Fahrradwerkstätten in Schleswig-Holstein sind am Limit
Rund zehn Kundinnen und Kunden am Tag muss Christian Müller wieder wegschicken. Termine hat der Chef der ältesten Fahrradwerkstatt Kiels erst in sechs Wochen wieder. Wie ihm geht es vielen Werkstätten im Land.
Während er gerade eine kaputtes Pedal austauscht, klingelt es vorne im Laden schon wieder an der Tür. Der nächste Kunde in Christian Müllers Fahrradwerkstatt: der Fahrer eines Pizza-Bringdienstes. Um dessen kaputtes Hinterrad und die gebrochenen Speichen kümmert sich Christian Müller sofort. Aber nur, weil er einen Termin hat und Stammkunde ist.
Sechs Wochen Wartezeit
Kundinnen und Kunden ohne Termin muss Christian Müller im Moment auf Mitte Mai vertrösten - oder an andere Fahrrad-Werkstätten verweisen. "Die Aufträge haben so zugenommen", erzählt er, "wenn ich zehn Kunden am Tag wegschicken muss, zähle ich die, die angerufen oder eine Mail geschrieben haben, noch gar nicht mit." An einigen Tagen beantworte er bis 22 Uhr noch Mails. Der 53-Jährige betreibt gemeinsam mit seiner Frau Heike Kiels ältesten Fahrradladen und stellt seit Corona fest, dass geschätzte 30 Prozent mehr Anfragen kommen.
Der Corona-Boom zeigt sich jetzt in den Werkstätten
Lange Wartezeiten haben laut dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) im Moment viele Werkstätten in Schleswig-Holstein. "Da macht sich jetzt der Fahrrad-Verkaufsboom während der Pandemie bemerkbar", sagt Landesgeschäftsführer Jan Voss. "Die Werkstätten konnten nicht schnell genug mitwachsen. Auch, weil es an Fachpersonal fehlt." Dazu kommen immer mehr E-Bikes. Im vergangenen Jahr sind in Deutschland zum ersten Mal mehr Elektroräder verkauft worden als normale Fahrräder. Das zeigen Zahlen des Zweirad-Industrie-Verbands. Und E-Bikes sind ebenfalls wartungsintensiv, weiß auch Christian Müller.
Sieben Räder am Tag - Kunden müssen Geduld haben
Jetzt im Frühling sei besonders viel los, weil alle ihre Räder wieder fit für die Saison machen wollen. Die nächste Kundin fährt mit einem gerissenen Schutzblech vor. Christian Müller kann es auf die Schnelle nur notdürftig befestigen. Auf den Reparatur-Termin muss die Kundin noch warten. "Das verstehe ich zwar", sagt sie und ergänzt: "Ich bin mir aber nicht so sicher, ob das Schutzblech bis dahin hält. Das ist schlecht, weil ich auf mein Fahrrad angewiesen bin." Christian Müller hat schon Kunden erlebt, die geweint haben, erzählt er. "Aber ich kann nicht mehr als arbeiten. Und der Tag hat nur 24 Stunden." Mehr als sieben Fahrräder am Tag schafft er nicht. Auch Christian Müller ist gerade auf der Suche nach einem neuen Mitarbeiter. "Wäre meine Werkstatt größer, könnte ich bestimmt fünf Mitarbeiter beschäftigen."
Er selbst hat vor 30 Jahren als Quereinsteiger angefangen. Seitdem hat sich viel verändert. Zum Beispiel, dass seine Kundinnen und Kunden immer weniger selbst machen. "Einen Schlauch zu flicken, das war früher für die meisten kein Problem", beobachtet Christian Müller. Und so einige Schäden könnten durch die richtige Fahrrad-Pflege verhindert werden. Das Wichtigste: "Das Fahrrad am besten nicht zu lange draußen stehen lassen und vor Feuchtigkeit schützen," rät er. Dann wären seine Wartezeiten vielleicht nicht mehr ganz so lang.