Kreuzfahrten: Was verdient Kiel am Boom?
Immer mehr Kreuzfahrtgäste kommen nach Kiel. 2023 waren es erstmals mehr als eine Million Passagiere. Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für den Hafen - doch im Tourismus und Einzelhandel kommt deutlich weniger an.
Bei kühlen Temperaturen, aber strahlendem Sonnenschein läuft die "AIDAluna" an diesem Apriltag in den Hafen von Kiel ein. Mit mehr als 2.000 Passagieren ist das Kreuzfahrtschiff ausgebucht. Drei Tage zuvor waren die Gäste von Kiel aus zu einer Rundreise über Kopenhagen und Göteborg aufgebrochen. Nun kommen sie zurück und gehen hier von Bord. Gleichzeitig startet an diesem Tag eine neue Tour, es ist also Gästewechsel.
173 Schiffe mit mehr als einer Million Passagieren erwartet
So, wie bei allen 64 Anläufen von AIDA in dieser Saison in Kiel. Dazu kommen allein 21 Stopps der "MSC Euribia", die je nach Auslastung zwischen 5.000 und 6.300 Passagiere an Bord haben wird. Auch Schiffe von TUI, Costa oder der Holland-America Line legen an. Insgesamt rechnet der Seehafen Kiel mit 173 Anläufen von 19 Reedereien in diesem Jahr. Nachdem schon im Vorjahr mehr als eine Million Kreuzfahrtpassagiere gezählt wurden, erwartet der Hafen für die diesjährige Saison ähnliche Ergebnisse.
Kerngeschäft des Kieler Seehafens
Die Kreuzfahrtbranche ist damit auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. "Das Kreuzfahrtgeschäft ist neben dem Fähr- und Frachtbereich ein Kerngeschäft des Kieler Hafens", sagt Sprecherin Julia Reichel. Wie viel Umsatz der Seehafen genau mit den Kreuzfahrtschiffen macht, gibt das 100-prozentige Tochterunternehmen der Stadt Kiel nicht bekannt. Einsehbar sind aber zum Beispiel die Hafen- und Kaitarife. Darin wird das Hafengeld nach Bruttoraumzahl (BRZ) angegeben - eine Einheit für die Gesamtgröße von Schiffen. In der Saison 2024 zahlen Kreuzfahrtschiffe ab 60.000 BRZ jeweils 40 Cent pro BRZ.
Hafengelder von mehreren Zehntausend Euro pro Schiff
Die "AIDAluna" zum Beispiel misst 69.203 BRZ - das würde also 27.681,20 Euro Hafengeld pro Anlauf ergeben. Die "MSC Euribia" kommt auf 184.011 BRZ, das wären dann 73.604,40 Euro. Allerdings bekommen Schiffe, die innerhalb eines Jahres eine Million BRZ erreichen, einen Rabatt von zehn Prozent bei jedem Anlauf. Inwiefern die Reedereien, die meist mit mehreren verschiedenen Schiffen im Jahr in Kiel anlegen, individuelle Vereinbarungen haben, bleibt allerdings offen. Zusätzlich zum Hafengeld werden Gebühren für die Abfertigung von Gästen berechnet, ab 1.200 Passagieren sind es 2.000 Euro pro Anlauf. Hinzu kommen Entgelte für die Bereitstellung von Personal, für die Entsorgung von Abwasser und Abfall, für die Versorgung mit Frischwasser oder für die Internetnutzung.
Zahlreiche Agenturen, Dienstleister und Partnerfirmen involviert
Doch nicht nur der Seehafen selbst ist an der Abfertigung eines Kreuzfahrtschiffes beteiligt. AIDA antwortet zum Beispiel auf Nachfrage: "Eine Untersuchung hat ergeben, dass wir bspw. im Jahr 2018 mit 23 verschiedenen Dienstleistern vor Ort in Kiel zusammengearbeitet haben, in ganz Schleswig-Holstein waren es 132." Auch Hafenagenturen wie Sartori & Berger übernehmen im Auftrag der Reedereien Aufgaben wie Gepäckumschlag oder Crew-Angelegenheiten, z.B. Visa und Unterbringung. Zudem sind Agenturen nach Angaben der Stadt auch an der Vergabe von Reparaturaufträgen an Betriebe beteiligt. Darüber hinaus arbeiten die Reedereien mit weiteren Dienstleistern aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammen.
Nur ein geringer Teil der Gäste geht in die Innenstadt
Neben den Auswirkungen auf die Hafenwirtschaft und die Unternehmen, die direkt von den Reedereien beauftragt werden, spielt die Kreuzfahrtbranche aber auch für den Tourismus und den Einzelhandel in und um Kiel eine Rolle. Sowohl Gäste als auch Crewmitglieder übernachten vor Abfahrt oder nach Ankunft in der Stadt, kaufen hier ein oder gehen essen. So jedenfalls die Hoffnung.
Jedoch steigen die meisten Gäste sofort in einen der bereitstehenden Reisebusse, die sie zum Bahnhof, zum Flughafen oder sogar bis in ihren Heimatort bringen. Andere machen sich mit ihrem Gepäck zu Fuß auf den Weg zu ihrem geparkten Auto, um dann selbst die Heimreise anzutreten. "Leider geht nur ein geringer Anteil der Gäste bei Reiseantritt ab Kiel eigenständig durch die Innenstadt und konsumiert dort, unter anderem aus Angst, das Schiff zu verpassen, sich zu verlaufen", sagt Kiel Marketing-Geschäftsführer Uwe Wanger. "Kreuzfahrttouristen haben ihre Koffer schon gepackt, wollen ihre Reise antreten, die kommen nicht zum Einkaufen hierher." Zwar würden etwa 40 Prozent des Umsatzes im Einzelhandel in Kiel durch Touristinnen und Touristen generiert – aber eben nicht unbedingt durch Kreuzfahrtpassagiere.
Blaue Linie und digitale Schilder: Gäste sollen Wege besser finden
Ein Problem: Gäste, die zum Beispiel mit der Bahn anreisen, wollen oft auf dem kürzesten Weg zum Terminal und laufen deshalb an der Kaistraße entlang und nicht durch die Innenstadt. Kiel Marketing will das mit verschiedenen Ideen ändern: die sogenannte blaue Linie, die vom Bahnhof durch die Innenstadt zum Anleger führt, digitale Schilder oder neue, bunte auf den Boden gesprühte Hinweise.
Ob das funktioniert, lässt sich allerdings kaum feststellen. Die sogenannten Frequenzmessungen in der Innenstadt zeigten im vergangenen Jahr, dass in der Hochsaison zwischen 34 und 43 Prozent mehr Menschen in den verschiedenen Teilen der Holstenstraße unterwegs waren als in den Monaten mit weniger Kreuzfahrtanläufen. Ein direkter Zusammenhang lässt sich aus der Steigerung aber nicht ablesen, denn in dieser Zeit kommen ohnehin mehr Touristinnen und Touristen in die Stadt.
15 Prozent der Kreuzfahrtgäste übernachten in Kiel
Vom Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA kommt Kritik, dass auch Hotels in Kiel nicht viel vom Kreuzfahrtboom haben. Der Vorwurf: Die Stadt tue nicht genug. Diese teilt wiederum mit, dass die Zahl der Passagiere, die vorher anreisen und eine Nacht oder mehrere in Hotels oder Pension verbringen, von Jahr zu Jahr steige. Von Kiel Marketing heißt es, dass 15 Prozent der Kreuzfahrtgäste in Kiel übernachten. Gern genutzt werden demnach Pakete wie Park, Hotel & Cruise, für die bestimmte Kapazitäten bei teilnehmenden Hotels zur Verfügung stehen. Die IHK verweist auf eine Befragung des Kieler Forschungsinstituts NIT, nach der 22 Prozent der teilnehmenden Passagiere ein bis zwei Tage vor Reiseantritt anreisen und elf Prozent nach Reisende noch eine Nacht bleiben.
Wenig organisierte Ausflüge, aber Info-Material und Stadtführungen
Da Kiel von den Reedereien oft als Start- und Endpunkt genutzt wird, gibt es hier weniger organisierte Ausflüge. AIDA teilt mit: "Einige unserer an- und abreisenden Gäste verbringen sicherlich vor und/oder nach ihrer Kreuzfahrt ein paar Tage in der Region, diese Unternehmungen sind individuell organisiert.“ Von der Reederei organisierte Touren gibt es nicht, auf dem Schiff werde aber vor jedem Hafen durch die Bordmedien über Sehenswürdigkeiten informiert. MSC antwortet, dass es bei allen Anläufen einen Anteil internationaler Gäste gebe, die Kiel als Ausflugsziel nutzen. Von Kiel Marketing gibt es Flyer speziell für Kreuzfahrtgäste in Englisch, Dänisch, Norwegisch und Schwedisch. Prospekte mit Ausflugs- und Restauranttipps werden in den Terminals ausgelegt. Außerdem gibt es englischsprachige Stadtführungen und einen Sightseeing Bus.
"Insgesamt macht der Kreuzfahrttourismus aber nur 2,5 Prozent der nachgefragten Umsätze aus der Tourismusbranche in Kiel aus", sagt Wanger. Eine Studie von Hamburg Port Consulting (HPC) im Auftrag des Seehafens auf Grundlage der Daten von 2017 zu ökonomischen Effekte des Kieler Hafens kam zu dem Schluss, dass Kreuzfahrtpassagiere und Crew 15 Millionen Euro im Tourismussektor ausgeben. Zusammen mit Fährpassagieren wurden 68 Millionen Euro Konsumausgaben ermittelt, davon mehr als zehn Millionen Euro für Hotels. Umsatzeffekte der Tourismusausgaben von Fähr- und Kreuzfahrtpassagieren eingerechnet, "werden durch den gesamten Kieler Hafen rund 559 Millionen Euro erwirtschaftet. Davon verbleiben rund 343 Millionen Euro unmittelbar in der Region Kiel." Mitte April 2024 sollen neue Zahlen veröffentlicht werden.
In einer früheren Version des Artikels stand, dass es einen Rabatt auf das Hafengeld gibt, wenn die Reedereien Landstrom nutzen. Diesen Umweltrabatt gibt es seit dieser Saison nicht mehr. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.