Alzheimer unter 65: Bleiben Patienten sich selbst überlassen?
Im Alter von 50 Jahren dement zu werden - ein regelrechter Albtraum. Der ehemalige SEK-Beamte Andreas Lissel ist einer von 24.000 Alzheimer-Betroffenen unter 65 Jahren in Deutschland.
Der Mann aus Wennigsen in der Region Hannover ist durchtrainiert und drahtig. Er war immer auf dem Sprung für Sondereinsätze der Polizei. Heute, mit 55 Jahren, braucht er selbst Hilfe. Seine Nervenzellen sterben ab. Tatsächlich sind deutschlandweit rund 24.000 Menschen unter 65 Jahren dement, also im besten Alter. Darauf macht die Deutsche Alzheimer Gesellschaft zum Welt-Alzheimertag aufmerksam. Alzheimer ist bislang nicht heilbar.
Krankheit Alzheimer stellt das Leben auf den Kopf
Wenn ein vergleichsweise junger Mensch an Alzheimer erkrankt, dann stellt das das Leben in einer Ehe oder Familie auf den Kopf. Hilfe gebe es kaum, sagt Yvonne Lissel. "Ich fühle mich manchmal überfordert. Es gibt halt kaum Einrichtungen für junge Erkrankte. Ich kann meinen Mann nicht in die Tagespflege geben, die mit älteren Menschen bestückt ist, wo dann im Stuhlkreis gesessen wird und das Bällchen wird hin und her geschmissen."
Wenige Hilfsangebote und finanzielle Sorgen
Zur Sorge um seine Gesundheit kommen die Sorgen ums Geld. Die Beamtenpension von Andreas Lissel ist so viele Jahre vor der eigentlichen Pensionierung noch recht bescheiden, das Haus noch nicht abbezahlt. Der ganze Lebensplan über den Haufen geworfen. Fehlende Hilfsstrukturen für Jüngere, finanzielle Sorgen - Konstantin Lekkos, stellvertretender Vorsitzender der niedersächsischen Alzheimer-Gesellschaft und Chefarzt der Altersmedizin am Helios Klinikum in Hildesheim, kennt viele solcher Beispiele. Als Arzt in der Klinik behandelt er rund 500 Demenzpatienten pro Jahr. Besonders auf dem Land, sagt er, fehlten ambulante Angebote für Erkrankte.
Früh an Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung denken
Lekkos rät Betroffenen, sich zügig ein umfassendes Bild über die Krankheit und ihren Verlauf zu verschaffen und rechtzeitig an Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht zu denken, so lange die Betroffenen dazu noch kognitiv in der Lage sind und ihre Vorstellungen deutlich machen können. Wichtig sei vor allem, das unweigerlich frühe Ende so zu planen, dass zu viel medizinische Intervention vermieden werde und ein würdevoller Abschied möglich ist. Die meisten Patienten, erklärt der Mediziner, sterben nach durchschnittlich acht Jahren an einer Lungenentzündung, wenn der Körper geschwächt und der Schluckreflex eingeschränkt ist.
Alzheimer-Erkrankungen nehmen zu, Hilfe vorwiegend in Kliniken
Nach Auskunft des Statistischen Bundesamts ist die Zahl der Krankenhausbehandlungen mit der Diagnose Alzheimer in den zurückliegenden 20 Jahren um 82 Prozent gestiegen. Die Zahl der Todesfälle wegen Alzheimer habe sich verdoppelt. Konstantin Lekkos führt den gewaltigen Anstieg auf die Bevölkerungsentwicklung mit der steigenden Zahl alter Menschen zurück, aber auch auf bessere Diagnosemethoden. Das lückenhafte Angebot an ambulanter Hilfe führe ebenfalls dazu, dass die Menschen Hilfe im Krankenhaus suchten.
Auch mehr Alzheimer-Befunde bei Jüngeren
Bei jüngeren Menschen beobachtet Lekkos "eine diskrete Zunahme". Der Anstieg sei allerdings noch nicht aussagefähig und könne mehrere Ursachen haben. Im jungen Alter sei eine genaue Diagnose manchmal schwierig. Zuweilen ähnelten die Symptome nur der Alzheimer-Erkrankung, zum Beispiel bei der Erkrankung Chronische traumatische Enzephalopathie, CTE, die Fußballer oder Boxer durch sogenannte Minitraumata am Kopf erleiden können.
Vorbeugung ist möglich
Alzheimer, sagt der Experte, sei nicht unmittelbar vererbbar. Dennoch gebe es Dispositionen für die Erkrankung, sprich: Wenn die Angehörigen erkrankt sind, steigt das Risiko, selbst zu erkranken. Wichtig zur Vorbeugung sei eine gesunde Lebensführung: Hirnleistungstraining, Sport und gesunde Ernährung mit mediterraner Kost wie Olivenöl, Fisch und weniger rotem Fleisch könnten das Erkrankungsrisiko reduzieren.
Helfen Medikamente gegen Alzheimer?
Medikamente, die Alzheimer heilen könnten, gibt es bislang nicht. Inzwischen sollen mehrere neue Wirkstoffe zur medikamentösen Behandlung getestet werden. Eines wurde gerade in den USA zugelassen. Konstantin Lekkos ist sicher: "Die Wissenschaft ist auf dem Weg, die Krankheit besser zu verstehen." Noch beobachte man bei einigen Medikamenten aber auch schwere mögliche Nebenwirkungen wie Hirnblutungen.
Jeden guten Moment genießen
Andreas Lissel versucht, so selbständig wie möglich zu bleiben, betreibt Krafttraining, fährt noch Rad und macht mit seiner Frau den Haushalt. Für sie gilt es, bei aller Sorge stabil zu bleiben. Doch das ist schwer. Die Außendienstlerin ist seit Monaten wegen schwerer Erschöpfung krankgeschrieben. Vier Jahre bleiben Andreas Lissel nach ärztlicher Prognose noch. So lange, das hat er sich mit seiner Frau vorgenommen, genießen sie gemeinsam jeden guten Moment.