Flensburger diskutieren mit Habeck über Krieg, Ängste und Zeitenwende
Auf der "Zeitenwende on tour" - einem Diskussionsformat der Münchner Sicherheitskonferenz - sprechen Experten vor Ort mit den Menschen über Sorgen und Ängste im Zuge des Kriegs in der Ukraine. Am Donnerstagabend traf das Gespräch mit Robert Habeck in Flensburg auf großes Interesse.
Die Werfthalle der Flensburger Schiffbaugesellschaft war bis auf den letzten Platz besetzt. Rund 300 Flensburgerinnen und Flensburger hatten sich für die Diskussionsrunde "Zeitenwende on tour" angemeldet, 100 weitere standen auf der Warteliste. Auf dem Podium saßen unter anderem der Botschafter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, sowie Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Sarah Kirchberger, die Akademische Direktorin am Institut für Sicherheitspolitik an der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Viele Besucher hatten an dem Abend jedoch vor allem Fragen an Habeck.
Einige Besucher hatten konkrete Erwartungen
Was bedeutet die viel zitierte Zeitenwende konkret für die Menschen in Schleswig-Holstein, für die Menschen in Flensburg? Wie umgehen mit Klimaschutz, Energiekrise und Waffenlieferungen? Der Krieg fühlt sich für viele auf einmal so nah an. Und irgendwie sind ja auch gerade die Flensburger nah dran: Immerhin werden bei der Flensburger Fahrzeugbau Gesellschaft (FFG) derzeit um die 100 Panzer für den Kriegseinsatz in der Ukraine fit gemacht - und rund 35 Kilometer weiter südlich war der Fliegerhorst in Jagel im Juni Dreh- und Angelpunkt einer der größten Verlegeübungen seit Bestehen der NATO.
Einige Besucher hatten ganz konkrete Erwartungen an den Informationsabend mit den Experten. "Ich erwarte mir Aufklärung, was die Zeitenwende für die ganze Region bedeutet", sagte Sven Richter aus Flensburg. "Man liest viel Pro und Kontra, ich hätte gern ein Statement, wie es bei der FFG weitergeht", fügte er hinzu. Marianne Pletzing, die an der Volkshochschule Integrationskurse für Geflüchtete gibt, wünscht sich weniger Bürokratie für die Kursträger. "Nur ein Welcome-Center in Kiel, das reicht nicht", sagte sie auf zu NDR Schleswig-Holstein. Eine andere junge Frau war gespannt auf die Debatte zur Energiepolitik in Zusammenhang mit der Sicherheitspolitik. Und John Morten Schulze aus Flensburg fragte sich, welche Konzepte Habeck nach zwei Quartalen ohne Wachstum habe.
Regionales war kein Thema
Um regionale Themen ging es am Donnerstagabend aber nicht. "Es war klar, dass es jetzt nicht um das deutsch-dänische Grenzgebiet, die FFG oder was immer gehen soll. Sondern dass es um die Ukraine und globale Sicherheitsfragen geht. Ich hoffe, das nicht zu viele Leute enttäuscht waren", sagte Vizekanzler Habeck auf Nachfrage von NDR Schleswig-Holstein, warum regionale Themen nicht aufgegriffen worden sind. Außerdem wurde im Verlauf der Diskussion in der Werfthalle schnell klar, dass die Zeitenwende komplex ist. Die Frage eines Besuchers, wie man schneller mit den Erneuerbaren Energien vorankäme, war noch eine der einfachsten. "Alles geht zu langsam in Deutschland", stimmte ihm Habeck zu und beklagte die nicht wettbewerbsfähigen Genehmigungsverfahren. "Darüber könnte ich Lieder schreiben", ergänzte der Wirtschaftsminister fast lakonisch. Da müsse man schneller werden, nicht zwölf Jahre brauchen, sondern ein Jahr.
"Die hören nicht zu"
Eine Besucherin hatte einen Tipp für Habeck: "Sie müssen die Zeitenwende strukturiert angehen. Die Menschen haben Angst", sagte Frauke Reese, die 30 Jahre lang für ein Energieunternehmen gearbeitet hatte. Die Menschen hätten viele Fragen, die nicht beantwortet würden. "Damals haben wir russisches Gas verkauft, jetzt haben die Menschen Solarzellen aus China auf dem Dach. Da haben wir die nächste Abhängigkeit", ärgerte sie sich. Zudem habe sie den Eindruck, dass nicht nur in der Politik, sondern auch hier niemand zuhöre. "Das ist eine Feigenblattveranstaltung." Eine andere Besucherin fand die Diskussion der Experten spannend, aber auch, "dass das eine Veranstaltung der Veranstalter" sei. Spannend, aber zu abstrakt.
Bei Waffenlieferungen wurde es emotional
Und es gab auch hitzige Diskussionen. Ausgelöst durch das Statement einer pensionierten Ärztin. Sie verwies darauf, dass täglich Hunderte Soldaten in der Ukraine sterben und bezeichnete die Regierung als Hochverräter, weil sie Waffen in ein Kriegsgebiet liefere. Habeck konterte: "Ich akzeptiere Pazifismus, aber das ist eine moralische, keine politische Haltung. Und hier muss man schon Opfer und Täter nennen - Russland hat diesen Krieg angezettelt." Ein anderer Besucher kritisierte die Waffenlieferungen ebenfalls und bezeichnete die Teilnehmer der Podiumsdiskussion als "arrogante kleine Putins." Eine Beleidigung, so Habeck, gegen die er sich verwahre.
Heusgen: "Man muss vor Ort diskutieren"
Der Botschafter der Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, zeigte sich zufrieden mit der vollbesetzten Werfthalle und betonte die Wichtigkeit der Diskussionstour. "Es gelingt nicht immer, Antworten zu finden, weil die Fragen sehr komplex sind. Aber wir hatten bei allen Veranstaltungen den Eindruck, dass die Leute das sehr geschätzt haben, ihre Fragen zu stellen." Auch, wenn sie nicht die eine zufriedenstellende Antwort bekämen, so Heusgen weiter. Denn die hätten auch die Politiker nicht.