Fachkräftemangel setzt Jugendhilfe in SH weiter unter Druck
Ein breites Bündnis aus Trägern der Jugendhilfe in Schleswig-Holstein fordert bessere Rahmenbedingungen für die stationäre Kinder- und Jugendhilfe. Im Sozialausschuss des Landtages nahm am Donnerstag auch die Landesregierung dazu Stellung.
Es ist ein Beispiel, dass die Folgen einer überlasteten Jugendhilfe aufzeigen soll: Eine junge Frau in einer Jugendhilfe-Einrichtung im Land hält sich eines Tages ein Messer an die Kehle. Die Situation eskaliert weiter, geht glücklicherweise am Ende glimpflich aus. Die Frau kommt ins Krankenhaus, kann aber nicht mehr in die Einrichtung zurückkehren. Stattdessen muss sie in psychische Behandlung - eigentlich. Denn einen Platz wird sie dort nicht bekommen. Der Grund: Die Kapazitäten sind zu knapp. Deshalb muss sie in ihr Elternhaus zurückkehren. Den Ort, den sie einst verließ, weil die Behörden dort ihr Kindeswohl in Gefahr sahen.
Aktionsbündnis Kindeswohl im Sozialausschuss
Von diesem Beispiel berichtete Nicole Schenk am Donnerstag im Sozialausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtag. Sie ist die Geschäftsführerin der Kinder- und Jugendhilfe bei der Norddeutschen Gesellschaft für Diakonie (NGD) und an diesem Tag als Vertreterin des Aktionsbündnis Kindeswohl vor Ort. Gemeinsam mit Lutz Regenberg von der Diakonie Nord-Nord-Ost machte sie erneut auf die prekäre Lage der stationären Kinder- und Jugendhilfe aufmerksam.
Betreuungsbedarf in SH stark gestiegen
Konkret kritisiert das Bündnis, dass der Betreuungsbedarf bei der Jugendhilfe im Land stark gestiegen sei. Im Vergleich zum Vorjahr wurden 2023 laut Bündnis 40 Prozent mehr Jugendliche in stationäre Einrichtungen aufgenommen. Zahlen vom Statistischen Bundesamt decken sich damit und gehen von einem ähnlich hohen Anstieg bei den sogenannten Inobhutnahmen aus.
Gleichzeitig gibt es laut Aktionsbündnis zu wenig Kapazitäten. Es fehle insbesondere an Erziehern. Laut Bündnis ist in vielen Einrichtungen eine Fachkraft für rund zehn Kinder und Jugendliche verantwortlich. Zugleich werde der Beruf aufgrund der hohen Belastung immer unattraktiver, so Nicole Schenk vom Aktionsbündnis Kindeswohl. Schichtdienst und hohe Belastungen tragen ihren Angaben zufolge weiter dazu bei.
"Wir sehen uns als systemrelevante Infrastruktur, denn wir können nicht einfach schließen." Nicole Schenk, Aktionsbündnis Kindeswohl
Gleichzeitig würden die freien Träger mit vielen Risiken allein gelassen. Schenk: "Das wollen wir nicht mehr tragen." Zusätzlich fordert das Aktionsbündnis eine Reform des Betreuungssystems. Träger der Jugendhilfe würden mit Vorgaben arbeiten, auf die man sich in den 1980er-Jahren geeinigt habe, sagte Lutz Regenberg, von der Diakonie Nord-Nord-Ost.
Ministerin Touré: Fachkräftemangel große Herausforderung
Auf Antrag der SPD-Fraktion nahm auch Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) Stellung zur aktuellen Situation der Kinder- und Jugendhilfe. Sie machte deutlich, dass auch sie vor allem im Bereich des Fachkräftemangels große Herausforderungen für den Bereich sehe. "Die Forderungen des Aktionsbündnisses kann ich fachlich nachvollziehen. Allerdings sind die Probleme durch das Land nicht steuerbar", so Touré.
In Schleswig-Holstein sind die Jugendämter vor Ort für Kinder- und Jugendhilfe zuständig. Das Land übernimmt lediglich die administrative Aufgabe über die Jugendämter. Die Verantwortung für die Kinder- und Jugendhilfe, die sich aus dem Sozialgesetzbuch ableitet, liegt damit auf kommunaler statt auf Landesebene.
Änderung des Sozialgesetz im Gespräch
Dennoch sei man mit den Verbänden und auch mit anderen Bundesländern im Gespräch, so Touré. Dabei gehe es auch um die Frage, ob man gemeinsam eine Änderung im Sozialgesetz anstreben soll. Dadurch wolle man die Probleme angehen, die durch mangelnde Kapazitäten entstünden, sagte die Ministerin. Allerdings könne das auch negative Auswirkungen auf Qualitätsstandards haben.
"Wenn wir die Standards absenken, würden wir Plätze schaffen können. Doch das kann nicht die Lösung sein", so Touré. Zuletzt hätte man bei der Jugend- und Familienministerkonferenz im März in Bremen darüber gesprochen, sagte die Ministerin.