Feuer in Flensburg: Die einen retten, die anderen gaffen
Die Lage beim Großbrand in Flensburg hätte unterschiedlicher nicht sein können: Während einige Ersthelfer sofort versucht haben, die Menschen aus dem brennenden Haus zu holen, zückten andere ihr Smartphone und filmten die dramatischen Szenen.
Die Flensburger Nordstadt ist eng bebaut. Direkt an der Förde liegen mehrere große Industriebetriebe, die Stadtwerke und die Werft. Drumherum befinden sich vor allem Mehrfamilienhäuser. Viele davon sind mehr als 100 Jahre alt, haben Anbauten und zum Teil verschachtelte Hinterhöfe. Auf einer überschaubaren Fläche leben hier insgesamt knapp 5.000 Menschen - viele in einfachen Verhältnissen. Als am Donnerstagnachmittag in einem der Häuser in der Harrisleer Straße ein Feuer ausbrach, bekamen das viele Anwohnerinnen und Anwohner mit. Vor dem Gebäude aus dem Jahr 1900 mit acht Wohnungen im Vorderhaus und vier weiteren im Hinterhaus versammelte sich eine große Menschenmenge - einige halfen, andere gafften.
Ersthelfer retten Leben
Einer der Ersthelfer berichtet im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein, dass er und einige andere Nachbarn mit einer Leiter versucht hätten, die Menschen aus den oberen Stockwerken zu befreien. Mindestens ein Bewohner des Hauses sei nach seinen Angaben aus dem Fenster gesprungen - auf Matratzen, die eilig auf den Bürgersteig gelegt wurden. Andere sollen aus oberen Stockwerken in Müllcontainer gesprungen sein.
"Es waren sehr viele Hilfsbereite vor Ort, die haben hier Matratzen und Container hingestellt, damit die Menschen sich nicht noch mehr verletzen, wenn sie aus dem Fenster springen", sagte die schleswig-holsteinische Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU). "Das schnelle Eingreifen von Passanten hat Menschenleben gerettet", ergänzte Polizeisprecherin Sandra Otte gegenüber NDR Schleswig-Holstein. "Solange sich Menschen nicht Gefahr begeben, ist es Bürgerpflicht, zu helfen", sagte Carsten Herzog, der Chef der Flensburger Berufsfeuerwehr. "Nichts zu tun, ist definitiv verkehrt. Aber auf keinen Fall selber in Gefahr begeben."
Polizei musste Platz schaffen
Die Feuerwehr war nach Angaben von Herzog "sehr schnell", nach etwa acht Minuten, am Einsatzort. Die professionellen Helfer gerieten in eine anfangs völlig unübersichtliche Situation, die sie so in der Fördestadt noch nie zuvor erlebt haben. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich laut Feuerwehr weit mehr als 100 andere Personen auf der Harrisleer Straße und im Hof hinter dem Haus auf. "Viele Menschen standen drumherum und haben mitgefiebert. Das war total außergewöhnlich", sagt Herzog. Er glaubt, dass die vielen Menschen den Einsatz nicht bewusst behindert hätten.
"Einige Personen haben im Guten versucht, den Menschen zu helfen. Die waren aber auch sehr aufgeregt. Wir mussten uns Platz verschaffen für den Einsatz. Dafür brauchten wir die Unterstützung der Polizei." Die Polizei schickte insgesamt 60 Beamte in die Nordstadt, darunter viele Zivilkräfte. Auch Bundespolizisten und Einsatzkräfte des Zolls waren vor Ort. Gemeinsame versuchten sie, die Menschen zurückzuhalten.
43 Menschen sind laut Polizei in dem Gebäude gemeldet. Es sei aber nicht bekannt, wie viele von ihnen sich bei Ausbruch des Feuers in dem Haus aufhielten. Wie ein Augenzeuge berichtet, sei im zweiten Stock des Hauses eine Frau am Fenster ums Leben gekommen. Die Ersthelfer hätten sie mit ihrer Leiter nicht erreichen können. Am Freitag teilte die Polizei mit, dass es sich dabei um eine 70 Jahre alte Frau handelt - die Oma des Vierjährigen, der ebenfalls ums Leben kam.
Gaffer laden Videos hoch
Sascha Grönebaum wohnt direkt in der Nachbarschaft. Er steht auch am Tag danach noch unter Schock, wie er selbst sagt: "Es waren sehr viele Leute da, die versucht haben zu helfen. Es gab auch sehr viele Gaffer, die das einfach nur gefilmt haben." Nach Angaben der Polizei tauchten noch während der laufenden Löscharbeiten mehrere Videos in sozialen Netzwerken auf. Polizeisprecherin Sandra Otte wandte sich am Abend vor Ort mit dieser Information an Journalisten. Zum Inhalt der Videos wollte sie nichts sagen, hat aber eine klare Botschaft an die Gaffer: "Wir haben das Videomaterial gesichert und werden auch strafrechtliche Schritte einleiten." Gleichzeitig rief sie alle, die die Videos erhalten haben, dazu auf, diese nicht weiter zu teilen oder zu verbreiten.
"Das ist null tolerabel. Da sind Menschen ums Leben gekommen und diese Menschen haben Angehörige", sagte Feuerwehrchef Carsten Herzog. Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack äußerte sich bei einem Termin am Freitagmorgen dazu: "Mir fehlt dafür jedes Verständnis. Das ist hochgradig verachtenswert und wird auch strafrechtlich verfolgt." Und weiter: "Das ist furchtbar, dass man Leid von anderen Menschen in die sozialen Netzwerke stellt und sich möglicherweise daran ergötzt." Flensburgs Oberbürgermeister Fabian Geyer (parteilos) sagte bereits am späten Donnerstagabend, er empfinde die filmenden Gaffer als "widerlich".