Stand: 06.05.2018 09:05 Uhr

Winterkorn-Ermittlungen kurz vor Abschluss

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat ihre Ermittlungen gegen den ehemaligen VW-Konzernchef Martin Winterkorn und weitere Beschuldigte im Abgas-Skandal offenbar fast abgeschlossen. Das berichtet die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (FAS). Im Sommer solle den Verteidigern Akteneinsicht gewährt werden, sagte Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe der Zeitung. "Wenn man sich die Ermittlungen, die im Dieselverfahren Vorgänge bei VW aus etwa zwölf Jahren aufklären sollen, als Marathonlauf vorstellt, beginnt damit quasi die Runde im Stadion mit Sicht auf die Ziellinie", erklärte Ziehe. In Braunschweig prüfen mehrere Staatsanwälte mit Unterstützung des niedersächsischen Landeskriminalamts den Verdacht des Betrugs und der Marktmanipulation.

Beratungen mit VW-Jurist?

Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) hatten jüngst ergeben, dass sich die Beweislage gegen Winterkorn erhärtet hat. Bekannt war bislang, dass zwei VW-Manager angegeben haben, Winterkorn am 27. Juli 2015 detailliert über die Betrugssoftware informiert zu haben. NDR, WDR und SZ zufolge gibt es weitere Aussagen hochrangiger VW-Mitarbeiter, die die Darstellung stützen, wonach Winterkorn spätestens an diesem 27. Juli über die Betrugssoftware Bescheid wusste. Winterkorn soll sich demnach an dem fraglichen Tag außerdem mit einem VW-Juristen beraten haben. Der Ex-Vorstandschef selbst hat bislang immer behauptet, erst im September 2015 von der illegalen Software erfahren zu haben.

Rechtsprofessor sieht Winterkorns Vermögen in Gefahr

Die FAS berichtet zudem über mögliche Schadenersatzansprüche gegen Winterkorn, die der Volkswagen-Aufsichtsrat prüft. Diese Prüfung ist nicht neu, sie läuft bereits seit etwa zwei Jahren. Winterkorn drohe der Verlust seines gesamten Vermögens, schreibt die Zeitung nun: Er habe bei VW insgesamt mehr als 100 Millionen Euro verdient, allein seine Pensionsansprüche summierten sich auf knapp 30 Millionen Euro. "Dieses Geld wäre im Extremfall komplett weg", sagte der Berliner Rechtsprofessor Gregor Bachmann der Zeitung. Dass es dazu kommt, ist allerdings eher unwahrscheinlich - könnte der Autobauer sich doch damit möglicherweise selbst schaden. Belangt er seinen früheren Chef, könnten etwa die Anwälte der Aktionäre dies als Beleg anbringen, dass der Vorstand mehr über die Diesel-Affäre wusste als bisher behauptet.

Anklage und Haftbefehl in den USA

Dass Winterkorn immer stärker unter Druck gerät, steht dennoch wohl außer Frage. Nachdem die US-Justiz ihn unter anderem wegen Betrugs angeklagt hat, ist in den USA nun auch Haftbefehl gegen den früheren VW-Chef erlassen worden. Eine Auslieferung in die USA gilt allerdings als unwahrscheinlich. In einer sogenannten erweiterten Anklageschrift, die am Donnerstagabend (MEZ) im US-amerikanischen Detroit veröffentlicht worden ist, werden Winterkorn Betrug sowie Mittäterschaft vorgeworfen. "Wer versucht, die Vereinigten Staaten zu betrügen, wird einen hohen Preis bezahlen", sagte US-Justizminister Jeff Sessions laut einer Mitteilung. Die Tatsache, dass Straftaten von VW von der höchsten Ebene der Konzernführung abgesegnet gewesen sein dürften, sei erschreckend, sagte der zuständige Staatsanwalt Matthew J. Schneider.

25 Jahre Haft und 275.000 Dollar Geldstrafe?

Die Ermittler gehen davon aus, dass Winterkorn bereits im Mai 2014 über die Abgasmanipulation informiert worden sei und dann mit anderen Teilen der Führungsspitze des Konzerns entschieden habe, die illegale Praxis fortzusetzen. Der 70 Jahre alte Winterkorn ist in insgesamt vier Punkten angeklagt. Ein Gerichtssprecher sagte, dem ehemaligen Spitzenmanager drohe eine Haftstrafe von bis zu 25 Jahren sowie eine Geldstrafe von 275.000 US-Dollar - dies sei das Maximum laut Strafgesetzbuch. Winterkorn selbst äußerte sich bislang nicht. "Wir prüfen das und werden uns zu gegebener Zeit äußern", hieß es von seinem Anwalt.

Rücktritt im September 2015

Winterkorn war im September 2015 zurückgetreten, nachdem US-Behörden Manipulationen von VW-Dieselautos aufgedeckt hatten. Etwa 600.000 Fahrzeuge waren allein in den USA betroffen - weltweit etwa elf Millionen. Trotz des Rücktritts hatte der Ex-Konzernchef nie eingeräumt, sich eines Fehlverhaltens bewusst zu sein. Volkswagen selbst erklärte in einer Stellungnahme, mit den US-Behörden "vollumfänglich" kooperieren zu wollen. Zu einem möglichen Verfahren gegen Winterkorn wollte das Unternehmen kein Statement abgeben. Die US-Justizbehörden hatten zuvor bereits Strafanzeigen gegen acht amtierende und frühere Mitarbeiter des VW-Konzerns gestellt. Zwei von ihnen, der Ingenieur James Liang und der Manager Oliver Schmidt, wurden zu mehrjährigen Haftstrafen und hohen Geldbußen verurteilt. Es handelte sich um das gleiche Verfahren, das sich nun auch gegen Winterkorn richtet.

Staatsanwaltschaft Braunschweig: "Keine Signalwirkung"

"Die Anklage in den USA nehmen wir zur Kenntnis", sagte ein Sprecher der Braunschweiger Anklagebehörde NDR 1 Niedersachsen. Sie habe aber keinerlei Signalwirkung für die laufenden Ermittlungen. "Wir haben unser eigenes Konzept, das Schritt für Schritt abgearbeitet wird", so der Sprecher weiter. Die Staatsanwälte aus Niedersachsen wollen die Unterlagen der US-Behörden einsehen.

Anleger haben wegen erlittener Kursverluste auf Schadenersatz in Milliardenhöhe geklagt, da die VW-Aktie nach Bekanntwerden des Skandals auf Talfahrt ging. Die Manager sollen die Finanzmärkte zu spät über die Affäre informiert haben. Der Konzern betont stets, dies rechtzeitig getan zu haben.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 06.05.2018 | 10:00 Uhr

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