Nicht nur Kindheitstraum: Mit über 35 als Azubi zur Polizei
Mit 47 noch eine Ausbildung bei der Polizei in Schleswig-Holstein anfangen - das geht inzwischen. Und das nicht nur aufgrund des Fachkräftemangels. Ein Besuch im Ausbildungszentrum in Eutin.

Die Übung läuft seit etwa 20 Minuten, als Ausbilder Sascha Lentz dem Sprayer ein Zeichen gibt. Lentz steht im Hintergrund und hat sich Notizen dazu gemacht, wie die Auszubildenden Maria Schumann, 39 Jahre alt, und Nico Schoknecht, 37 Jahre alt, bislang gehandelt haben. Wie sie den Rollendarsteller gestellt und ihn von seiner Kumpanin getrennt haben, um die sich zwei andere Kollegen kümmern. Wie sie ihn angesprochen haben, sachlich und bestimmt, und wie sie ihn durchsucht haben, nach Personalausweis und möglichen Waffen.
Sascha Lentz hebt im Rücken der Beiden nun seine rechte Hand und formt mit Zeige-, Mittel- und Ringfinger Trippelschritte. Damit will er dem Sprayer eigentlich sagen, dass er zu seiner Kumpanin gehen soll, was er nicht darf. Doch der Sprayer versteht das als ein Zeichen zur Flucht. Er versucht, die beiden Polizei-Anwärter abzulenken, sprintet los und verschwindet hinter einer Hausecke auf dem großen Polizei-Ausbildungsgelände in Eutin. Nico Schoknecht und Maria Schumann verfolgen ihn blitzschnell und bringen ihn nach etwa 50 Metern zu Boden. Legen Handschellen an, führen ihn ab.
Von der Parfümerie auf den Schießstand
Bis vor wenigen Monaten arbeitete Maria Schumann noch hauptberuflich in einer Parfümerie. Die Kielerin ist nicht nur gelernte Einzelhandelskauffrau, sondern auch Restaurantfachfrau. Nico Schoknecht war gut 16 Jahre lang bei der Bundeswehr, bevor er sich bei der Polizei für eine Ausbildung bewarb. Seit August vergangenen Jahres sind die beiden jetzt Polizeiobermeisteranwärter. Mittlerer Dienst, erstes Lehrjahr.
Solche Lebenswege sind bei der Polizei längst nicht nur möglich, sondern auch gewollt. Weil es immer schwieriger wird, ausreichend geeignete Bewerber und Bewerberinnen zu finden, hat sich die Behörde zunehmend auch älteren Menschen geöffnet. "Wir brauchen möglichst viele gute Leute. Und da es macht es wenig Sinn, potenzielle Anwärter auszuschließen, nur weil sie älter als 35 Jahre alt sind", sagt Jürgen Oelbeck, stellvertretender Leiter der Fachinspektion Fort- und Ausbildung in Eutin.
Lebensältere bilden kleine Gruppe unter den Azubis
Doch nicht allein wegen des Fachkräftemangels hat sich die Polizei geöffnet: "Ältere, berufserfahrene Auszubildende bringen viele Fertigkeiten mit, haben oftmals eine hohe Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit", sagt Oelbeck. Gemischte Teams seien im Polizei-Alltag mit den oft sehr unterschiedlichen Einsätzen hilfreich. Trotzdem bilden Frauen und Männer, die bei ihrer Bewerbung 35 Jahre oder älter sind, bislang eine nur kleine Gruppe.
Aktuell absolvieren gerade einmal 36 von ihnen die Ausbildung - bei insgesamt rund 980 Anwärtern und Anwärterinnen in drei Jahrgängen. Für den Ausbildungsbeginn im August 2024 waren unter den rund 2.000 Bewerbern und Bewerberinnen gerade einmal 64 über 35 Jahre alt. "Ich glaube, dass bei vielen Lebensälteren Ängste bestehen vor der doch recht aufwendigen Ausbildung, der vielen Theorie, der körperlichen Anstrengung, der Benotung", sagt Jürgen Oelbeck. Seiner Erfahrung nach schlagen sich Senior-Azubis aber gut - wenn sie die Hürde der Aufnahmeprüfung genommen haben.
Kann ich mir die Ausbildung leisten?
Zum August-Termin im vergangenen Jahr 2024 schafften zwölf der 64 Bewerber und Bewerberinnen die Prüfung. Unter ihnen: Nico Schoknecht und Maria Schumann. Bei ihr war nicht das Auswahlverfahren oder die Angst vor der Ausbildung der Grund, sich so spät zu bewerben. "Bei mir waren das auch finanzielle Gründe", sagt sie. Um sich das Leben, das sich die 39-Jährige aufgebaut hat, weiter halbwegs leisten zu können, bessert sie ihr Ausbildungssalär von etwa 1.460 Euro brutto weiterhin in der Parfümerie auf.
Nico Schoknecht erhält als langjähriger Zeitsoldat hingegen finanzielle Unterstützung von der Bundeswehr. Belastend für ihn ist eher die Abwesenheit von der Familie in Husum: Weil der Weg so lang ist, schläft er unter der Woche auf seiner Stube auf dem Ausbildungsgelände in Eutin, wo die zweieinhalbjährige Ausbildung im mittleren Dienst vorwiegend stattfindet. Theoretisch ist die Anwesenheit dort für alle sogar Pflicht, praktisch wird sie allerdings nicht mehr überprüft, weshalb Maria Schumann täglich zwischen Kiel und Eutin pendelt.
Lange Ausbildungstage
Die Ausbildungstage sind oft lang. An diesem Montag steht "Selbstverteidigung im Einsatz" auf dem Plan, Schießtraining, theoretischer Unterricht in Kriminalistik und die Einsatzübung mit dem Sprayer. "Die Tage können sehr anspruchsvoll sein, aber es macht Spaß", sagt Nico Schoknecht. In seinem vorherigen Beruf habe er viel im Büro gesessen, deshalb sei der viele Sport zunächst eine Herausforderung gewesen.
Die Ausbilder legen an ihn und Maria Schumann dieselben Maßstäbe an wie an die Jüngeren - in der Ausbildung genau wie bei den Auswahltests. "Wir machen da keine Unterschiede", erklärt Fachlehrer und Einsatztrainer Sascha Lentz. Auch starten ältere und berufserfahrene Absolventen in derselben Stufe in den Beruf wie jüngere - für eine große Karriere reicht die verbleibende Zeit bei der Polizei damit kaum. Nach der Ausbildung geht es meist in den sogenannten Einzeldienst, also auf eine Polizeidienststelle, oft im Schichtdienst.
Polizei - ein Dienstleistungsberuf?
Gut zwei Jahre dauert die Ausbildung bei Nico Schoknecht und Maria Schumann noch. Beide freuen sich darauf, danach in den sogenannten Einzeldienst zu gehen, also auf einer Polizeistation zu arbeiten: Vor Ort, auf Streife zu sein, nah bei den Menschen. Dass ihr Weg in den Polizeiberuf vielleicht länger war als der von Nico Schoknecht, sieht Maria Schumann deshalb auch nicht: "Die Arbeit im Restaurant und im Einzelhandel ist wahnsinnig kommunikativ - und das ist der Job bei der Polizei auch", sagt sie. "Außerdem finde ich, dass alle drei Berufe mit Dienstleistung zu tun haben."
