Kein Geld für Demokratie-Projekte: Spart Bargteheide am falschen Ende?
Bargteheide steigt aus einem Bundesprogramm für Demokratie-Projekte aus - die Kosten seien zu hoch, heißt es. Betroffene sehen darin ein fatales Signal, jetzt in Zeiten steigender rechter Gewalt.
"Als ich hier 2020 zum ersten Mal hergekommen bin, war das für mich der sicherste Ort der Welt," erzählt Ben (Name von der Redaktion geändert), während er vor dem autonomen Jugendhaus am Stadtrand von Bargteheide (Kreis Stormarn) steht. "Heute fühlt es sich einfach unsicherer an. Die Leute, die uns nicht wohlgesonnen sind, werden immer mehr und auch aggressiver."
Junge Männer randalieren am Jugendhaus, Staatsschutz ermittelt
Seit vier Jahren besucht der 19-Jährige das Jugendhaus regelmäßig. Er hat sich dort politisiert und Freunde gefunden. Der Ort war aber auch immer wieder Ziel für Angriffe. Im Februar dieses Jahres kamen junge Männer auf das Gelände. Sie randalierten, beleidigten die Menschen vor Ort und zündeten einen Teil der Außenmöbel an.
Es flogen Böller und andere Pyrotechnik. Rassistische Parolen sollen gefallen sein. Die Jugendlichen vom Jugendhaus fühlten sich so unsicher, dass sie sich im Haus einschlossen. Der Staatsschutz ermittelt. Ein verkohlter Holzbalken ist heute noch zu sehen.
Seit 2021 werden Projekte für Demokratie und Vielfalt unterstützt
In dieser Gemengelage bricht den jungen Menschen in Bargteheide, die von rechter Gewalt und Bedrohung betroffen sind, eine wichtige Stütze weg: die sogenannte Partnerschaft für Demokratie. Die Stadt Bargteheide steigt aus dem Bundesprogramm aus.
Seit 2021 werden in dem Programm mit Fördergeldern des Bundesfamilienministeriums Projekte unterstützt, die Demokratie und Vielfalt schaffen sollen. Die Jugendlichen im autonomen Jugendhaus haben so zum Beispiel Filmabende und Selbstverteidigungskurse veranstaltet.
Dadurch seien sie auf den Ernstfall, wie er im Februar eingetreten ist, vorbereitet gewesen, sagen sie. Denn sie seien ruhig geblieben, hätten sich nicht von den jungen Männern provozieren lassen und so die Situation entschärft.
Bargteheide hat mehr als 430.000 Euro Bundesmittel bekommen
Laut Bundesfamilienministerium hat die Demokratiepartnerschaft in Bargteheide seit Projektbeginn mehr als 430.000 Euro vom Bund bekommen. Gefördert wurden damit mehr als 60 Projekte in der Stadt. Darunter Vortragsreihen, Workshops an Schulen, Gesprächsabende, Podiumsdiskussionen - und eben Kurse wie im Jugendhaus.
Damit die Fördergelder vom Bund überhaupt fließen konnten, musste die Stadt eine halbe Stelle finanzieren. Im Juni wurde beschlossen, zum Ende dieses Jahres aus der Bundesförderung auszusteigen und die Stelle zu streichen. Die Kosten, die für die Stadt entstanden sind, seien zu hoch. So begründen die Kommunalpolitikerinnen und -politiker ihre Entscheidung.
Projekt-Teilnehmer: "Ich bin aus allen Wolken gefallen"
Für Ben und viele andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Demokratie-Projekte ist diese Entscheidung nicht nachvollziehbar: "Wir wurden da schon übergegangen. Ich habe zum Beispiel per Zufall vom Ende der Demokratiepartnerschaft erfahren. Da bin ich aus allen Wolken gefallen, denn jetzt gerade ist doch der allerwichtigste Zeitpunkt, um die Demokratie und ihre Werte zu stärken."
Mittel für Projekte sollen nun bei der Verwaltung beantragt werden
Die Stadt verweist auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein auf eine Sitzung der Stadtvertretung Anfang Dezember. Dabei soll der Haushalt für 2025 beschlossen werden. Der sieht unter anderem 50.000 Euro für einen Demokratie-Fonds vor. Dieser wurde im November vom Hauptausschuss der Stadt auf den Weg gebracht.
Die Stadt würde damit 25.000 Euro weniger als bisher in die Demokratie-Förderung investieren. Zudem ist ein Teil des Geldes dabei an einen Schulwettbewerb gebunden. Der unverplante Teil des Geldes könne direkt bei der Verwaltung beantragt werden, so die Hauptausschussvorsitzende Cornelia Harmuth (CDU). Die 125.000 Euro aus der Bundesförderung werden in keinem Fall mehr nach Bargteheide fließen.
Projekt-Beratung und persönliche Begleitung fallen weg
Christoph Ernst ist der Mann, der auf der halben Stelle der Stadt bislang gearbeitet hat - und Antragstellerinnen und Antragsteller unterstützte. Seine Arbeitsstelle wurde zum Teil durch die Zahlungen der Stadt finanziert. Dass sie zum Ende des Jahres wegfällt, sieht Ernst als Verlust für Bargteheide. In seinen Augen zeichnete die Beratung und persönliche Begleitung das Projekt aus - und die falle jetzt weg.
ZEBRA e.V.: Demokratiearbeit müsste eigentlich ausgebaut werden
Auch das schleswig-holsteinische Zentrum für Betroffene rechter Angriffe (ZEBRA e.V.) sieht im Rückzug der Stadt Bargteheide aus der Demokratiepartnerschaft ein fatales Signal. ZEBRA-Berater Felix Fischer sagt, dass - gerade in Zeiten von steigender rechter Gewalt - die Demokratiearbeit eigentlich ausgebaut werden müsse.
Stattdessen gab es im vergangenen Jahr eine vorläufige Haushaltssperre in Schleswig-Holstein. Bei einer Haushaltssperre dürfen im Grundsatz keine Ausgaben geleistet oder Verpflichtungen eingegangen werden, für die keine gesetzliche oder vertragliche Bindung besteht. "Überall gibt es jetzt Projekte, die nicht wissen, wie es weitergeht", sagt Fischer.
Zentrum für Betroffene rechter Angriffe: Zahl der Beratungen steigt
Vollständige Zahlen zu rechtsextremer Gewalt in Schleswig-Holstein für das Jahr 2024 gibt es laut Fischer noch nicht, aber bereits im August habe es so viele ZEBRA-Beratungen gegeben wie im gesamten Vorjahr. Und vor allem in und um Bargteheide habe man seit Ende 2023 vermehrt rechte Propaganda in der Öffentlichkeit wahrgenommen.
Hoffnung stirbt zuletzt: "Hoffentlich finden sich andere Möglichkeiten"
Es klingt dann fast so, als wollten sich die Engagierten ihre Illusion nicht nehmen lassen, wenn Projektteilnehmer wie Alex (Name von der Redaktion geändert) sagen: "Ich glaube, dass sich viele neue, tolle Initiativen hier in Bargteheide entwickeln werden - und sich hoffentlich andere Fördermöglichkeiten finden."