Psychische Probleme: Studierende sorgen sich um Verbeamtung

Stand: 08.05.2023 05:00 Uhr

Depressionen, Ängste, Panikattacken: Viele Studierende sind psychisch krank, schrecken aber vor einer Therapie zurück. Die Sorge: Sie könnten später wegen ihrer Krankenakte nicht verbeamtet werden.

von Johannes Tran

Immer wieder diese Übelkeit. Maria Schmidt* kann kaum etwas essen, muss sich ständig übergeben. Sie ist antriebslos, schläft schlecht, kann sich nicht aufs Lernen konzentrieren. "Ich habe mich gefragt, ob ich das Studium abbrechen soll", sagt sie.

Immer wieder diese Kopfschmerzen. Migräneattacken. Stress. Versagensängste. Sofia Müller* liegt im Bett, apathisch, kann das Haus nicht verlassen. Ihre Freunde schicken ihr Nachrichten, sie schreibt nicht zurück. "Es gab Phasen, da wusste ich nicht weiter", sagt sie.

Studie: Jeder sechste Studierende ist psychisch krank

Dies ist die Geschichte zweier Jurastudentinnen an der Universität Kiel. Eigentlich heißen sie anders. Unter der Bedingung, dass sie anonym bleiben, sind sie bereit, offen über ihre psychischen Probleme zu sprechen, die sie während ihres Studiums immer wieder quälen. Und die sie irgendwann vor die Frage stellen: Sollen sie eine Therapie beginnen?

Es ist eine Frage, die viele junge Menschen umtreibt. Eine Studie der Barmer-Krankenkasse kam zu dem Ergebnis, dass etwa jeder sechste Studierende von einer psychischen Krankheit betroffen ist. Besonders verbreitet sind demnach Depressionen. "Für Abertausende entpuppt sich die Uni als wahrer Albtraum", erklärte die Krankenkasse anlässlich der Veröffentlichung der Studie.

Fachschaft Jura: Studierende leiden still an Problemen

Viele Studierende stehen irgendwann am selben Punkt wie die Kieler Jurastudentinnen: Durchhalten? Oder professionelle Hilfe in Anspruch nehmen? Die Fachschaft Jura an der Universität Kiel schreibt: "Uns allen sind Fälle von Personen bekannt, die still an Problemen leiden und diese dann entweder das ganze Studium mit sich rumtragen oder irgendwann brechen und sich dann in Behandlung begeben."

Ein Grund, weshalb viele Studierende vor einer Therapie zurückschrecken: Wer später verbeamtet werden will, muss dafür eine Untersuchung beim Amtsarzt hinter sich bringen. Kommt der Arzt dabei zu dem Schluss, dass ein Anwärter mit hoher Wahrscheinlichkeit frühzeitig aus dem Dienst ausscheiden wird - etwa aufgrund einer in der Vergangenheit diagnostizierten psychischen Erkrankung - besteht die Möglichkeit, dass die Verbeamtung scheitert.

Psychiater: "Da muss sich dringend etwas ändern"

"Mir war klar, dass eine Diagnose dazu führt, dass das dann in irgendeiner Kartei steht", sagt Maria Schmidt. "Und dass ich damit Probleme bei der Verbeamtung bekommen könnte." Auch ihre Kommilitonin ringt lange mit sich, ob sie eine Therapie beginnen soll. "Ich will später Richterin werden", sagt Sofia Müller. "Ich hatte Angst, dass das dann nicht klappen könnte. Dass mir dieser Weg dann verbaut ist."

Dass Studierende mit psychischen Problemen aus Angst vor beruflichen Nachteilen keine Therapie beginnen, sei kein Einzelfall, berichtet der Itzehoer Psychiater Arno Deister, Vorsitzender des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit. "Da muss sich dringend etwas ändern. Diese Sorge sollte man den Menschen nehmen."

Landesregierung: Therapie führt "nicht zwangsläufig" zum Scheitern der Verbeamtung

Eine Jurastudentin ist unscharf im Hintergrund zu sehen, im Vordergrund steht Fachliteratur. © NDR
Einfach weitermachen, das sagen sich viele Studierende. Experten raten davon dringend ab.

Der Psychiater sagt: "Das Falscheste, was man tun kann, ist, nicht rechtzeitig in Therapie zu gehen." Je früher eine psychische Erkrankung behandelt werde, desto besser sei in der Regel der Krankheitsverlauf. "Der Staat hat hier als Arbeitgeber aus meiner Sicht eine besondere Fürsorgepflicht."

Offizielle Zahlen dazu, wie vielen Anwärtern aufgrund einer psychischen Erkrankung die Verbeamtung verweigert wird, gebe es nicht, schreibt die Landesregierung auf Anfrage. Eine Sprecherin der Staatskanzlei erklärt aber, eine Therapie führe "nicht zwangsläufig dazu, dass eine Verbeamtung wegen fehlender gesundheitlicher Eignung abgelehnt wird." Weiter heißt es: "Die Befürchtung, dass psychotherapeutische Maßnahmen im Vorwege eine Verbeamtung generell faktisch ausschließen, ist keinesfalls zutreffend."

"Ich hatte Glück, dass ich Freunde und Familie hatte"

Feststeht: Bei vielen Studierenden mit psychischen Problemen hält sich große Unsicherheit, wie sich eine Diagnose auf ihre Verbeamtung auswirken könnte. Die Kieler Jurastudentin Sofia Müller hat sich unter anderem aus diesem Grund gegen eine Therapie entschieden. "Ich hatte Glück, dass ich Freunde und Familie hatte, die mir in dieser dunklen Zeit geholfen haben", sagt sie. Mittlerweile geht es ihr deutlich besser. Manchmal, sagt sie, habe sie es aber bereut, keine professionelle Hilfe in Anspruch genommen zu haben. "In einer Therapie hätte ich gelernt, wie ich langfristig besser mit Stress umgehe, den ich auch jetzt noch habe."

Jurastudentin: Therapie hat mir Lebensfreude zurückgegeben

Ihre Kommilitonin Maria Schmidt hat dagegen trotz ihrer anfänglichen Bedenken eine Langzeittherapie begonnen. "Ich bin richtig froh darüber. Es hat mir meine Lebensfreude zurückgegeben", erzählt sie. Sie hofft, dass sie später einen Arbeitgeber findet, für den ihre Krankenakte keine Rolle spielt. Sie sagt: "Ich würde mir wünschen, dass jeder eine Therapie machen kann, der das möchte - ohne Angst vor den Konsequenzen."

*Namen geändert

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 08.05.2023 | 19:30 Uhr

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