Eine Straßenbahn für Lübeck: Irrsinn oder sinnvoll?
In Kiel soll eine Straßenbahn gebaut werden, nun wird auch in Lübeck darüber diskutiert: Einem Gutachten zufolge wäre eine Stadtbahn auch dort durchaus realistisch. Die Lübecker Stadtverwaltung möchte das Projekt trotzdem abhaken.
Die Hansestadt Lübeck gehört zu den wenigen deutschen Großstädten ohne S-Bahn, U-Bahn oder Straßenbahn. Früher gab es eine Stadtbahn, 1959 wurde der Betrieb eingestellt. Lutz Kuwalsky hofft auf ein Comeback. Straßenbahnen seien gegenüber Bussen in vielen Punkten überlegen, sagt der Vorsitzende des Vereins "Tram für Lübeck".
Schlagende Argumente seien die Klimaneutralität, dazu könnten viel mehr Menschen transportiert werden: "Wenn wir eine Buslinie durch eine Straßenbahn ersetzen, haben wir erwiesenermaßen fünfzig bis einhundert Prozent mehr Fahrgäste." Ein weiterer Vorteil: Man kann Fahrräder mitnehmen. Dazu mache der sogenannte "Schienenbonus" Bahnen im Stadtverkehr besonders komfortabel, sagt Lutz Kuwalsky: "Ich kann Kaffee trinken und Zeitung lesen, wenn ich auf Schienen gleite. Besser als im Bus."
ÖPNV-Nutzung in Lübeck soll fast verdoppelt werden
Bis 2035 will die Hansestadt klimaneutral werden, dafür müssten allerdings mehr Lübeckerinnen und Lübecker auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen. Bisher wird nur für rund elf Prozent der zurückgelegten Wege der ÖPNV genutzt. Dieser Anteil soll auf 20 Prozent hochgehen - ein Ziel, auf dass sich die Lübecker Stadtvertretung geeinigt hatte. Ein Gutachten im Auftrag der Stadtvertretung hat durchgespielt, ob es mit Bussen oder Straßenbahnen zu erreichen wäre.
Ein geprüftes Szenario: Ein Straßenbahnnetz mit vier Linien, Bahnen, die im Zehn-Minuten-Takt fahren, umliegende Gemeinden und Stadtteile außerhalb des Zentrums über die Altstadt miteinander verbinden, dazu Anbindungen an das UKSH und den Hochschulstadtteil.
Gutachten: Straßenbahn könnte viele für ÖPNV begeistern
Das Gutachten zeigt: Den Anteil der ÖPNV-Nutzung könne man in Lübeck allein mit Bussen von elf auf maximal 16 Prozent steigern - wenn man mehr als doppelt so viele Fahrzeuge einsetzen würde. Mit einem Straßenbahnnetz könne der Anteil auf rund 15 Prozent hochgehen, es gebe allerdings noch Luft nach oben. Würden Straßenbahnlinien weiter ausgebaut, kann laut Gutachten auch das 20-Prozent-Ziel erreicht werden.
Das alles sei nicht vielversprechend genug, sagt Michael Stödter, der Verkehrswendebeauftragte der Stadt. "Man braucht für solch ein großes Thema eine langfristige Euphorie in der Verwaltung, bei den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern, auch innerhalb der kompletten Stadtgesellschaft. Und von 11,1 Prozent auf 15,4 Prozent zu kommen, hat keine Riesen-Euphorie hervorgerufen."
Dabei sehe auch der Verkehrswendebeauftragte die Potentiale von schienengebundenen ÖPNV-Angeboten: "Straßenbahnen haben eine große Hebelwirkung, wenn es um die Fahrgastzahlen geht. Entsprechend sinnvoll war es, sich mit dem Thema zu beschäftigen."
Stadtverwaltung: Zu teuer, zu viele Baustellen
Die Verwaltung habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, sagt Michael Stödter - nun empfiehlt sie der Stadtvertretung, die Option "Straßenbahn" abzuhaken. Das im ersten Gutachten entworfene Schienennetz und die Bahnen könnten von Bund und Land zwar größtenteils gefördert werden, dennoch sei der Eigenanteil von geschätzt 330 Millionen Euro zu viel für die ohnehin dauerhaft angespannte Haushaltslage. Dazu kämen noch mehr Langzeitbaustellen, die man den Lübeckerinnen und Lübeckern nicht zumuten könne, argumentiert die Verwaltung.
Auch die im Gutachten beschriebene Möglichkeit, dass mit weiteren Straßenbahnlinien das politische Ziel von 20 Prozent ÖPNV-Anteil erreicht werden könnte, überzeuge die Stadtverwaltung nicht. Stattdessen werde befürchtet, dass ein weiterer Ausbau in keinem Kosten-Nutzen-Verhältnis stehe und damit auch nicht mehr gefördert werden könne, erklärt der Verkehrswendebeauftragte.
Verwaltung will Busnetz optimieren und vorhandenes Bahnnetz nutzen
"Eine Straßenbahn einzuführen, ist kein Selbstläufer", sagt Michael Stödter. In Wiesbaden und Regensburg seien geplante Stadtbahnen per Bürgerentscheid gestoppt worden. Die Verwaltung befürchtet, dass sich auch unter den Lübeckerinnen und Lübeckern Protest gegen solch ein Großprojekt formieren könnte.
Damit mehr Menschen das Auto stehen lassen, solle stattdessen künftig auf die Optimierung des Busnetzes gesetzt werden, auf den Ausbau von Radwegen und auf die geplante "Regio-S-Bahn" mit zusätzlichen Haltestellen auf vorhandenen Bahnstrecken.
Lutz Kuwalsky vom Verein "Tram für Lübeck" ist verärgert, weil die Stadt die Wiedereinführung der Straßenbahn nach der ersten Teilstudie ad acta legen würde. "Es bleibt im Moment einfach nur bei Annahmen, was die Verwaltung uns als Argumente anbietet. Und damit sind wir nicht zufrieden."
Thorsten Fürter (FDP): Stadtbahnen haben keine Zukunft
Die Entscheidung für oder gegen eine Straßenbahn treffen am Ende ohnehin die Stadtvertreterinnen und Stadtvertreter in der Lübecker Bürgerschaft. Torsten Fürter, Fraktionsvorsitzender der Lübecker FDP, sieht einen schienengebundenen ÖPNV in Lübeck kritisch. Seiner Meinung nach seien "on demand"-Lösungen die Zukunft: "Man drückt einen Knopf auf dem Handy, und dann kommt ein Fahrzeug vorbei und fährt einen irgendwo hin."
Dazu seien historische Städte seiner Ansicht nach schlecht geeignet für Straßenbahnen. "Die Straßen sind sehr eng, Bauarbeiten können nur sehr langsam ausgeführt werden."
Positivbeispiel Bordeaux: Historische Altstadt mit Straßenbahn
Lutz Kuwalsky sieht das anders. Dass Straßenbahnen auch in historischen Städten funktionierten, zeige Bordeaux in Frankreich: "Eine Stadt, die das Weltkulturerbe erlangt hat, nachdem eine Straßenbahn eingeführt wurde." In der Altstadt müssten auch keine Oberleitungen gebaut werden, ergänzt er: "Dort kommt ein Stromabnehmersystem zum Einsatz, das in der Mitte der Schienen liegt - ungefährlich für Passanten. Im Gutachten, das jetzt veröffentlicht wurde, sind in der Altstadt auch keine Oberleitungen vorgesehen."
Verkehrswendebeauftragter: Kiel hatte bessere Voraussetzungen
In Kiel ist die Straßenbahn beschlossene Sache, Mitte 2030 könnte die erste Linie fahren. Die Voraussetzungen für den Entschluss seien in Kiel weitaus besser gewesen als in Lübeck, erklärt der Lübecker Verkehrswendebeauftragte Michael Stödter.
Kiel sei in der Nachkriegszeit als "autogerechte Stadt" ausgebaut worden: "Paradoxerweise vereinfacht das eine Neueinrichtung einer Straßenbahn, weil man genug Platz für Trassen hat, die unabhängig vom Pkw-Verkehr geführt werden können." In Lübeck hingegen müssten sich auf einem großen Teil der Strecken Stadtbahn, Autos und Radfahrer die Straßen teilen.
Ulrich Brock (CDU): "Es sind Zeiten, in denen wir groß denken müssen"
Unter den Stadtpolitikerinnen und -politikern gibt es allerdings auch Befürworter: Ulrich Brock (CDU), Vorsitzender des Bauausschusses, glaubt an das Projekt: "Es sind Zeiten, in denen wir groß denken müssen."
Voraussichtlich Ende November entscheidet die Bürgerschaft darüber, ob der nächste Schritt in Richtung "Straßenbahn für Lübeck" gemacht wird: Der Auftrag für ein vertiefendes Gutachten, das konkrete Streckenverläufe und die Kosten untersuchen würde. Lutz Kuwalsky vom Verein "Tram für Lübeck" hofft darauf: "Wir würden eine große Chance verpassen, wenn wir das Projekt nicht weiter verfolgen."
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels haben wir geschrieben, dass Lübeck bis 2040 klimaneutral werden will. Richtig ist: Die Hansestadt will bis 2035 klimaneutral werden.