Hass und transfeindliche Predigten: Was trans Menschen in SH erleben

Stand: 03.07.2023 11:57 Uhr

Trans Personen erleben mitunter offene und brutale Gewalt. Das zeigen auch neuste Zahlen der Polizei. Trans Menschen scheinen das neue Feindbild für rechte und extreme religiöse Gruppen zu sein, die diesen Menschen mit Hetze und Hatespeech begegnen.

von Elin Halvorsen

Laura Schulze-Kölln lebt seit vier Jahren offen als trans Frau in Husum (Kreis Nordfriesland). Eigentlich fühlt sie sich in ihrer Heimat wohl, aber durch ihre Transidentität wird sie zum Vorbild und Feindbild zugleich. Bei der Arbeit als Erzieherin hat sie keine Probleme, aber in der Freizeit erlebt sie von Diskriminierung bis hin zu körperlichen Angriffe alles. Abends meidet sie bestimmte Gegenden in Husum, geht nach 19 Uhr nur noch in der Gruppe aus, versucht brenzligen Situationen aus dem Weg zu gehen.

Beschimpfungen gehören zum Alltag

"Wenn ich mich sommerlich kleide, dann kommt das auch schon mal vor, dass Jugendliche im Auto das Fenster runterkurbeln und johlen: 'Schwuchtel, schwule Sau!'" Als Schulze-Kölln eines Abends am Hafen etwas trinken möchte, kommt ein Mann aus dem Nichts und schlägt zu, erzählt sie weiter. "Ich kann es mir nur daherleiten: Die Welt ist eh so im Umbruch und dann kommen noch Menschen dazu, die nicht alltäglich sind. Und da scheint das wohl ein Ventil zu öffnen: 'Oh da kommt jemand, da kann ich mal meinen Frust ablassen'. Weil sie mit sich selbst nicht zufrieden sind. Und da muss ich dann herhalten", sagt sie.

Hatespeech und Hetze geben Tätern und Täterinnen Legitimation

2021 gab es eine transfeindliche Predigt in der Kirche Süderhastedt (Kreis Dithmarschen). Bis vor Kurzem war die Predigt sogar noch auf der Internetseite der Kirche frei verfügbar. Erst auf Drängen des Lesben- und Schwulenverbandes wurde sie gelöscht. Das Dokument liegt NDR Schleswig-Holstein vor, darin heißt es: "Ideologien der folgenden Jahrhunderte sind ebenfalls ein Zeugnis dafür, dass, wenn der Mensch das Paradies auf Erden schaffen will, für viele, die der Ideologie nicht folgen, die Hölle erzeugt wird. Faschismus, Nationalsozialismus, Kommunismus sind Belege dafür. […] Nicht anders verhält es sich im Blick auf Ideologien unserer Zeit: Klimaschutz, Genderlehre, Flüchtlingspolitik, Corona-Krise, Neue Weltordnung. […] In der letzten Woche wurde die Klasse meiner Tochter drei Stunden von einem Transgender-Menschen zum betreffenden Thema indoktriniert. Dafür wurden drei andere Unterrichtsstunden geopfert. So werden die jungen Menschen in eine bestimmte Richtung beeinflusst."

Ein Interview dazu lehnt der Pastor ab, antwortet in einer Mail aber: "Wird im Gottesdienst die steile These vertreten, dass "Gott queer ist", dann ist das nicht nur eine Irrlehre, sondern Blasphemie." Arbeitgeberin des Pastors ist die Nordkirche. Sie spricht von einem Einzelfall und verweist darauf, dass es ein Personalgespräch mit dem Pastor gegeben habe. Zudem seien die Pastorinnen und Pastoren zwar dem Evangelium verpflichtet, aber in der Predigt frei, sagt der Sprecher der Nordkirche, Dieter Schulz. "Wenn es Dinge gibt, die diskutabel sind, die diese Grenzen überschreiten, und dazu zähle ich den von Ihnen angesprochenen Text, dann gibt es verschiedene Dienste und arbeitsrechtliche Maßnahmen und die sind in diesem Fall ergriffen worden", sagt Schulz.

Lübecker Erklärung verpflichtet sich gegen Diskriminierung

Doch mehr als ein Gespräch gab es nach Angaben der Nordkirche für den Pastor nicht. Er predigt weiter, obwohl es mittlerweile neue queerfeindliche Äußerungen in seinem Gemeindeblatt gab. Im Blatt findet sich radikales Gedankengut. Es gibt queerfeindlichen Buchverlagen eine Plattform, die Bücher über "erfolgreiche" Konversionstherapien vertreiben. Dabei hatte der Kirchenkreis Dithmarschen kurz nach der Predigt die Lübecker Erklärung unterzeichnet. Diese verpflichtet sich, gezielt für Akzeptanz und Respekt sowie gegen Ausgrenzung, Diskriminierung oder Gewalt bezogen auf Menschen mit vielfältigen geschlechtlichen und/oder sexuellen Variationen entgegenzutreten.

Predigt "abstoßend und besorgniserregend"

Kein heiliger Text steht über den Rechten, die unser Grundgesetz garantiert, sagt der Vorsitzende Andreas Witolla vom Lesben- und Schwulenverband Schleswig-Holstein. Das, was seitens der Kirche passiert, sei nur das absolute Minimum, kritisiert Witolla. "Die queerfeindlichen Äußerungen und der Versuch des Pastors, Fragen von geschlechtlicher Selbstbestimmung in einen Sinnzusammenhang mit dem Nationalsozialismus zu setzen und als Ideologie zu diffamieren, sind abstoßend und besorgniserregend." Außerdem kritisiert der LSV SH, dass sowohl die Kirchengemeinde Süderhastedt als auch der zuständige Kirchenkreis Dithmarschen diese Predigt dulden.

Genauso sieht es auch die Initiative "Westküste denkt Queer". Sie ist Ansprechstelle für queere Menschen und Netzwerk im Westen Schleswig-Holsteins. Egal ob Medien, Politik oder der krasse Fall von Hasspredigt in der Kirche, sagt Simon Rohner von der Initiative: "Uns entsetzt am Beispiel Süderhastedt vor allem, dass der Pastor sein Amt für persönliche Hatespeech missbraucht." Im Rahmen von Konfirmationsunterricht oder Predigten würde hier ein persönliches und problematisches Weltbild auch an junge Menschen weitergegeben, unter denen bestimmt auch mal queere Jugendliche vorkommen dürften.

Westküste braucht noch viel Aufklärung

Insgesamt sei die queere Community an der Westküste kleiner als an der Ostküste, es gibt keine oder weniger Szenetreffpunkte, so wie in den großen Städten, sagt Laura Schulze-Kölln. Dadurch fehle es oft an Berührungspunkten und Aufklärung. Viele Elternhäuser hier im Kreis Dithmarschen würden keine andere Lebensweise akzeptieren, die nicht mit dem traditionellen Rollenbild oder anderen Normen rund um Geschlecht und Sexualität einhergehen, sagt Schulze-Kölln. Sie war früher auf sich allein gestellt, ihr fehlten Ansprechpersonen. Heute engagiert sie sich für queere Jugendliche.

Jede elfte Person nicht heterosexuell

Denn jede elfte Person in Deutschland ist laut Ipsos Umfrage, dem größten Marktforschungsunternehmen der Welt, nicht heterosexuell. Das bedeutet, dass im Schnitt allein in jeder Schulklasse zwei bis drei junge Menschen sitzen, die beispielsweise queer, schwul, lesbisch, nicht binär oder trans sind. Unter jungen Erwachsenen ist die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt laut aktueller Ipsos Pride Studie noch deutlich größer: In Deutschland identifizieren sich 22 Prozent der Gen Z (Jahrgänge ab 1997) als LGBT+.

Mehr Hassdelikte gegen trans und inter Personen

Gleichzeitig sind laut Polizei die Hassdelikte im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" in Schleswig-Holstein von 2021 auf 2022 um 69 Prozent gestiegen. Auch Anfeindungen gegen trans oder inter Personen zählen dazu. Bundesweit wurden mehr als 1.000 queerfeindliche Straftaten erfasst. Laura Schulze-Kölln will trotzdem an der Westküste bleiben, kämpft für Aufklärung, Sichtbarkeit und Toleranz. "Ich hoffe durch meine Arbeit, dass andere sich ermutigt fühlen, mehr für sich selbst aufzutreten. Dass viele denken: 'Ich bin nicht alleine auf der Welt. Da gibt es noch jemanden, der das macht.'" Auch wenn es noch ein langer Weg an der Westküste sei, sie engagiert sich weiter für queere Jugendliche und will das Vorbild sein, dass ihr früher gefehlt hat.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 03.07.2023 | 19:30 Uhr

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