"Kein Täter werden": Hilfe für Pädophile am UKSH in Kiel
Geschätzt ein Prozent aller Männer hat pädophile Neigungen. Nicht alle begehen Übergriffe oder konsumieren Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern - viele schaffen es, die Neigungen zu kontrollieren. Unterstützung leistet das Präventionsprojekt "Kein Täter werden" am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel.
Angefangen hat alles mit FKK-Magazinen, erzählt Henning F. (Name geändert). "Heute ist das längst untersagt, aber früher gab es noch Publikationen mit Nacktbildern - auch von Kindern und Jugendlichen." Auf diese Bilder reagierte er besonders stark. In seinen Zwanzigern wurde Henning F. bewusst, dass er hebephil ist - dass er sich von Kindern und Jugendlichen im Pubertäts-Alter angezogen fühlt.
Später konsumierte er dann auch illegale Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern - eine schwierige Phase in seinem Leben, sagt Henning F. "Damals hatte ich bereits Therapiestunden in Anspruch genommen." Über 15 Jahre sei das her. "Ich war sicher, ich hätte es völlig überwunden. Zu sicher."
Abgerutscht in ein "sexuelles Gefühl"
Henning F. ist heute in den Fünfzigern, hat einen hohen akademischen Abschluss, führte Beziehungen mit erwachsenen Frauen. Seine hebephile Neigung hatte er als kontrollierbaren Teil seiner Sexualität verbucht - bis zu dem Tag, an dem er sich nicht mehr im Griff hatte. "Ich war mit Kindern von Freunden in der Sauna, hinterher wurde noch getobt" erzählt er. "Was für ein einzelnes Kind ein lustiges Spiel war - das Handtuch des anderen wegzuziehen - hatte für mich plötzlich eine sexuelle Komponente." Er merkte, dass er "in ein sexuelles Gefühl" gerutscht sei. Er habe das Spiel abgebrochen - jedoch zu spät, sagt er.
Viele Betroffene verurteilen sich für ihre Neigungen
Daraufhin lässt sich Henning F. im Rahmen des Präventionsprojekts "Kein Täter werden" am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel (UKSH) behandeln. Viele Patienten erzählen hier zum ersten Mal von ihren Neigungen, sagt Psychotherapeutin Nora-Frederike Hoffmann, die Hennig F. begleitet. Die meisten von ihnen verurteilen sich stark dafür. Zu Unrecht, sagt die Therapeutin: "Erstmal besteht keine Schuld. Die Neigung ist da, oft hat sie sich schon in der Pubertät entwickelt. Das Verhalten an sich kann aber verändert werden."
In der Therapie wird dann an einem geschärften Bewusstsein gearbeitet - und an konkreten Verhaltensänderungen. Die Patienten hätten oft das Gefühl, unerwartet in kritische Situationen zu geraten, sagt Prof. Dr. Christian Huchzermeier, Leiter des Instituts für Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am UKSH. Oft hätten sie sich jedoch selbst hineinmanövriert: "Jemand beschließt, einen Spaziergang zu machen. Er geht nicht wie geplant durch den Park, sondern steuert einen Spielplatz an. Geht aber nicht weiter, sondern setzt sich hin. Nimmt Kontakt mit einem Kind auf, nimmt es womöglich mit nach Hause - und fragt sich, wie das passieren konnte."
Im Programm lernen die Patienten, solche Handlungsketten möglichst früh zu durchbrechen. Auch Henning F. hat trainiert, Warnzeichen eines solchen "Moduswechsels" zu erkennen, um im erwachsenen und rationalen Zustand zu bleiben.
Kritik: Täter- statt Opferschutz?
Den Teilnehmern wird auch klargemacht, welche Traumatisierungen sexuelle Übergriffe bei jungen Opfern auslösen können. Einige Patienten denken, manche Kinder seien "reif" für sexuelle Handlungen - auch solche falschen Überzeugungen werden in der Therapie ausgeräumt. 2005 ist das Projekt "Kein Täter werden" an der Berliner Charité gestartet, seit 2009 gibt es das Angebot auch am UKSH. Seitdem haben dort knapp 80 Patienten die Therapien abgeschlossen, rund 20 seien aktuell in Behandlung.
Manche Opferschutz-Institutionen äußern Kritik am Projekt: Man schütze vor allem potentielle Täter - unter anderem durch die zugesagte Schweigepflicht. Projektleiter Huchzermeier hält dagegen: "Wenn wir verhindern können, dass ein Kind zum Opfer wird, dann würden wir auch die Schweigepflicht brechen." Bisher sei das jedoch nicht nötig gewesen.
Patienten können ein zufriedenes Leben führen - ohne Übergriffe
Die pädophile Neigung bleibt ein Leben lang, sagt Psychotherapeutin Nora-Frederike Hoffmann - durch die in der Therapie erlernten Kontrolle nimmt sie jedoch weniger Raum ein. "Der Patient kann es schaffen, ein zufriedenes Leben zu führen." Auch Henning F. geht es dank der rund einjährigen Therapie besser. "Ich habe wieder eine Sicherheit über mein eigenes Handeln - dass es in keiner Form zu einem sexuell übergriffigen Verhalten kommen kann. Diese Sicherheit hatte mir gefehlt."