Mehr Teilhabe: Schulungen sollen Senioren digitaler machen
Wer mit der Digitalisierung Schritt halten will, braucht oft ein Smartphone mit Internetzugang. Das ist bei älteren Menschen nicht immer der Fall - entweder fehlt das Gerät oder der Umgang fällt schwer. Initiativen von Land und Vereinen sollen Ausgrenzung vermeiden.
Ein Smartphone in der Hand zu halten, fühlte sich für Elsbe Rehder vor einiger Zeit noch ungewohnt an. Die Enkelkinder hätten der 86-Jährigen schon des Öfteren versucht, ihr das Gerät näher zu bringen. Doch das sei ihr oft zu schnell gewesen, sagt sie. Vieles habe sie kurz danach wieder vergessen. Doch sie will den Umgang lernen und nimmt an einem Smartphone-Kurs für Senioren teil.
Von der Welt ausgeschlossen
Mit rund zehn anderen Senioren trifft sie sich regelmäßig im Gemeindehaus von Aukrug (Kreis Rendsburg-Eckernförde), um gemeinsam den Umgang mit den Geräten zu lernen. Hier kann Elsbe Rehder vieles wiederholen und unbekümmert Nachfragen stellen. Und je mehr sie das Smartphone nutze, sagt sie, desto mehr öffneten sich ihr Perspektiven, die das Gerät und das Internet ermöglichen würden. So schreibt sie mittlerweile Nachrichten per WhatsApp, verschickt Bilder an Freunde und bleibt mit den Enkelkindern im Kontakt. "Ohne Smartphone möchte ich gar nicht mehr sein", sagt sie, denn dann würde sie sich von der Welt ausgeschlossen fühlen.
Mit der Hilfe digitaler Patinnen
Angeleitet werden die Teilnehmenden - meist Seniorinnen und Senioren im Alter von 70 und 90 Jahren - durch sogenannte digitale Patinnen. Dabei handelt es sich um ehrenamtlich tätige Frauen des Landfrauenverbands Schleswig-Holstein, die in Kooperation mit dem Breitband-Kompetenzzentrum (BKZ.SH) für das Schulungsangebot ausgebildet wurden. Die Patinnen sind oft in einem ähnlichen Alter wie die Kurs-Teilnehmenden, standen vor ähnlichen Problemen und geben ihr Wissen nun an die Betroffene weiter.
Fast 100 digitale Patinnen bereits ausgebildet
Fast 100 Landfrauen wurden laut BKZ.SH bereits geschult. Elke Klotzbücher vom Landfrauen Ortsverband Aukrug ist eine von ihnen. Sie würden erstmal simple Sachen erklären: Smartphone an- und ausstellen, Lautstärke hoch und runter, Apps herunterladen und öffnen.
"Diese einfachen Dinge, die für junge Menschen selbstverständlich sind, das sind die ersten Arbeiten, die wir vermitteln." Elke Klotzbücher, Landfrauen Aukrug
Was beim Austausch zwischen den Generationen auf der Strecke bliebe, könne hier auf Augenhöhe vermittelt werden, meint Klotzbücher: "Wir wollen den Teilnehmenden Ruhe vermitteln und die Angst nehmen, das mit diesen Dingern nichts passieren kann. Das man auch mal einen falschen Knopf drücken kann, ohne gleich eine Waschmaschine geliefert zu bekommen."
Überforderung führt oft zu Ablehnung
Dass ältere Menschen sich neuen Technologien zuwenden, ist dabei keine Selbstverständlichkeit. Oft ist es ein Gefühl der Überforderung, weshalb sie Smartphones, Tablets oder andere Geräte ablehnen. Knapp 15 Prozent der Deutschen zwischen 65 und 74 Jahren nutzen das Internet überhaupt nicht. Das geht aus Zahlen des statistischen Bundesamts hervor. Bei den über 80-Jährigen sind es sogar noch mehr, wie eine durch das Bundesseniorenministerium geförderte repräsentative Studie der Universität Köln zeigt.
Studie: "Hochaltrige sind digital abgehängt"
Demnach nutze nur etwa jede dritte Person über 80 Jahren (37 Prozent) in Deutschland das Internet. Zum Vergleich: In der deutschen Gesamtbevölkerung sind es 88 Prozent. In der Studie heißt es: "Hochaltrige sind digital abgehängt" und es ist von einer "digitalen Spaltung zwischen jung und alt" die Rede. Zudem hänge es stark von soziodemografischen Merkmalen (z.B. Geschlecht, Bildung, Einkommen) einer Person ab, ob sie das Internet nutzt.
Aber, so die Verfassenden der Studie, nutzt eine Person über 80 erst einmal das Internet, dann nutzt sie es auch häufig. So sind es 57 Prozent der hochaltrigen Internetnutzer, die täglich ins Internet gehen - unabhängig von den soziodemografischen Merkmalen.
Weit verbreitetes Phänomen
Dass ältere Menschen durch die Digitalisierung ausgeschlossen oder diskriminiert werden, schätzt Robert Seyfert, Professor für Soziologie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel (CAU), als weit verbreitetes Phänomen ein. "Im Vergleich zu anderen Formen der Diskriminierung ist es noch nicht so weit erforscht. Das kann damit zu tun haben, dass sich die Gruppe selbst gar nicht als Lobby versteht oder Altersgruppe wahrnimmt." Es existiere beim Alter nicht die gleiche Form der Mobilisierung wie es bei anderen Formen der Diskriminierung der Fall ist. Eine Stereotypisierung sei aber ganz klar zu beobachten, so Seyfert.
Altersdiskriminierungen in allen Bereichen des Alltags
Altersdiskriminierungen sind dabei in vielen Bereichen des Alltags wiederzufinden. Sei es der Kauf von Konzertkarten, der nur im Netz möglich ist, das Deutschlandticket, das online abonniert werden muss, oder der Fahrplan des Busses. Aber auch bei digitalen Geldformen, die das Bargeld ersetzen sollen, zeigen sich die Hürden, mit denen ältere Menschen zu kämpfen haben. So lassen sich Banking-Apps oft nur über den Fingerabdruck öffnen. Doch dieser ist bei Menschen höheren Alters nicht mehr so gut ausgeprägt.
Um diese Hürden abzumildern, durch die Teilhabe älterer Menschen erschwert wird, schlägt Robert Seyfert Lösungsansätze vor, die aus Forschungen zu anderen Formen der Diskriminierung bekannt sind: die Diversifizierung von Teams. "Wenn man in den Software-Entwickler-Teams Geschlechter- oder Altersvielfalt hat, dann ist strukturell dafür gesorgt, dass bestimmte Interessen nicht unter den Tisch fallen."
Mehr Teilhabe durch digitale Knotenpunkte
Auch in Schleswig-Holstein soll weiter an den Möglichkeiten der Teilhabe für Senioren und deren Umgang mit digitalen Medien gearbeitet werden. Zu diesem Zweck habe das Land sogenannte digitale Knotenpunkte eingerichtet, sagt Digitalisierungsminister Dirk Schrödter (CDU) auf Nachfrage von NDR Schleswig-Holstein. An 27 öffentlichen Orten, wie Bibliotheken oder Vereinen, können Betroffene allen Alters Smartphones, Laptops und andere Geräte nutzen und den Umgang lernen - oder auch Experten vor Ort fragen.
Zusätzlich, so Schrödter, wolle man künftig noch mehr mit Initiativen arbeiten, bei denen - wie bei den digitalen Patinnen- Schulungen durch Gleichaltrige angeboten werden. "Deshalb haben wir in unserer Medienkompetenzstrategie angelegt, dass solche Projekte gefördert werden können", so Schrödter.
Analoge Alternativen zu teuer
Neben dem Zugang zur Technik ginge es auch darum, den Umgang mit Inhalten zu vermitteln, so Schrödter. "In Zukunft wird es noch verstärkt darum gehen, digitale Assistenzen anzubieten. Menschen aktiv zu unterstützen, damit sie zum Beispiel Verwaltungsleistungen auch digital wahrnehmen können." In Zukunft weiterhin parallel zu den digitalen Wegen auch analoge Alternativen offen zu halten, sei wiederum nicht realistisch und mit extremen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden. Daher sei es wichtig, so Schrödter, eher zielgerichtet in digitale Assistenzen zu investieren.
Erste Hürden überwinden
Elsbe Rehder widmet sich derweil der digitalen Assistenz der Deutschen Bahn. Sie will als Nächstes mithilfe der Navigator-App der Deutschen Bahn herausfinden, wie man am besten von Aukrug zum Hamburger Hauptbahnhof gelangt. So richtig klappt es bislang noch nicht, aber das will sie nun auch in Zukunft weiter üben. Die ersten Hürden hat sie bereits überwunden.