Klimaneutral wohnen: Machbar, aber nicht zum Nulltarif

Stand: 12.09.2024 15:03 Uhr

Bis zum Jahr 2040 will Schleswig-Holstein das erste klimaneutrale Industrieland werden. Ein wichtiger Baustein sind dabei Wohngebäude, die für ein Drittel der CO2-Emissionen sorgen. Wie das geändert werden kann, zeigt jetzt eine Machbarkeitsstudie.

von Julia Schumacher

Wie heizen, wie dämmen, damit ein Wohngebäude möglichst klimaneutral ist? Bislang war das Kredo: möglichst schnell weg von fossilen Heizarten und so viel dämmen wie möglich. Das ist teuer und aufwändig und bereitet vielen Hausbesitzern und Mietern Sorgen. Denn auch Mieter werden an den Kosten beteiligt.

Eine wichtige Erkenntnis der Machbarkeitsstudie des Innenministeriums und der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen ist, so Bauministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU), "dass der Sanierungsstand besser ist als vermutet. Das ist eine erfreuliche Nachricht." Die Studie gebe ein detailliertes Bild des Wohnungsbestandes. Viele Gebäude können bereits jetzt, oder nach geringfügigen Anpassung, mit Fernwärme oder einer Wärmepumpe betrieben werden.

"Auf Grundlage der jetzt vorliegenden Studie schlagen wir vor, die Sanierungsmaßnahmen am Gebäudebestand auf das zwingend Notwendige zu begrenzen." Bauministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU)

Im Fokus: Häuser, die vor 1979 gebaut wurden

Der Hauptfokus beim Thema Klimaneutral Wohnen muss nach Erkenntnissen der Studie auf den Gebäuden liegen, die vor 1979 errichtet wurden und die am geringsten modernisiert sind. Das sind etwa 20 Prozent des Wohnungsbestandes im Land. "Der Anteil ist mit 20 Prozent immer noch relativ groß, aber nicht so hoch, wie wir es befürchtet haben", sagt Sütterlin-Waack.

In den meisten Gebäuden dieser 20 Prozent könnten zuerst Wärmepumpen oder andere Techniken der umweltfreundlichen Wärmeerzeugung eingebaut werden. Danach reiche eine moderate Sanierung und vor allen Dingen eine Sanierung entsprechend dem Sanierungszyklus des Gebäudes. Heißt: nur ersetzen und neu anschaffen, was nicht mehr funktioniert.

Heiße Ware: Installateur Michael Nöhrenberg liefert mit einem Kollegen eine Wärmepumpe aus © NDR
Einbau einer Wärmepumpe: Luftwärmepumpen gibt es laut Professor Walberg für 20.000 Euro.

Die Kosten für dieses Vorgehen beziffert die Studie bis 2045 auf rund 82,5 Milliarden Euro. Ursprünglich war das Innenministerium von rund 140 Milliarden ausgegangen. Unklar ist noch, ob es von Seiten des Bundes oder des Landes Förderprogramme geben wird. "Wenn wir so vorgehen, können wir die Ziele der Wärmewende im Gebäudebestand sehr viel kostengünstiger für alle erreichen", sagt Bauministerin Sütterlin-Waack.

"Zum Nulltarif werden wir die Klimaneutralität nicht kriegen. Das wissen wir." Bauministerin Sütterlin-Waack (CDU)

Wichtiger als gute Dämmung: Klimaneutrale Wärme und Energie

Viel wichtiger als in die maximale Dämmung von Gebäuden zu investieren ist es, Wärme und Energie aus klimaneutralen- oder armen Quellen zu bekommen. Also Heizen mit Strom aus erneuerbarer Energie oder Fernwärme. "Wir haben festgestellt, dass wir mit unseren Möglichkeiten am Gebäude an eine gewisse Endlichkeit gekommen sind", sagt Professor Dietmar Walberg, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE SH).

Walberg geht davon aus, dass 80 bis 90 Prozent der Modernisierungskosten auf Mieter und Mieterinnen umgelegt werden könnten. Seiner Berechnungen zufolge würde sich das auf den Mietpreis pro Quadratmeter mit einem Plus von ein bis zwei Euro auswirken - wenn man von einer moderaten Sanierung im Bereich des Notwendigen ausgeht.

Kritik von Wohnungsunternehmern

Ein Mann klebt Polystyrolplatten an eine Hausfassade. © Fotolia.com Foto: sima
Dämmen reicht nicht, um klimaneutral zu werden. Es kommt vor allem auf den Energieträger an.

Andreas Breitner, Direktor vom Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), hält es angesichts der hohen Kosten für ausgeschlossen, dass das Ziel emissionsfrei bis 2040 überhaupt erreicht werden kann. Er befürchtet, dass entweder Mieter oder Vermieter komplett überfordert würden. Die Vermieter "werden umlegen müssen, was wir umlegen können, weil wir keine andere Refinanzierungsmöglichkeit haben." Breitner geht von einem Plus von vier Euro pro Quadratmeter aus. Er sagt auch, dass es angesichts der Kosten wichtig ist, mehr grüne Energie in die Netze zu bekommen: "Dann ist das Dämmen und Dichten des Hauses nachrangig."

SSW: Bei "klimaneutral" auch "sozial" nicht vergessen

Ähnliche Kritik äußern auch die Fraktionen von SSW, SPD und FDP. Wohnen im Land werde immer teurer - und am Ende bleibe es an den Mietern und Hausbesitzern hängen. Lars Harms vom SSW mahnt, bei "klimaneutral" auch "sozial" nicht zu vergessen. Bernd Buchholz von der FDP sagt: "Der Ersterwerb von Eigentum wird immer schwieriger, insbesondere für Familien." Und Thomas Hölck von der SPD stellt fest: "Dass die Menschen im Land Angst vor dieser Entwicklung haben, liegt auf der Hand. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist jetzt schon eklatant."

Bina Braun von den Grünen, die Teil der Regierung sind, hebt hingegen hervor, dass die Klimaziele durch den Einsatz von Wärmepumpen erreicht werden können. Die Studie räume mit unsinnigen Vorurteilen auf. Lob kommt auch von Michel Deckmann (CDU): "Die heute vorgestellte Machbarkeitsstudie zeigt, dass die Klimaneutralität des Gebäudebestands im Land möglich ist!"

Energieberater: Optimieren geht auch günstig

"Es muss wirklich jetzt losgehen", sagt auch Jelle Govers von der Interessensvertretung der Energieberater in Norddeutschland (GIH Nord). Auch der hauptberufliche Schornsteinfeger sieht besonders bei vor 1980 erbauten Gebäuden großes Optimierungspotenzial. Und nicht immer muss es teuer sein, das Gebäude effizienter zu machen. Laut Govers könne das auch mit kleineren Anpassungen gelingen. Der Energieberater empfiehlt, sich zunächst mit den Einstellungen der Heizungsanlage auseinanderzusetzen oder die Dichtheit der Fenster zu überprüfen. Außerdem hätten viele ältere Gebäude eine Luftschicht zwischen der Außenwand und dem Mauerwerk - die könne man mit einer Dämmung füllen. Das koste nicht viel und werde staatlich gefördert.

Weitere Informationen
"Zu vermieten" steht auf einer Plane, die an einem Balkon-Geländer einer Neubau-Wohnung angebracht ist. © picture alliance Foto: Daniel Karmann

Bauen in SH: Weniger Kosten durch geringere Standards

Beim sozialen Wohnungsbau könnten weniger Standards weniger Miete bedeuten. Auch der Bund hat Interesse an dem Vorschlag mehr

Baukräne im Sonnenlicht. © Karl-Josef Hildenbrand/dpa Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Trotz Baukrise: Tausende neue Wohnungen in SH

Obwohl die Baukosten stark gestiegen sind, sind in Schleswig-Holstein 2023 mehr Wohnungen fertig gestellt worden als im Vorjahr. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 12.09.2024 | 12:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Wohnungsmarkt

Nachrichten aus Schleswig-Holstein

Die Fassade der Batteriefabrik Northvolt. © picture alliance Foto: Britta Pedersen

Drohende Insolvenz: Northvolt startet Sanierung in den USA

Der Batteriehersteller will in einem Chapter-11-Verfahren neue Gelder einwerben. In Heide soll der Bau weitergehen. mehr

Videos

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?