Flensburger Fußballer kämpft sich aus dem Abseits
Zur kommenden Saison wechselt Nico Empen vom SC Weiche Flensburg 08 zu Rot Blau Obere Treene. Der Mittelstürmer hat in den vergangenen zwei Jahren eine harte Zeit durchgemacht.
Der Konter läuft. Der Ball geht nach außen. 6 gegen 3. Im Zentrum sprintet Nico Empen in die Lücke zwischen zwei Verteidiger, bekommt den Ball und schießt aufs Tor. Der Torwart hält den Ball, Empen ärgert sich. Es ist eine Trainingsszene, die sich auf Fußballplätzen im ganzen Land ereignen könnte. Doch hier in Flensburg hat sie einen besonderen Hintergrund.
Denn dass der 27-Jährige wieder mittendrin ist im Team des Regionalligisten und an der Vorbereitung für das anstehende Spiel teilnehmen kann, ist keine Selbstverständlichkeit. "Es gab Zeiten, wo ich das einfach nicht konnte. Da konnte ich nicht arbeiten, nicht trainieren, nicht Autofahren und nicht spazieren gehen. Die Angst, dass mir etwas passiert, war ständig präsent. Ich wollte am liebsten nur zu Hause bleiben und den ganzen Tag schlafen", blickt Empen auf seine Angststörung zurück.
Ein EM-Spiel als Auslöser
Am 12. Juni 2021 spielt Dänemark bei der Fußball-EM gegen Finnland. Während des Spiels bricht der dänische Stürmer Christian Eriksen plötzlich zusammen. Herzstillstand. Rettungskräfte müssen den Dänen noch auf dem Platz wiederbeleben. Die Spieler auf dem Rasen und die Fans im Stadion sind geschockt. Auch Empen vor dem Bildschirm ergeht es so. In dem Flensburger lösen die Szenen etwas aus.
Die ersten Panikattacken
Einen Monat später auf dem Rückflug aus dem Urlaub bekommt Empen seine erste Panikattacke. Er kann sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht einordnen, denkt an Flugangst. Doch die Momente, in denen er Angstzustände bekommt, treten auch auf dem Boden auf. In dieser Zeit lernt Empen seine heutige Freundin kennen. "Wir waren im Restaurant essen und da hatte ich plötzlich so ein Ziehen in der Brust. Das war ganz am Anfang unserer Beziehung. Und ich hatte sofort so eine Angst, eine Panikattacke und bin direkt auf Toilette. Dann hab ich ihr gesagt, dass es mir gar nicht gut geht und wir sind da auch direkt gegangen. Zu Hause habe ich mich ins Bett gelegt und um 18 Uhr oder so bereits geschlafen. Das war das erste Mal, dass sie das hautnah miterlebt habe, wie es ist, wenn ich eine Panikattacke nicht unter Kontrolle kriege, was ich da ja noch gar nicht konnte", erzählt der gebürtige Husumer heute offen.
Der Weg vom Sportplatz in die Klinik
Nico Empen sucht sich Hilfe und wendet sich an seine Mannschaftsbetreuer beim SC Weiche Flensburg 08. Die vermitteln ihn an Dr. Frank Helmig, den Chefarzt der Flensburger Diako-Fachklinik für Psychiatrie. Nach ersten Gesprächen entschließt sich der Mittelstürmer in die dortige Tagesklinik zu gehen.
Im September 2021 taucht Empen in der Kabine im Manfred-Werner-Stadion in Weiche auf. Zwei Spiele hat er in der angefangenen Saison bis dahin als Einwechselspieler mitgemacht. Dann weiht der Mittelstürmer seine Mitspieler in seine Erkrankung ein. Erzählt ihnen, dass er sich für mehrere Wochen in einer Tagesklinik behandeln lassen will. Keine Zweikämpfe im Fußball, dafür die Konfrontation mit den eigenen Ängsten. Für ihn eine harte Zeit: "Ich war acht Stunden täglich da, dann kommst du nach Hause. Ich habe sehr viel abgenommen, wenig gegessen, viel geschlafen. Ich war sehr kaputt abends. Also das merkt man dann schon."
Unterstützung aus dem privaten Umfeld
Seine Freundin ist in dieser Zeit sein wichtigster Halt. Auch sie gesteht: "Es war zwar nicht leicht, aber für mich war es klar, dass ich bei ihm bleibe, dass ich ihn so gut es geht unterstütze und einfach alles gebe, damit es ihm wieder besser geht, weil er wollte da nicht drin sein. Ich habe gemerkt, dass es ihm nicht gut ging und deswegen hab ich probiert eine Stütze zu sein." Auch die Mannschaftkollegen untersützen ihn über die sozialen Netzwerke. Ab und an schaut Empen auch wieder im Training als Gast vorbei. Bis er aber wieder allein Auto fahren kann und selbst aktiv am Training teilnimmt vergehen noch ein paar Monate.
Kein Einzelfall, aber viele psychische Erkrankungen bleiben immer noch geheim
Nico Empen ist kein Einzelfall. Bei Dr. Frank Helmig tauchen in der Sprechstunde pro Jahr etwa 20 Leistungssportlerinnen und Sportler auf. Psychische Erkrankungen kommen im Leistungsport laut Helmig genauso häufig vor wie in der normalen Bevölkerung. Die häufigsten Diagnosen: depressive Erkrankungen, Essstörungen und Angsterkrankungen. Alle Formen seien sehr gut behandelbar, nur die meisten Menschen kämen halt nicht in Behandlung. Das gelte sowohl für den Leistungssport als auch die Allgemeinbevölkerung, so Dr. Helmig.
Nach dem Selbstmord des Nationaltorhüters Robert Enke im Jahr 2009, der mehrere Jahre an Depressionen litt, hat aber laut Helmig ein Prozess des Umdenkens begonnen. Die Robert-Enke-Stiftung trägt bis heute viel zur Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen in der Öffentlichkeit bei. Aktuelle Beispiele sind die deutsche Leistungsturnerin Kim Bui und die frühere Biathletin Miriam Neureuther, die ihre Bulimie-Erkrankungen und Esstörungen öffentlich gemacht haben.
Der Weg zurück auf den Platz
Empen schafft es rund sieben Monate nach seiner Erkrankung wieder zurück in Weiches Regionalliga-Mannschaft. Er bekommt am Saisonende in vier Spielen sogar kurze Einsatzzeiten und kämpft sich nach und nach zurück. "Für mich war das erste Training natürlich schon eine echte Überwindung. Meinem Körper die volle Belastung zuzutrauen, in der Hoffnung, dass mir nichts passiert. Es ist gut gegangen. Und es geht seitdem jeden Tag gut", gesteht Empen auf dem Platz. Mitspieler Finn Wirlmann, der Empen schon aus der gemeinsamen Jugendzeit bei Holstein Kiel kennt, freut sich über dessen Umgang mit der Angststörung: "Seitdem er in Behandlung war, sich hat therapieren lassen und sich geoutet hat, finde ich schon, dass man das echt krass merkt, wenn man es mit zehn Jahre vorher vergleicht. Er ist echt ein anderer Mensch, viel reflektierter, viel, viel umsichtiger. Das merkt man schon."
Die Behandlung ist noch nicht zu Ende
Auch beim Autofahren sind es zunächst nur kurze Strecken zum Bäcker, erst in Begleitung, irgendwann allein. Heute versetzt Empen auch ein vorbeifahrender Krankenwagen nicht mehr in Panik. "Diese kleinen Schritte, diese Konfrontation, dass alles gut ist, die helfen mir, dass ich Schritt für Schritt diese Treppe hochgegangen bin. Und ich will nicht sagen, dass ich ganz oben bin. Aber ich habe einen großen, großen Teil geschafft und bin darüber sehr stolz und auch dankbar."
Nico Empen hat gelernt mit seiner Angst umzugehen. Er ist immer noch in Behandlung und trifft sich etwa ein Mal im Monat mit seinem Therapeuten. Mit seinem offenen Umgang will der Flensburger anderen Erkrankten Mut machen. Sich Hilfe zu suchen, ist laut Empen keine Schwäche, sondern zeigt Stärke.