Lehrermangel in SH: Gemeinschaftsschule sucht Auswege

Stand: 22.08.2023 20:56 Uhr

In wenigen Tagen beginnt das neue Schuljahr, doch viele Schulen können offene Stellen nicht besetzen - denn überall im Land fehlen Lehrkräfte. Eine Gemeinschaftsschule in Norderstedt findet eine kreative Lösung.

von Friederike Hoppe

Kathrin Peters sitzt am PC im Büro der Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark in Norderstedt (Kreis Segeberg). Sie ist kommissarische Schulleiterin, weil der Chefposten zur Zeit nicht besetzt ist. Peters schreibt Abrechnungen, sichtet Stellenausschreibungen, geht Projektanträge durch. Noch ist es still auf den Fluren. Erst am Montag kehren die Schüler zurück. Peters hat fünf der sechs Ferienwochen in der Schule verbracht, um sich vorzubereiten. Der anstehende Schulstart macht ihr Sorgen.

Monatelange Stellenausschreibungen, wenig Resonanz

Seit Monaten sucht Peters nach Lehrkräften für Mathe, Physik, Englisch und Geografie. Doch niemand bewarb sich. Erst nach Verlängerung der Stellenausschreibung kam eine Bewerbung - für das Fach Wirtschaft-Politik (WiPo). Es war ein Seiteneinsteiger, der inzwischen auch an der Schule beschäftigt ist.

Der Organisationsaufwand ist groß, erklärt Peters, auch wenn ein Kollege gefunden wurde. Ende eines Schuljahres muss sie die Jahresverträge wieder neu abschließen. Wenn dann jemand einen Jobwechsel plant, breche die ganze bisherige Planung wieder zusammen, sagt Peters. "Wir stehen jedes Jahr wieder vor dem gleichen Problem".

Quereinsteiger gegen Unterrichtsausfall

Die Schule Ossenmoorpark ist eine Gemeinschaftsschule ohne Oberstufe. Knapp 40 Lehrer unterrichten hier bis zu 550 Schülerinnen und Schüler von der 5. bis zur 10. Klasse. Teil des Kollegiums sind ein Referendar und knapp fünf Seiten- und Quereinsteiger. Maximiliane Landsmann ist eine von ihnen. Nach ihrem Chemiestudium wurde sie auf den Seiten- und Quereinstieg in Schleswig-Holstein aufmerksam. Sie entdeckte ihre Freude am Unterrichten und arbeitete in ihrem ersten halben Jahr an drei Schulen gleichzeitig.

Etwa zehn Lehrer mehr nötig

Die Gemeinschaftsschule am Ossenmoorpark ist bekannt für ihre besonderen Projekte neben dem eigentlichen Lehrplan. Im Mai wurde das "Tiny-House-Projekt" der 9. Jahrgangsstufe zum "besten Klimaschutzprojekt aus Schleswig-Holstein" ausgezeichnet. Sie hofft, dass ähnliche Projekte in diesem Umfang weiter möglich sind. Es seien "Herzensangelegenheiten", doch sei die Arbeitsbelastung für das Kollegium sehr hoch. Auf das Schuljahr gerechnet fehlen Lehrkräfte für 73 Unterrichtsstunden. Knapp zehn Lehrer mehr wären nötig, um das Kollegium zu entlasten, sagt Peters.

Personalengpässe in der Schulleitung

Zwei Frauen schauen auf ein Smartphone. © NDR Foto: NDR Screenshots
Die ehemalige Schulleiterin Marion Rönnfeldt und die kommissarische Schulleiterin Kathrin Peters bereiten sich auf den Schulanfang vor. "Wir müssen Schule neu denken", sagt Peters.

Auch in der Leitung der Schule gibt es Personalengpässe. Von einst vier Personen in der Schulleitung blieb nur Kathrin Peters. "Erkrankungen, Schwangerschaft, Jobwechsel", so Peters. Um während des Lehrermangels im Land genügend Unterricht anzubieten, ist Kathrin Peters einen neuen Weg gegangen: Das Fach Geografie unterrichten an der Schule Lehrer, die das Fach nicht studiert haben. Weil sich kein Nachfolger für die Schulleitung fand, übernahm Peters den Posten kommissarisch. Eine ehemalige Schulleiterin in Pension arbeitet sie in die neuen Aufgaben ein. An drei Tagen die Woche kommt Marion Rönnfeldt dafür an die Gemeinschaftsschule in Norderstedt. "Das Problem des Lehrermangels hat sich schon seit Jahren angebahnt, jetzt hat es sich eklatant verschlechtert", sagt Rönnfeldt.

Viele Stellen bleiben zum neuen Schuljahr unbesetzt

Die Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark ist nicht die einzige Schule, an der Lehrer fehlen. Die Lage ist angespannt, besonders jetzt zu Schulbeginn.

Zum neuen Schuljahr haben manche Schulen im Land bis zu sechs Stellen ausgeschrieben, zum Teil mit verlängerten Bewerbungsfristen. Es ist ein Spannungsverhältnis aus mehreren Entwicklungen: Wegen des demografischen Wandels werden viele Lehrer pensioniert, gleichzeitig rücken zu wenig Nachwuchskräfte von den Universitäten nach. Absolventen wiederum klagen über eine unzureichende Praxisvorbereitung im Studium und hohe Belastung im Referendariat. "Wir müssten junge Leute viel mehr an die herausfordernd positiven Seiten für die Entwicklung des Berufes heranführen und den Zugang ins Studium vereinfachen." Man müsse sich fragen: "Warum brechen 50 Prozent Studentinnen und Studenten diesen Werdegang ab?", sagt Rönnfeldt.

Personalnot an Grund- und Gemeinschaftsschulen verschärft

Am schlimmsten ist die Lage an Grund- und Gemeinschaftsschulen in ländlichen Räumen. "Die Absolventenprognose für viele Fächer in den nächsten Jahren zeigt ein Überangebot an Lehramtsabsolventen und -absolventinnen für das Gymnasiallehramt und ein entsprechendes Unterangebot für Gemeinschaftsschulen", heißt es aus dem Bildungsministerium. Für Grund- und Sonderschulen setzt die Landesregierung auf Anreizssysteme: Lehramtsstudenten, die ihr Referendariat in Grund- und Sonderschulen in Dithmarschen, Steinburg, Segeberg oder im Herzogtum Lauenburg absolvieren, sollen künftig eine monatliche Extra-Zahlung von 250 Euro erhalten. Bei den Bewerbungen der Referendare für das neue Schuljahr ist davon noch keine Wirkung zu spüren, bilanzieren Kathrin Peters und Marion Rönnfeldt.

Auch an Gymnasien ist der Lehrermangel eine "große Problematik", sagt Tom Daubmann, Landesschülersprecher der Gymnasien in Schleswig-Holstein. Für das aktuelle Schuljahr ist Daumann "noch relativ optimistisch", jedoch werden einige Fächer fachfremd unterrichtet, das beeinträchtige die Qualität des Unterrichtes erheblich, sagt er. "Es werden mehr Stellen durch Quereinsteigerinnen besetzt, deren Unterricht ist oft nicht so gut wie der von vollständig ausgebildeten Lehrkräften", erklärt Daubmann.

Besserung nicht in Sicht

Uwe Machwitz ist Reallschullehrer für Mathe und Deutsch in Ratzeburg (Kreis Herzogtum Lauenburg). Als Mitglied des Lehrerverbandes kennt er die Sorgen seiner Kollegen seit Jahren. Er sieht einen Notstand, der alle Schulen im Land betrifft. Eine Besserung der Lage sei nicht in Sicht. Im Gegenteil: Der Lehrermangel wird sich in den nächsten 20 Jahren noch verschärfen, wie eine Studie des Beratergremiums der Kultusministerkonferenz resümiert.

"Wir müssen Schule neu denken", sagt Kathrin Peters. "Bildung wird zunehmend digitaler, Schüler lernen heute anders." Das ist auch eine Erfahrung aus ihren Projektarbeiten mit den Schülern. "Wir müssen überlegen, wie wir aus dem Mangel eine Stärke machen". Sie denkt darüber nach, wie Schulstunden kurzfristig auch ohne Lehrer funktionieren können.

Am kommenden Montag beginnen nach Angaben des Bildungsministeriums rund 368.000 Schülerinnen und Schülern an den allgemein- und berufsbildenden Schulen ihr Schuljahr in Schleswig-Holstein. Auch die Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark in Norderstedt wird neue Schüler begrüßen. Kathrin Peters hofft, dass sie bald weitere Lehrkräfte findet, um das Kollegium zu entlasten.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 22.08.2023 | 19:30 Uhr

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