Antisemitismus: So gefährlich leben Juden in SH
Antisemitische Schmierereien und Sticker, Einschüchterungen: Seit dem Überfall der Hamas auf Israel hat sich das Leben auch für Juden in SH massiv verändert. Die Gefahr kommt aus ihrer Sicht nicht nur von Rechts.
Mit Wasserkanister, Sprühflasche und Bürste in der Hand laufen Nelly Eliasberg und ihre Mitstreiter vom Bündnis gegen Antisemitismus durch Kiel, auf der Suche nach neuen judenfeindlichen Kreideschmierereien und Stickern. "Yalla Intifada" ist mit weißer Kreide auf einen Bürgersteig in der Innenstadt gekritzelt. Der Ausdruck steht für einen Aufruf zum gezielten Mord von Israelis durch Palästinenser. "Raketen für Gaza", "Boykottiert israelische Produkte!", "Zios jagen": Solche Sprüche findet sie ebenfalls häufig, sagt Eliasberg: "Zionisten steht hier als Synonym für Juden".
Jüdinnen und Juden persönlich bedroht
Für Eliasberg und andere Jüdinnen und Juden wird das Leben in Kiel immer mehr zum Spießrutenlauf. So auch für einen Mann, den wir Simon nennen. Erkannt werden möchte er nicht, denn er fühlt sich bedroht. Im Juni 2024 habe er aus Freude an der Befreiung israelischer Geiseln durch das Militär eine Israel-Flagge ins Fenster seiner Wohnung gehängt. Anschließend sei der Hauseingang beschmiert worden, mit Ausdrücken wie "Free Palestine". In den Rahmen seiner Wohnungstür sei ein sogenanntes Hamasdreieck gezeichnet worden. Es gilt als Drohung und Markierung für potentielle Anschlagsorte. Simon zeigt uns außerdem einen Sticker. Auf dem sind sein Wohnhaus und seine Adresse zu sehen, darunter der Schriftzug "Zionisten mal zu Hause besuchen". Solche Sticker fand er in seiner Nachbarschaft vor dem Supermarkt, in dem er immer einkaufen geht und auch anderswo in der Stadt. Er hat die Polizei informiert. "Das ist Psychoterror, das ist Terror!", sagt er. "Es geht darum, Leute, die eine andere Meinung haben, mundtot zu machen".
Mehr Anfeindungen gegen Juden seit 7. Oktober 2023
"Der 7. Oktober 2023 hat für uns alles verändert. Es gibt ein Vorher und ein Nachher", sagt Eliasberg. Seit dem Überfall der Hamas auf Israel an diesem Tag ist die Zahl der antisemitisch motivierten Straftaten in Schleswig-Holstein angestiegen. Im gesamten Jahr 2023 gab es laut LKA 115 Straftaten dieser Art. Fast die Hälfte davon passierte im Zeitraum zwischen dem 7. Oktober und Ende des Jahres 2023.
Straftaten vor allem von rechten und religiösen Extremisten
Knapp die Hälfte dieser 51 Straftaten rechnet das LKA dem rechten Spektrum zu, ebenso viele ausländischen und religiösen Ideologien. Zahlen für das Jahr 2024 liegen noch nicht vor. Vor allem an den Wochenenden wird weiter geklebt und geschmiert, beobachtet Eliasberg, besonders viel unter anderem rund um die Uni und im Kieler Stadtteil Gaarden.
Israelfeindliches Denken sehr verbreitet - auch bei Linksextremen
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"In Deutschland herrscht der Glaube vor, dass alles Böse von rechts kommt", sagt Nelly Eliasberg vom Bündnis gegen Antisemitismus. Rechtsextreme seien jedoch nicht das Hauptproblem. Sie sieht vor allem Linksextreme und Islamisten als Gefahr für jüdisches Leben: "Diese fürchterlichen Allianzen zwischen Linksextremismus und Islamismus, zwischen Rechtsextremismus und Islamismus sind wirklich eine gefährliche Situation." Israelfeindliches Denken sei sehr verbreitet und tief verwurzelt. Auch Eliasberg wird persönlich bedroht. An ihrer Arbeitsstelle finde sie regelmäßig Schmierereien. Durch die Bedrohungen sei es gefährlich geworden, sich öffentlich als Jüdin oder Jude zu zeigen.
"Juden werden angegriffen, weil sie sind, wer sie sind, weil sie überhaupt existieren. Es heißt immer, wir sollen jüdisches Leben sichtbar machen. In unserem täglichen Leben können wir das gar nicht." Nelly Eliasberg, Bündnis gegen Antisemitismus
Bessere Bildung, Regulierung von TikTok
"Es ist eine Schande für unsere Gesellschaft, dass jüdische Menschen Angst haben müssen, auf die Straße zu gehen oder ihrer Religion nachzugehen", sagt Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Sie hat selbst jüdische Wurzeln, möchte den Kampf gegen Antisemitismus vor allem mit Bildung bekämpfen. "Wir tun sehr viel an unseren Schulen", sagt Prien. Als Gefahr sieht sie auch soziale Medien, insbesondere TikTok. "Wir müssen anfangen, ernsthaft über eine stärkere Regulierung nachdenken".
Trotz Gefahr nicht einschüchtern lassen
Bessere Bildung und Aufklärung fordert auch Eliasberg. Trotz aller Gefahren will sie sich nicht einschüchtern lassen: "Das akzeptiere ich nicht!," sagt sie und gibt eine Mahnung mit auf den Weg: "Es ist noch nie gut ausgegangen, wenn Gesellschaften angefangen haben, Juden zu jagen".
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