Leuchtturm gesperrt: Kieler Lotsen arbeiten im Notbetrieb
Seit Oktober können die Lotsen aus Kiel ihre Versetzstation auf hoher See nicht mehr nutzen. Lange Umwege und wenig Ruhephasen erschweren seitdem ihren Arbeitsalltag – und ein Ende ist nicht in Sicht.
"Wenn ich den Leuchtturm jetzt sehe, dann ist da schon immer ein bisschen Traurigkeit dabei. Das war 23 Jahre mein Zuhause hier auf See", sagt Daniel Wagner, während er mit seinem orangenen Lotsenboot am Leuchtturm Kiel vorbeifährt. Gerade hat der Lotsenbootfahrer einen Lotsen zu einem Frachtschiff gebracht, das in Richtung Nord-Ostsee-Kanal geleitet werden muss. Bis vor einigen Monaten hätte er in der Lotsenstation im Leuchtturm Kiel eine Pause gemacht, bis der nächste Lotse versetzt werden muss. Doch seit dem 20. Oktober 2023 geht das nicht mehr. Die Jahrhundertsturmflut hat den Leuchtturm so stark angegriffen, dass das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Ostsee ihn gesperrt hat. Bis heute dauert diese Sperrung an.
Ferienwohnungen als Notlösung
Statt zum Leuchtturm könnte Daniel Wagner nach Laboe fahren. Dort sind als Notlösung zwei kleine Ferienwohnungen angemietet, in denen sich Lotsen und Lotsenbootfahrer ausruhen können. Doch wie so oft reicht die Zeit dafür jetzt nicht. Denn für die Fahrt nach Laboe braucht Daniel Wagner etwa 25 Minuten - statt fünf Minuten zum Leuchtturm. "Das lohnt sich selten, weil ich ja oft direkt den nächsten Lotsen aufsammeln muss", erklärt Wagner. Statt sich auszuruhen, muss er jetzt also weiter auf hoher See schaukeln.
Lotsen müssen auf wichtige Technik verzichten
In Laboe warten gerade Christian Schie und Matthias Krügel auf ihre nächste Fahrt. Auch sie können den Ferienwohnungen nicht viel abgewinnen - wegen der verkürzten Ruhezeiten, und weil ihnen hier die Technik fehlt, die sie brauchen, um sich bestmöglich auf ihren Job vorzubereiten. "Hier sind wir fernab vom Geschehen und müssen mit einfachsten Mitteln versuchen, uns einen Überblick über die maritime Lage zu verschaffen", erklärt Christian Schie. Denn statt Radarunterstützung und UKW-Geräten gibt es in der Ferienwohnung nur einen provisorisch installierten LTE-Router.
Nach einer halben Stunde kommt auf einmal ein Anruf. Der Einsatzort hat sich geändert. Über Land müssen die beiden mit einem Taxi fast eine Stunde zurück nach Holtenau fahren, um dort in der Schleuse zuzusteigen. Auch solche Wege sind seit der Leuchtturmsperrung mehr geworden, weil die Lotsenboote bei den langen Fahrzeiten nicht mehr alle Lotsen transportieren können.
Durchgeschaukelt auf hoher See
Daniel Wagner hat inzwischen zwei neue Lotsen an Bord, die er auf der Förde eingesammelt hat. Beide müssen demnächst neue Schiffe besetzen. Auch dieses Mal reicht die Zeit nicht, um nach Laboe zu fahren. "Wir müssen hier noch ein bisschen rumwackeln", lacht Wagner den beiden Lotsen zu. Einer von ihnen ist Georg Krahn. Er sitzt mit im Führerhäuschen und versucht, sich auf seinen nächsten Einsatz vorzubereiten. "Man geht natürlich nicht so ausgeruht aufs Schiff, wenn man hier durchgeschüttelt wird", sagt er. Und sein Kollege Hartmut Köller stimmt ihm aus der Kajüte zu. Bei Wind und Sturm sei die Situation für viele Kollegen besonders belastend: "Manche haben wirklich Probleme, dass sie seekrank werden. Das kann sich natürlich auswirken auf unsere Arbeit an Bord, bei der wir immer hochkonzentriert sein müssen."
Gutachten zum Leuchtturm steht noch aus
In der Lotsenbrüderschaft sieht man die Lage als nicht länger tragbar. Die Belastung für Mensch und Material sei einfach zu groß, sagt Ältermann Gerd Pitschmann. Er wolle für die Lotsenversetzstation im Leuchtturm kämpfen. Von dem für den Leuchtturm zuständigen Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Ostsee fühlt er sich alleingelassen. "Wir warten seit Januar auf das Gutachten, aber wir bekommen überhaupt keine Infos zu dem Zustand des Leuchtturms und wie es weitergehen könnte." Auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein sagt das WSA: "Aufgrund der exponierten Lage des Turmes konnte die umfassende Inspektion zur Feststellung des Schadensbildes erst nach der Sturmsaison abgeschlossen werden." Man arbeite an einer Machbarkeitsstudie, aber eine zeitliche und finanzielle Einschätzung zur Inbetriebnahme könne derzeit nicht gegeben werden.
"Laboe darf keine Dauerlösung werden"
Bei den Kieler Lotsen versucht man, sich auf die verschiedenen Szenarien in der Zukunft vorzubereiten. In der Touristeninformation Laboes soll bis Spätsommer eine feste Lotsenstation eingerichtet werden, damit zumindest die Ferienwohnungen Geschichte sind. Der Standort Laboe dürfe aber keine Dauerlösung werden, fordert Gerd Pitschmann. Denn die Taktung von etwa 33.000 besetzten Schiffen pro Jahr sei so kaum mehr haltbar. Lotsenbootfahrer Daniel Wagner hofft, wie seine Kollegen, dass sich die Situation bald entspannt. Heute hat er noch acht Stunden vor sich. Bis vier Uhr morgens wird er auf der Kieler Förde unterwegs sein - wenn es schlecht läuft, ohne jede weitere Ruhepause.