VIDEO: Aktionstag "glücklicher Leben" an der Emil-Possehl-Schule (1 Min)

Brüllen statt weinen: Depressive Männer ticken oft anders

Stand: 10.05.2023 20:24 Uhr

15 von 100 Frauen werden jedes Jahr depressiv - jedoch nur zehn von 100 Männern. Möglicherweise werden Depressionen bei vielen Männern nicht diagnostiziert - denn manchmal zeigen sie sich anders als mit der typischen gedrückten Stimmung.

von Astrid Wulf

Ein junger Mann mit langen Haaren sitzt vor einem Gebäude und blickt in die Kamera. © NDR Foto: Astrif Wulff
Als Paul depressiv war, haben ihm Gespräche mit Lehrern geholfen.

Eine große, innere Leere - so beschreibt Paul sein Gefühl, als er mitten in der Depression steckte. Mit 13 Jahren wurde er krank. "Angefangen hatte es mit Schulstress, dazu hatte ich falsche Freunde", erzählt der heute 18-Jährige. In seinem Kopf kreisten Selbstzweifel, er schottete sich ab, saß viel am Rechner, wurde aggressiv. "Ich habe Gegenstände zerstört, meine Brille zum Beispiel." Er war niedergeschlagen, sah kaum noch Positives in seinem Leben. Mehrmals habe er versucht, sich das Leben zu nehmen.

Schulpsychologin: Mehr Konzentrationsschwierigkeiten und Schlafprobleme

"Ich wollte zunächst mit niemandem darüber reden", berichtet Paul. Irgendwann wendete er sich an einen Vertrauenslehrer. Die Gespräche mit ihm und seinem Klassenlehrer haben ihm durch diese Phase geholfen, eine Therapie sei nicht nötig gewesen, sagt Paul. Heute macht er einen MSA - ehemals Realschulabschluss - an der Emil-Possehl-Schule in Lübeck. Dort arbeitet Schulpsychologin Dorothea Kater. Sie hat viel zu tun: Viele Schülerinnen und Schüler kommen mit Schlaf- und Konzentrationsproblemen zu ihr. "Immer mehr schaffen es gar nicht mehr, aus dem Bett hierher zu kommen", berichtet Kater.

VIDEO: Schulpsychologin Dorothea Kater zu Depressionen bei Jugendlichen (2 Min)

Jungen fällt es oft nicht leicht, über psychische Probleme zu sprechen

Mehr als 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler an der Emil-Possehl-Schule sind männlich, im Berufsschulzweig werden viele von ihnen in technischen und handwerklichen Berufen ausgebildet. Dorothea Kater merkt, dass es Jungs und jungen Männern oft schwerer fällt, über psychische Probleme zu sprechen. Sie ist auch an einer Schule für soziale und pädagogische Berufe im Einsatz, da sei die Offenheit größer: "Überhaupt mit mir über diese Themen zu sprechen. Zum Selbstverständnis einer Erzieherin gehört es eher, sich zu reflektieren - das gehört auch zur Ausbildung dazu."

Psychiatrie-Chef: Viele Männer greifen eher zum Glas, als sich helfen zu lassen

Ein Mann mit Brille trägt einen blauen Anzug und lächelt dabei in die Kamera vor einem neutralen Hintergrund. © SoulPicture
Schwerpunkt von Stefan Borgwardts interdisziplinär ausgerichteter Forschung ist die Früherkennung psychischer Erkrankungen.

Ein weiteres Problem: Erkranken Männer an einer Depression, zeigt sie sich nicht immer durch Niedergeschlagenheit und dem Bedürfnis, sich zurückzuziehen. Manche werden aggressiv - so wie es auch Paul erlebt hat - fühlen sich scheinbar grundlos wütend und gereizt, sagt Professor Stefan Borgwardt, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Lübeck. "Deshalb sind Depressionen bei Männern schwerer zu erkennen und werden weniger diagnostiziert." Dazu suchten sich Männer auch seltener Hilfe - anders als Frauen. Männer versuchten eher, sich zum Beispiel mit Alkohol und Drogen selbst zu helfen und gehen das Risiko ein, zusätzlich zur Depression in eine Suchterkrankung hinein zu rutschen.

So schnell wie möglich einen Termin vereinbaren

Eltern von Jugendlichen und jungen Männern empfiehlt Stefan Borgwardt, auf die Anzeichen einer möglichen Depression zu achten. "Was Angehörigen oft auffällt, ist der soziale Rückzug - dass sie sich nicht mehr mit Freunden treffen, nur noch am Rechner sitzen, Alkohol, Cannabis oder andere Drogen konsumieren", erklärt der Mediziner. Anlaufstellen für Angehörige und die Betroffenen selbst können Hausärztinnen und Hausärzte sein. In und rund um Lübeck bietet das UKSH und die Kinder- und Jugendpsychiatrie der Diakonie Nord Nord Ost Gespräche an. Je schneller die Betroffenen sich helfen lassen, desto besser. Auch Schulpsychologin Dorothea Kater hofft, dass sich ihre Schüler - wie auch ihre Schülerinnen - möglichst früh trauen, über ihre Probleme zu sprechen: "Was bei uns ankommt, ist die Spitze des Eisberges."

Paul: "Ich musste hart an mir arbeiten."

"Es geht mir gut", sagt Paul heute. Er ist froh, dass er es aus der Depression heraus geschafft hat - einfach sei es nicht gewesen. "Ich musste hart an mir arbeiten", berichtet er. Heute sieht er wieder optimistisch in seine Zukunft. Nach seinem Abschluss will er eine Ausbildung machen: "Irgendetwas Soziales. Ich merke: Es hilft mir am meisten, wenn ich anderen helfen kann."

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 10.05.2023 | 19:30 Uhr

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Psychische Erkrankungen

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