Mehr Gewalt in Krankenhäusern: Pflegende trainieren Deeskalation
Übergriffe gegenüber Klinikpersonal nehmen laut einer Umfrage weiter zu. Ein Deeskalationstraining der UKSH Akademie soll gegensteuern.
"Stopp!, Stopp!, Stopp!" - aus mehr als 20 Kehlen erklingt das entschlossen gerufene Wort im Trainingsraum des Kieler Schlosses wieder und wieder. In Zweierteams üben die Teilnehmenden, wie sie verbal und mit selbstbewusster Körpersprache brenzlige Situationen entschärfen können. Angeboten wird das Deeskalationstraining von der UKSH Akademie im Rahmen der zweijährigen "Weiterbildung Notfallpflege".
Gefährliche Situationen häufen sich im Klinikalltag, vor allem in den Notaufnahmen. Allgemeiner Respektverlust vor dem Pflegepersonal, gereizte Patienten oder deren Angehörige, denen die Wartezeit zu lang ist, oder Patienten unter Drogen- oder Alkoholeinfluss - die Gründe, warum es im Klinikalltag zu eskalierenden Gewaltsituationen kommt, sind unterschiedlich. Dass Mitarbeitende vor großen Herausforderungen stehen, zeigt auch eine aktuelle repräsentative Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft. 73 Prozent der befragten Krankenhäuser in Deutschland geben an, dass die gewalttätigen Übergriffe in den Kliniken in den letzten fünf Jahren mäßig (50 Prozent) oder deutlich (20 Prozent) gestiegen seien.
Im Berufsalltag der Teilnehmenden nimmt die Gewalt zu
Zahlen, die Marie Oswald und Melvin Jurgeleit aus eigener Erfahrung bestätigen können. Beide arbeiten als Gesundheits- und Krankenpflegende in der Notaufnahme, Oswald ist zudem auch Kinderkrankenpflegerin. In welchen Kliniken in Schleswig-Holstein sie arbeiten, wollen uns die beiden nicht sagen, weil die Angst zu groß sei, dass aufgebrachte Patienten sie über das Internet finden könnten. Sehr häufig habe sie schon Erfahrungen mit Übergriffen machen müssen, sagt Marie Oswald. Das fange, zum Beispiel mit Bedrohungen, bei psychischer Gewalt an.
"Teilweise wird sogar auf einen losgegangen mit geballten Fäusten, sodass man nach dieser körperlichen Gewalt sogar mit blauen Flecken oder Wunden nach Hause gehen muss." Pflegerin Marie Oswald
Bei Melvin Jurgeleit blieben Übergriffe bisher bei verbalen Attacken. "Körperliche Gewalt hab ich bisher zum Glück noch nicht erlebt", sagt er. "Aber einmal bin ich sogar mit dem Messer bedroht worden, da musste ich dann flüchten." Beide Pflegekräfte haben das Gefühl, dass solche Zwischenfälle in ihrem Arbeitsalltag zunehmen. Unter anderem Angst und Hilflosigkeit fühlen sie dabei. Marie Oswald und Melvin Jurgeleit beschreiben die Auswirkungen solcher Gewalterfahrungen im Berufsalltag ähnlich. "Ich verspreche mir von dem Deeskalationstraining ein sichereres Auftreten in brenzligen Situationen und auch das Erlernen von Selbstverteidigungstechniken, falls Drohungen in körperlicher Gewalt enden", sagt Marie Oswald.
Der Bedarf nach Deeskalationstrainings in Kliniken nimmt zu
Im Training sollen die Teilnehmenden lernen, wie sie sich gegenüber den aggressiven Patienten verhalten und im schlimmsten Fall verteidigen können. Und das, ohne sich selbst oder den Patienten dabei zu verletzten. Dabei gehe es viel um Körpersprache, erklärt Deeskalationstrainer Daniel Breidel. Er unterrichtet neben theoretischen Kommunikationstechniken auch die körperlichen Techniken von der Deeskalation bis zum Selbstschutz.
"Die Nachfrage nach solchen Trainings für Klinikpersonal hat zugenommen. Mir berichten immer wieder die Teilnehmenden, dass die Aggressivität steigt." Deeskalationstrainer Daniel Breidel
In der berufsbegleitenden Weiterbildung bekommen Marie Oswald und Melvin Jurgeleit neben den Techniken zu Deeskalation und Selbstschutz auch wichtiges medizinisches Know-How für die Arbeit in der Notfallpflege vermittelt. Die beiden Mittzwanziger wollen auch künftig für ihre Patienten da sein. Ihren Job aufzugeben, daran denken sie bisher trotz aller Schwierigkeiten nicht.