Ein Arzt hält eine Blisterverpackung mit Tabletten in der Hand. © picture alliance/Zoonar/Robert Kneschke Foto: Robert Kneschke
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AUDIO: Mehr Antibiotika-Verordnungen in SH (1 Min)

Ärzte in SH verschreiben wieder mehr Antibiotika

Stand: 16.11.2023 16:24 Uhr

Nach einer Auswertung der Krankenkasse AOK Nordwest wurden in Schleswig-Holstein im ersten Halbjahr 2023 mehr als eine halbe Millionen Antibiotika-Rezepte für gesetzlich Versicherte ausgestellt. Der Hausärzteverband sieht Nachholeffekte bei Infektionen.

von Friederike Schneider

Insgesamt rund 523.000 mal wurde gesetzlich Versicherten in Schleswig-Holstein im ersten Halbjahr 2023 ein Antibiotikum verordnet. Das seien 56,7 Prozent mehr als im selben Zeitraum 2022, teilte die Krankenkasse AOK Nordwest am Donnerstag mit. Auch gegenüber der Zeit vor der Corona-Pandemie hat die Zahl der Antibiotika-Verordnungen zugenommen: Im ersten Halbjahr 2019 wurden 509.000 Rezepte ausgestellt. In den Pandemie-Jahren waren deutlich weniger Antibiotika verordnet worden, besonders 2021 mit nur 269.000 Rezepten.

Krankenkasse warnt vor Resistenzen

Die AOK Nordwest sieht die erneute Zunahme von Antibiotika-Verordnungen kritisch. Der unsachgemäße Einsatz könne die Entstehung von resistenten Bakterien beschleunigen. "Damit verliert die Medizin ihre therapeutischen Möglichkeiten bei der Behandlung von bakteriellen Infektionen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, ist ein zurückhaltender und verantwortungsbewusster Antibiotikaeinsatz unbedingt erforderlich", sagt AOK-Vorstandsvorsitzender Tom Ackermann.

Antibiotika nicht bei Erkältungskrankheiten

Die Krankenkasse weist insbesondere darauf hin, dass Antibiotika bei Erkältungskrankheiten oft gar nicht helfen - denn diese werden häufig durch Viren ausgelöst. Antibiotika wirken aber nur gegen bakterielle Infektionen. Wenn doch ein Antibiotikum notwendig sei und verschrieben wurde, sei die korrekte Einnahme wichtig. So müssten die Zeitabstände genau eingehalten werden.

Hausärzte: Bakterielle Infektionen setzen sich auf Viruserkrankungen

Warum und gegen welche Krankheiten Antibiotika in Schleswig-Holstein so häufig verordnet wurden, geht aus der Auswertung der AOK Nordwest nicht hervor. Klar ist, dass nach dem Wegfall der Corona-Maßnahmen verschiedene andere Atemwegsinfektionen wieder zugenommen haben. Meist würden diese zwar durch Viren ausgelöst, sagt Miriam Führ vom Hausärzteverband Schleswig-Holstein. So gab es beispielsweise deutlich mehr Infektionen mit Grippe oder sogenannten RS-Viren. "Aber auf jeden zehnten viralen Infekt setzt sich eine bakterielle Infektion drauf." Das bestätigt auch Helmut Fickenscher vom Institut für Infektionsmedizin in Kiel. Das Immunsystem sei durch die Viren bereits angegriffen, dann hätten Bakterien leichtes Spiel. Eine solche Komplikation muss dann häufig mit Antibiotika behandelt werden. So führt der Anstieg bei den Viruserkrankungen auch zu einem Anstieg an bakteriellen Infektionen.

Scharlachwelle bei Kindern

Bei Kindern gab es im Frühjahr 2023 eine Scharlachwelle in Schleswig-Holstein. Scharlach ist eine Hals- und Mandelentzündung, die Streptokokken - also Bakterien - verursacht wird. Es habe wesentlich mehr Scharlach-Ausbrüche gegeben, als je vorher beobachtet wurden, sagte Helmut Fickenscher im April. Auch Miriam Führ vom Hausärzteverband sagt rückblickend, so hohe Zahlen habe man seit Jahren nicht mehr gekannt.

Ob wirklich diese Krankheiten der Grund für die Zunahme an Antibiotika-Verordnungen sind, lässt sich nicht eindeutig ermitteln. Führ weist darauf hin, dass die AOK-Auswertung nicht zeigt, von welchen Ärzten wie viele Rezepte ausgestellt wurden.

Nicht alle Rezepte werden eingelöst

Führ erklärt außerdem, dass manchmal Antibiotika-Rezepte ausgestellt werden, die aber nicht eingelöst werden. "Wir sagen den Patienten dann: Guck doch mal, ob du es mit Hausmitteln in den Griff bekommst und wenn es in zwei, drei Tagen nicht besser ist, dann kannst du immer noch das Antibiotikum holen." Grund sei eine große Verunsicherung, wie schlimm der Infekt tatsächlich sei. Nicht immer sei auch für die Ärztinnen und Ärzte klar zu erkenne, ob es sich um einen viralen oder bakteriellen Infekt handelt. "Es hilft vielen, das in der Schublade zu haben. Ich höre dann von meinen Patienten oft, dass sie das Antibiotikum gar nicht gebraucht haben", sagt Führ.

Hausärzteverband: Antibiotika werden zurückhaltend verschrieben

Dennoch seien gerade Hausärztinnen und Hausärzte sehr gewissenhaft, was die Antibiotika-Vergabe angeht. Das Thema Resistenzen sei schließlich seit Jahren bekannt, so Führ. Schon vor der Corona-Pandemie seien die Vergaben rückläufig gewesen. "Natürlich sollte jede unnötige Antibiotika-Gabe vermieden werden", sagt Fickenscher. Dabei spielten aber verschiedene Faktoren eine Rolle. Führ meint, wenn die Nachholeffekte bei den verschiedenen Infektionskrankheiten nach der Pandemie wieder abebben, würden auch die Antibiotika-Verordnungen wieder zurückgehen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 16.11.2023 | 18:00 Uhr

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Medikamente

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