Die Gestehungskosten für eine Kilowattstunde Strom sind etwa 30 bis 50 Prozent günstiger als bei einer klassischen Windkraftanlage. Aktuell liegen wir zwischen fünf und zehn Cent und perspektivisch geht es in Richtung drei Cent." Drei Cent als Zielmarke klingen ambitioniert, sind aber offenbar durchaus machbar - zu dieser Einschätzung jedenfalls gelangte auch die Fraunhofer-Gesellschaft vor einigen Jahren in einer Studie zum Thema Energie aus Höhenwinden.