Hat Winterkorn Diesel-Problem richtig eingeschätzt?
Zum ersten Mal hat sich Volkswagen in der vergangenen Woche ausführlich dazu geäußert, warum der Konzern den eigenen Abgasskandal nicht schon viel früher öffentlich gemacht hat. In einem vier Seiten langen Schreiben erklärt VW, dass es zwar schon im Jahr 2014 Hinweise auf Probleme beim Diesel in den USA gegeben habe. Allerdings habe der Konzern das ganze Ausmaß des Themas damals offensichtlich unterschätzt. Die Angelegenheit wurde - so heißt es wörtlich - als "ein Produktthema unter vielen" eingeschätzt. Das hat sich inzwischen massiv geändert.
"BamS": Winterkorn wusste im Mai 2014 definitiv Bescheid
Undurchsichtig bleibt die Rolle von Ex-Chef Martin Winterkorn im Abgasskandal. Volkswagen gibt an, dass Winterkorn bereits im Mai 2014 eine Notiz über stark abweichende Abgas-Werte in den USA bekommen habe. Ob der Ex-Vorstandschef diese auch gelesen hat, sei aber nicht dokumentiert. Die "Bild am Sonntag" (BamS) berichtet nun, dass Winterkorn die Information gelesen haben muss. Denn er habe daraufhin eine technische Einschätzung angefordert. Ihm sei versichert worden, das Problem sei lösbar. Die "BamS" beruft sich dabei auf eine angebliche Aussage Winterkorns bei der Befragung durch die US-Anwälte von Jones Day. Die Kanzlei ermittelt im Auftrag von VW, wie es zu dem Skandal kommen konnte. Volkswagen wollte sich am Sonntag dazu nicht äußern und verwies auf den Zwischenbericht von Jones Day, der für die zweite Aprilhälfte angekündigt ist.
Spätestens im September war Winterkorn konkret informiert
Laut der Darstellung von VW soll Winterkorn im Juli 2015 mit Mitarbeitern über das Diesel-Problem gesprochen haben - ob er die Tragweite des Themas damals verstanden hat, ist aber ebenfalls unklar. Spätestens Anfang September wurde Winterkorn dann konkret über die verbotene Diesel-Software informiert. Allerdings vergingen weitere zweieinhalb Wochen bis Volkswagen sich (unter dem Druck der US-Umweltbehörden) zum Skandal äußerte.
Von großem Interesse dürfte inbesondere für die Aktionäre nicht allein Winterkorns Rolle sein. Nach dem "BamS"-Bericht gerät auch der neue Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch unter Druck. Als damaliger Finanzvorstand soll er am 8. September über die Software-Manipulationen informiert worden sein - rund zwei Wochen, bevor VW die Manipulationen öffentlich einräumte. Börsennotierte Unternehmen müssen kursrelevante Informationen qua Gesetz in einer Mitteilung ad hoc veröffentlichen. Dazu habe Pötsch in der Sitzung aber geschwiegen und nicht vor möglichen Folgen gewarnt, berichtete die "BamS".
Konzern hatte mit vergleichsweise geringem Bußgeld gerechnet
Volkswagen ging zunächst davon aus, das Diesel-Problem mit einem Rückruf und einem vergleichsweise geringen Bußgeld aus dem Weg räumen zu können. Die Rede ist dabei von einem Vergleichsfall, bei dem ein Unternehmen in einem ähnlichen Fall eine Strafe von 100 Millionen Dollar zahlen musste. Da so etwas nicht ungewöhnlich sei, habe der Fall in der Vorstandsetage keine besondere Aufmerksamkeit erfahren. Mit diesen Argumenten rechtfertigt sich VW nun dafür, die Öffentlichkeit erst im Herbst 2015 über die Manipulationen informiert zu haben. Aktionäre halten das für viel zu spät. Sie verlangen eine Entschädigung, weil die VW-Aktie kurz darauf abstürzte und die Anleger viel Geld verloren.