Kochen im Hospiz: Der Küchenchef für Schwerstkranke
Nach Jahren des Kochens in Szenerestaurants steht Kent Hansen jetzt jeden Tag in der Küche des Elmshorner Johannis-Hospizes. Er kennt jeden Gast persönlich und versucht, jeden Essenswunsch zu erfüllen.
Es ist kurz nach halb acht, als Kent Hansen das erste Frühstück des Tages zubereitet. Die Dame aus Zimmer 9 hätte gern ein Croissant mit Butter und Erdbeermarmelade. Dazu einen Tee. Hansen, ein breitschultriger, kräftiger Mann in Kochschürze, summt vor sich hin. Er stellt das Frühstück auf ein Tablett. Dann klopft er an der Tür der Dame, begrüßt sie und stellt das Tablett vor ihrem Bett ab. Sie strahlt. Der 60-Jährige arbeitet in einem Haus, in das Menschen zum Sterben kommen: dem Johannis-Hospiz in Elmshorn (Kreis Pinneberg). Er kocht für die, die unheilbar krank sind. Die nicht wissen, ob sie heute sterben oder morgen oder in ein paar Wochen.
Aus dem Szene-Restaurant in die Hospiz-Küche
"Das Besondere ist, dass die Menschen hier sowas von ehrlich sind", sagt der gelernte Koch. Sie hätten nichts mehr zu verlieren und seien oft unheimlich positiv eingestellt. "Das ist bewundernswert", meint Hansen. Mehr als dreißig Jahre lang arbeitete er in der Gastronomie, kochte viel in hippen Szenerestaurants. Irgendwann reichte es ihm. Der Stress, die Arbeitszeiten, der finanzielle Druck. "Ich habe gedacht, ich gebe den Job auf." Vor anderthalb Jahren entdeckte seine Freundin die Stellenanzeige fürs Hospiz. Hansen bewarb sich und wurde genommen.
Jeden Tag frisches Essen
Wer den Koch einen Vormittag lang begleitet, der merkt schnell: In seiner Küche geht es nicht nur ums Essen. Es geht ums Leben. Darum, den Menschen, die nicht mehr viel Zeit haben, besondere, genussvolle Momente zu bescheren. Die Dame aus Zimmer 9, die sich das Croissant zum Frühstück gewünscht hat, heißt Svenja Sandte-Boukaia. Sie ist 51 Jahre alt und an Krebs erkrankt. Seit Anfang Februar lebt sie im Hospiz. "Das frische Essen bringt einen emotional auf die Beine", sagt sie. "Wenn es mit Liebe gekocht ist, wird man gleich wieder ein bisschen gesünder."
"Wir fühlen uns hier wie eine große Familie", ergänzt Ilse-Margrid Opitz. Sie ist 81 Jahre alt und eine der wenigen Bewohnerinnen, die an diesem Tag die Kraft haben, ihre Mahlzeit außerhalb des Zimmers einzunehmen. Dass der Koch ihr jeden Tag ein frisches Essen zubereitet, bedeutet ihr viel. "Ich habe hier so viele Freundlichkeiten und Herzlichkeiten erlebt."
Ein Sechser im Lotto
Hospiz-Leiterin Doreen Welack, sagt, Kent Hansen habe ein außergewöhnliches Talent, auf Leute zuzugehen. "Das ist einer der wichtigsten Arbeitsplätze hier im Haus." Einen Koch wie Hansen zu haben, sei für die Menschen im Hospiz ein "Sechser im Lotto". Hansen selbst nennt sich einen "kleinen Zauberer". Einen, der versucht, jeden Wunsch zu erfüllen. Ein älterer Herr, so erzählt er, wünschte sich nichts mehr, als ein letztes Mal in seinem Leben Jakobsmuscheln zu essen. Hansen bereitete sie ihm zu. Zwei Tage später starb der Mann. "Das war sehr bewegend", sagt der Koch.
Arbeit lehrt Dankbarkeit für das Leben
24 Tage sind seine Gäste, wie die Hospiz-Bewohner hier genannt werden, im Durchschnitt im Haus. Manche versterben schon nach einem Tag, andere bekocht Kent Hansen mehrere Monate. Er sagt, durch seine Arbeit im Hospiz habe er die Angst vor dem Tod ein Stück weit verloren. "Man wird hier viel mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert." Trotzdem falle es ihm nicht immer leicht, Abschied zu nehmen, wenn er eine emotionale Bindung zu einem Gast aufgebaut habe. In solchen Fällen, sagt er, folgt er einem Ritual: Er geht an der Zimmertür des verstorbenen Gastes vorbei, hält einen Moment inne und legt die Hand auf die Brust - dorthin, wo sein Herz schlägt. Der Kontakt zu den Menschen im Hospiz habe ihn Dankbarkeit gelehrt, sagt Hansen. Dankbarkeit für das Leben.