VW: Die Autolobbyisten in der Bundesregierung
Sie wollen von nichts gewusst haben: Politiker auf Bundes- und Landesebene geben sich unschuldig und ahnungslos, wenn es um den VW-Skandal namens "Dieselgate" geht. Nun aber wird Entschlossenheit demonstriert: Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) gibt zu Protokoll: "Es ist dringlich, dass das alles aufgeklärt wird, dafür müssen wir uns auch selbstverständlich als Bundesregierung einsetzen."
Hohe Werte sind keinesfalls neu
Axel Friedrich ist Mitglied des International Council on Clean Transportation (ICCT), das maßgeblich an der Enthüllung der Diesel-Tricksereien von VW beteiligt war. Besonders pikant: Friedrich war früher Abteilungsleiter im Umweltbundesamt, wurde allerdings 2007 versetzt - angeblich auf Betreiben des damaligen Umwelt- und heutigen Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel (SPD). Friedrich sagt heute: "Das ist ja nichts Neues, das wir so hohe Werte haben. Man hätte längst aktiv werden müssen, denn die Daten liegen längst auf dem Tisch."
Tatsächlich entstehen die Messergebnisse auf den Prüfständen fernab der Realität. Als das ICCT 15 neue Dieselautos im realen Betrieb testete, kam es zu bemerkenswerten Ergebnissen: Im amtlichen Test hielten alle Fahrzeuge den offiziellen Grenzwert ein - doch unter realen Fahrbedingungen explodierten die Werte im Durchschnitt um das Siebenfache - bei einem Fahrzeug lagen die gemessenen Giftstoffe im Abgas sogar 2.500 Prozent über dem zugelassenen Grenzwert.
"Das ist einfach Betrug"
Für den Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch, ist klar, was diese Werte bedeuten: "Wenn Sie auf der Straße messen, und die Messwerte weichen um fünf oder zehn Prozent ab, dann ist das ungefähr am Rand der Messtoleranz. Wenn Sie jetzt aber den gleichen oder in etwa gleichen Zyklus auf der Straße fahren und sie haben plötzlich 700 Prozent Abweichung, dann ist das halt einfach Betrug."
Das Kraftfahrtbundesamt: ein zahnloser Tiger?
Ein Betrug, den die amerikanische Umweltbehörde EPA VW nun nachgewiesen hat. Und in Deutschland? Auch hier gibt es eine Prüfbehörde: das Kraftfahrtbundesamt. Es hätten nach diesem Test tätig werden können - wie das EPA in den USA. Doch Umweltschützer kritisieren es habe keine ernstzunehmenden Nachtests gegeben. Vom Verkehrsmininsterium heißt es, man führe regelmäßig Stichproben durch. Allerdings: Diese Stichproben überprüfen lediglich erneut die in der Realität auf der Straße irrelevanten Prüfstand-Werte.
Zuständig für das Kraftfahrtbundesamt ist Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Statt zu kontrollieren gab er sich bislang eher als Freund der Autoindustrie. Nach Recherchen von Panorama wurde sein Ministerium, unter Vorgänger Peter Raumsauer, bereits 2011 konkret vor verdächtigen Werten beim VW Passat gewarnt. Doch Dobrindt behauptet nichts gewusst zu haben. Der Verkehrsminister duckt sich bislang weg, begegnet Vorwürfen wenn überhaupt nur mit jovialem Grinsen: "Quatsch", so seine Antwort auf die Frage, ob zwischen Automobilindustire und Politik nicht etwas zu viel Nähe herrscht.
Ein Schlupfloch nach dem nächsten
Dass ein CSU-Verkehrsminister knallharte Industriepolitik macht, mag vielleicht noch verständlich sein, aber zumindest Umweltministerin Hendricks müsste gegen den übermäßigen Giftstoff-Ausstoß dicker Karossen vorgehen. Eigentlich soll es bald EU-weit neue, realistische und betrugssichere Abgastests geben. Doch Hendricks‘ Ministerium hat vor kurzem ein Papier eingebracht, das viele kleine Schlupflöcher und Aufweichungen fordert. Am Ende sollen deutsche Autos mit Dieselmotoren weiter so viele Abgase ausstoßen dürfen, dass Grenzwerte zeitweise überschritten werden.
Greg Archer ist Experte für Schadstoffreduzierung in Fahrzeugabgasen, war Berater der britischen Regierung und ist nun beim Think Tank "Transport & Environment“. Er kritisiert die deutsche Haltung: "Da besteht ganz offensichtlich ein großer Unterschied zwischen dem, was Politiker in Deutschland sagen, und dem, was sie in Brüssel tun. Die Europäische Kommission wollte den neuen Test ja gerade deshalb, um die legalen Schlupflöcher, die es im jetzigen Test gibt, zu stopfen. beenden. Was jetzt aber passiert ist, dass genau die wieder durch die Hintertür eingeführt werden soll. Das ist Heuchelei."
Das Bundesumweltministerium steht dagegen auf dem Standpunkt, die bisherigen Vorgaben seien streng genug. Man habe vor, diese "weder zu verwässern noch zu verschärfen", heißt es in einer Antwort auf eine Panorama Anfrage. Deswegen könnten "in diesem Verfahren keine aus Umweltsicht unliebsamen 'Schlupflöcher' oder 'unfair flexibilities' herausgerechnet werden."
Umwelthilfe: Ministerin wusste Bescheid
Auch die Umweltverbände behaupten, Hendricks gucke schon lange weg. Immer wieder habe man die Ministerin persönlich darum gebeten, etwas zu unternehmen, erzählt Jürgen Resch von der Umwelthilfe: "Wir sind uns innerhalb der Verbände, ich glaube auch in weiten Teilen der Experten des Umweltbundesamtes, sofern sie das frei sagen dürfen, einig, dass solche Abweichungen nur durch Tricksereien zustande kommen können. Beim ersten Gespräch mit ihr habe ich sie darauf angesprochen, dass es ein Riesenproblem in Deutschland gibt, eben mit diesen abweichenden Werten und hab sie auch drum gebeten tätig zu werden."
Doch Hendricks unternahm nichts und gibt sich weiterhin ahnungslos: "Ich kann mich nicht erinnern, dass die deutsche Umwelthilfe mich persönlich gemahnt hätte. Wir haben alles in die Wege geleitet, was nötig ist." Schriftlich teilt ihr Ministerium lapidar mit: "Zu Manipulationen bei Abgasgrenzwerten von Diesel-Fahrzeugen sind dem Bundesumweltministerium von der Deutschen Umwelthilfe keine belastbaren Belege vorgelegt worden." Denn dafür brauchte es offenbar erst die Experten der amerikanischen Umweltbehörde. Hendricks' Ministerium dagegen macht auf europäischer Ebene Lobbyismus für die deutsche Autoindustrie.