Krankenhausreform: "Lauterbach nimmt Insolvenzen in Kauf"
Langfristig vielversprechend, kurzfristig keine Rettung in Sicht: Viele Kliniken in Schleswig-Holstein blicken mit Skepsis auf das Eckpunkte-Papier zur geplanten Krankenhausreform.
Ein Satz auf der Website des Bundesministeriums für Gesundheit macht die ganze Dramatik so richtig deutlich: "Durch das neue System der Vorhaltepauschalen erhalten Krankenhäuser die Chance zu überleben." Wenn die Krankenhäuser zukünftig also Geld für das Behandlungsangebot bekommen, das sie grundsätzlich vorhalten (Vorhaltepauschale), und nicht mehr wie derzeit für jeden Fall, den sie tatsächlich behandeln (Fallpauschale), dann gibt es zumindest eine Überlebenschance. Das klingt hart. Was aber, wenn Krankenhäuser in Schleswig-Holstein nicht einmal mehr so lange durchhalten können, bis die neue Regel greift?
Städtisches Krankenhaus Kiel: "Dramatische Situation"
"Wir befinden uns in einer für die Krankenhäuser dramatisch schwierigen wirtschaftlichen Situation. Und Herr Lauterbach (Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, SPD, Anm. d. Red.) schiebt das ganze Thema auf die Reform, die vor 2026 keine Wirkung zeigen wird. Bis dahin werden Krankenhäuser in die Insolvenz gehen", sagt Dr. Roland Ventzke, Geschäftsführer des Städtischen Krankenhauses in Kiel.
Deshalb sei es unverantwortlich, dass das am Montag vorgestellte Eckpunkte-Papier zur Krankenhausreform keine Vorschläge für kurzfristige Finanzhilfen enthalte. "Lauterbach nimmt Insolvenzen sehenden Auges in Kauf", kritisiert Ventzke.
Klinikum Nordfriesland befürchtet Versorgungsengpässe
Ähnlich sieht das auch das Klinikum Nordfriesland mit seinen Standorten in Niebüll, Husum und Wyk auf Föhr. "Die Kliniken in Deutschland werden bis Ende des Jahres 2023 zehn Milliarden Euro Verluste anhäufen. Kommt es zu keiner finanziellen Unterstützung, wird es zu noch mehr Klinikinsolvenzen kommen, was dann durchaus die Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen kann", heißt es von der Klinik auf Nachfrage von NDR Schleswig-Holstein.
"Insgesamt bleiben sowohl das Verfahren als auch die konkreten Auswirkungen auf unsere Region nebulös. Absichtserklärungen, Prüfaufträge und vage Vorgaben für den weiteren Prozess lassen erahnen, wie langwierig und zähflüssig die kommenden Jahre werden. Das erzeugt Unsicherheit", heißt es weiter aus Nordfriesland.
Regio-Kliniken: Keine Aussagen zu Investitionen im Eckpunkte-Papier
"Aus unserer Sicht ist das Eckpunkte-Papier in wichtigen Punkten zu unkonkret, das heißt, wir benötigen immer noch mehr Klarheit, bevor wir verlässlich ableiten können, was dies für uns als Klinik bedeutet. Es gibt keinerlei Aussagen zu den notwendig werdenden Investitionen", kritisiert Regina Hein, Geschäftsführerin der Regio-Kliniken in Südholstein.
Krankenhausgesellschaft: Wirtschaftliche Lage verschlechtert sich
Auch die Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein (KGSH) kritisiert, dass in dem Eckpunkte-Papier die Zwischenfinanzierung nicht konkret geregelt werde. Denn die Reform soll Anfang 2024 in Kraft treten und dann erst schrittweise umgesetzt werden.
Kurzfristig werde sich die ökonomische Lage der Krankenhäuser zunächst eher verschlechtern, sagte KGSH-Geschäftsführer Patrick Reimund. "In Schleswig-Holstein haben wir schon Insolvenzen. Und es wird weitere geben, nicht nur hier, sondern bundesweit", sagt er.
UKSH: Hoffnung auf Qualitätssprünge
Es gibt aber auch Krankenhäuser in Schleswig-Holstein, die in den Plänen des Bundesgesundheitsministeriums langfristig Potenzial für eine verbesserte Qualität in der Patientenversorgung sehen. Das gilt insbesondere für die Abschaffung von der Fallpauschale und die geplanten bundesweit einheitlichen Qualitätskriterien für Krankenhausleistungen. "Mit der Einigung zur Krankenhausreform ist der Weg frei für eine Versorgung, die sich den aktuellen Herausforderungen stellt und eine bessere Medizin für alle Patientinnen und Patienten ermöglicht", sagt Prof. Jens Scholz, Geschäftsführer des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH).
Heiner Garg: Vollversorger haben Planungssicherheit
"Wenn das so in Gesetzesform gegossen würde, dann hätten die Häuser, die vollstationär versorgen, Planungssicherheit", sagt der FDP-Abgeordnete und ehemalige Gesundheitsminister Heiner Garg. Es werde zu einer Konzentration kommen. Man müsse sich die Lage der Kliniken im Land angucken und sich ehrlich machen, welche Häuser relevant sind.
Ähnlich positiv wie das UKSH äußerte sich das Helios Klinikum Schleswig. Viele weitere von NDR Schleswig-Holstein angefragte Kliniken wollten das Eckpunkte-Papier zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bewerten.
Scharfe Kritik aus der Opposition an Enthaltung
Dass sich Schleswig-Holstein als einziges Bundesland bei der Abstimmung über die Reform-Eckpunkte enthalten hat, wertete der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Losse-Müller als "krasse Fehlleistung" von Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU). Schleswig-Holstein habe sich dadurch in den Verhandlungen isoliert.
Von der Decken: Enthaltung, weil Finanzkonzept fehlte
Von der Decken begründete ihre Enthaltung bei der Abstimmung zu dem Papier mit einem fehlenden Finanzkonzept für den Zeitraum bis zum Inkrafttreten des neuen Krankenhausgesetzes. "Wir sehen bei uns im Lande, dass es wichtige und gut laufende Kliniken sind, die in die Insolvenz rutschen. Das darf nicht passieren", sagte die Ministerin NDR Schleswig-Holstein.
Dirschauer vom SSW: "Nur noch ein Reförmchen übrig"
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Lasse Petersdotter, bezeichnete das Eckpunkte-Papier als "wichtigen und großen Schritt". Die Krankenhausreform nehme den wirtschaftlichen Druck von den Kliniken. Der Sprecher der SSW-Fraktion im Landtag, Christian Dirschauer, kritisierte dagegen den Umfang des Papiers: "Aus der einst von Bundesgesundheitsminister Lauterbach angekündigten Revolution ist schon jetzt nur ein Reförmchen übrig."