Cannabis-Amnestie: Justiz in SH muss Tausende Fälle prüfen

Stand: 17.04.2024 05:00 Uhr

Das Limit für den Besitz von Haschisch oder Marihuana wurde seit dem 1. April erhöht. Das macht der Justiz jetzt zu schaffen. Denn nun muss geprüft werden, in welchen Fällen doch mildere Strafen zu verbüßen sind.

von Oliver Kring

Seit dem 1. April dürfen Erwachsene ab sofort 25 Gramm Haschisch oder Marihuana dabei haben, ohne dass sie belangt werden. Zu Hause dürfen sie sogar 50 Gramm aufbewahren. Davor galt ein Limit von sechs Gramm.

Das besorgt den Richterverband, denn jetzt müssen alle Fälle überprüft werden, die noch nicht vollstreckt wurden oder sich noch in der Vollstreckung befinden. Betroffen sind alle Fälle, die nach den neuen Regeln nicht mehr bestraft würden, sagte die Vorsitzende des Richterverbandes Schleswig-Holstein, Christine Schmehl.

Müssen Strafen wegen Cannabis-Besitzes reduziert werden?

"Wir haben ja ohnehin einen Anstieg der Kriminalität. Und auf der anderen Seite haben wir jetzt mehrere Tausend Verfahren im Land, die zusätzlich händisch daraufhin durchgesehen werden müssen, ob sie gegebenenfalls noch einmal überprüft werden müssen." Mit anderen Worten: Staatsanwaltschaften und Gerichte müssen klären, in welchen Fällen die Strafen noch einmal reduziert werden müssten.

Richterverband besorgt über Mehrarbeit

"Und das ist natürlich schwer darstellbar", hält Christine Schmehl fest. "Es ist ja so, dass bei den Staatsanwaltschaften in Schleswig-Holstein ein Viertel der Stellen nicht besetzt ist." Jede zusätzliche Aufgabe beeinträchtige die Funktionsfähigkeit immer weiter, sagt sie. "Das beobachten wir mit großer Sorge!"

Problem: Gesamtstrafen müssen neu gewichtet werden

"Meistens sind Cannabis-Straftaten keine reinen Einzeltaten", sagt der Kieler Oberstaatsanwalt Michael Bimler: "Da kommen häufig mehrere Sachen zusammen, wie Waffenbesitz, Handel mit Betäubungsmitteln, Beschaffungskriminalität. Dann gibt es eine Gesamtstrafe, wobei ein Teilaspekt dann der Eigenbedarf oder Besitz von Cannabis ist, der jetzt unter die Amnestie fällt." Dann müsse der gesamte Fall noch einmal neu gewichtet werden. Denn wenn der Cannabis-Besitz unter 25 Gramm bei der Festnahme oder unter 50 Gramm bei einer Hausdurchsuchung wegfällt, verringert sich die Gesamtstrafe.

Allein bei einer der vier Staatsanwaltschaften 750 Fälle zu prüfen

Vier Landgerichtsbezirke gibt es in Schleswig-Holstein, mit entsprechend vier Staatsanwaltschaften - in Flensburg, Itzehoe, Lübeck und Kiel. Allein bei der Staatsanwaltschaft Kiel müssen nach jetzigem Stand 750 Fälle von Hand aus dem Aktenarchiv gezogen und jeder Fall einzeln komplett durchgesehen werden.

Von den 750 Akten sind bis jetzt 650 durchgesehen worden. "In rund 110 Fällen sind wir dazu gekommen, dass weitere Maßnahmen notwendig sind", so Oberstaatsanwalt Bimler. Sprich: Sie werden den Gerichten noch einmal vorgelegt. Das betrifft nicht nur den Landgerichtsbezirk Kiel: Insgesamt müssen in Schleswig-Holstein laut Justizministerium mindestens 2.000 Fälle noch einmal angefasst werden.

Richterverband SH sieht Amnestie-Regelung sehr kritisch

Durch die Mehrarbeit könnte sich die Dauer anderer Verfahren verlängern. Ein weiteres Problem, denn alle Fälle müssen zeitnah bearbeitet werden. In der Regel sollten die Fälle innerhalb von sechs Monaten bei der Staatsanwaltschaft bearbeitet sein. Der Richterbund sieht die Amnestie-Regelung insgesamt sehr kritisch: "Neben der Mehrarbeit jetzt kommen noch einige Herausforderungen auf die Justiz und die Behörden zu: vor allem in den vielen Abgrenzungen", sagt Vorsitzende Christine Schmehl.

Gemeint sind zum Beispiel die Überprüfung der Bagatell-Grenzen: Wenn Polizisten bei Personenkontrollen Cannabis feststellen, wie sollen sie dann die Mengen kontrollieren? Es müssen vermutlich geeichte Waagen eingesetzt werden. Müssen diese dann beispielsweise auf geraden Flächen stehen, damit die gemessene Menge gerichtsfest ist? Im Gesetz steht außerdem, dass Konsumenten Abstand halten müssen - zum Beispiel mindestens 100 Meter außerhalb der Sichtweite zu Spielplätzen: Wie sollen diese Abstandsregelungen vollzogen und definiert werden?

Muss Justiz Unklarheiten im Gesetz ausdefinieren?

Letzteres sieht der Richterverband dann wieder als Aufgabe bei sich. Denn vermutlich müssten die Urteile in den einzelnen Fällen dann das festlegen, was jetzt im Gesetz noch unklar ist, so der Richterverband.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 17.04.2024 | 08:00 Uhr

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