Offener Vollzug statt geschlossener: Die bessere Variante?

Stand: 15.02.2024 15:56 Uhr

Im offenen Vollzug haben Häftlinge Freiheiten. Justizministerin Wahlmann fordert eine Ausweitung auf mehr Gefangene. Wer schon in der Haft den Umgang mit Freiheit gelernt habe, werde später seltener rückfällig.

von Susanne Schäfer

Mario Dirksen geht zu seinem Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Er stellt es auf kipp. Sein Zimmer hat er wohnlich eingerichtet, mit Blumen und Fotos seiner Kinder. Hier ähnelt vieles einem WG-Zimmer. Aber Mario Dirksen ist Straftäter - und Gefangener in der Justizvollzugsanstalt Meppen. Doch seit September lebt der 47-Jährige im offenen Vollzug. Wer hier einsitzt, darf tagsüber einer Arbeit nachgehen, kann die Familie besuchen und hat vor dem Fenster auch keine Gitterstäbe. Allerdings: Ganz öffnen lässt es sich nicht.

Offener Vollzug für mehr Sicherheit

Gefangener Mario Dirksen in seinem Zimmer im offenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Meppen. © NDR Foto: Susanne Schäfer
Was einem Wohnheimzimmer ähnelt, ist eine Gefängniszelle. Hier lebt Mario Dirksen.

Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) möchte, dass mehr Gefangene wie Mario Dirksen im offenen Vollzug untergebracht werden. "Wir haben neue Studien, die zeigen, dass sich Menschen hinterher deutlich besser in die Gesellschaft einordnen, wenn sie an die Freiheit gewöhnt werden", sagt Wahlmann. Bedenken, die verurteilten Straftäter könnten zu einer Gefahr für die Allgemeinheit werden, hält sie für unbegründet. Denn wer aus dem offenen Vollzug kommt, wird seltener rückfällig. Somit bringe der offene Vollzug am Ende sogar mehr Sicherheit.

Geschlossener Vollzug in Niedersachsen ist sehr voll

Kathrin Wahlmann (SPD), Justizministerin Niedersachsen, spricht während eines Interviews über ein Böllerverbot. © picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte Foto: Julian Stratenschulte
Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) sieht im offenen Vollzug mehr Chancen als Risiken. (Archivbild)

Kathrin Wahlmann will nun schauen, wie der offene Vollzug gestärkt werden kann - zum Beispiel indem das Justizvollzugsgesetz und Verwaltungsvorschriften geändert und Entscheidungsträger für die Vorteile des offenen Vollzugs sensibilisiert werden. Wer für den offenen Vollzug ist und ganz nüchtern die Zahlen betrachtet, erkennt, dass hier Handlungsbedarf ist: Die Zahl der Plätze im offenen Vollzug für erwachsene Männer in Niedersachsen ist seit 2014 von 910 auf rund 690 gesunken. Und auch die Belegung dieser Plätze hat abgenommen:

  • 2014: 58 Prozent
  • 2019: 65 Prozent
  • 2023: 49 Prozent

Auch im geschlossenen Vollzug sind die Plätze gesunken, die Auslastung ist allerdings gestiegen.

  • 2014: 77 Prozent
  • 2019: 90 Prozent
  • 2023: 89 Prozent

Opposition ist noch skeptisch

Die Opposition findet den offenen Vollzug grundsätzlich gut. Aber volle Gefängnisse dürften nicht als Grund herhalten, sagt Christian Calderone. Er vertritt als CDU-Abgeordneter im Niedersächsischen Landtag den Wahlkreis Bersenbrück und ist dort der justizpolitische Sprecher seiner Partei. "Offener Strafvollzug muss dann stattfinden, wenn der Insasse individuell geeignet ist. Und das ist eine fachliche Frage, die geklärt werden muss auf Grundlage einer positiven Sozialprognose. Das ist also keine Frage, die der politischen Argumentation zugänglich ist." Aus seiner Sicht ist der offene Vollzug in Niedersachsen momentan einfach deshalb so leer, weil die Insassen zu schwierig seien.

Aufwendige Entscheidungen

Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Meppen, Per Zeller, im Flur des offenen Vollzugs in der Abteilung Baumschulenweg. © NDR Foto: Susanne Schäfer
Der Leiter der Justizvollzugsanstalt in Meppen Per Zeller entscheidet mit seinem Team, ob ein Gefangener in den offenen Vollzug kommt.

Auch Justizministerin Wahlmann betont, dass nicht jeder Gefangene für den offenen Vollzug geeignet ist. Und wer mit den Freiheiten nicht umgehen kann, müsse gegebenenfalls wieder zurück in die geschlossene Abteilung. Das entscheidet zum Beispiel Per Zeller. Er leitet die Justizvollzugsanstalt in Meppen. Um die Entscheidung zu treffen, macht er sich ein möglichst umfassendes Bild, spricht etwa mit der Staatsanwaltschaft, der Polizei und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der JVA, die täglich mit den Gefangenen zu tun haben. Bei Menschen, die wegen schwerer Gewalttaten einsitzen, wird zudem ein Gutachten eingeholt. Die einzelnen Abteilungen des offenen Vollzugs in Niedersachsen unterschieden sich zudem sagt Zeller. In Meppen - einer kleinen Abteilung - sei der Freiheitsgrad viel größer, weil die Gefangenen außerhalb der Anstalt arbeiten. "Wir könnten in Niedersachsen noch besser koordinieren, wer in welche Abteilung des offenen Vollzugs passt", sagt Zeller.

Andere Bundesländer nutzen offenen Vollzug häufiger

Ein prominentes Beispiel in dieser Diskussion ist Hendrik Holt. Der Emsländer wurde vom Landgericht Osnabrück wegen Betrugs mit fingierten Windparkprojekten zu insgesamt acht Jahren Haft verurteilt. In der letzten Verhandlung im Herbst erzählte er, dass er nach Berlin zu seiner Verlobten gezogen ist und hoffe, dort leichter in den offenen Vollzug zu kommen. Ob er dort inzwischen wirklich mehr Freiheiten genießt, wollte sein Anwalt dem NDR Niedersachsen nicht bestätigen, der zuständige Senat in Berlin verweist auf den Datenschutz. Aber die Zahlen sind laut niedersächsischem Justizministerium deutlich: In Berlin waren im Jahr 2022 rund 27 Prozent der erwachsenen Strafgefangenen im offenen Vollzug, in Nordrhein-Westfalen waren es 28 Prozent. In Niedersachsen waren es viel weniger - nur elf Prozent. Welche Gründe das hat, will sich Justizministerin Kathrin Wahlmann jetzt genau anschauen.

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Dieses Thema im Programm:

Hallo Niedersachsen | 16.02.2024 | 19:30 Uhr

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