"Reichsbürger"-Prozess: Ex-Polizist aus Hannover unter Angeklagten

Stand: 22.05.2024 09:23 Uhr

Der Prozess gegen den ehemaligen Kriminalhauptkommissar Michael Fritsch aus Hannover und andere mutmaßliche "Reichsbürger" der Gruppe um Prinz Reuß hat am Dienstag in Frankfurt am Main begonnen.

von Michael Brandt

Michael Fritsch war einerseits viele Jahre ein anerkannter Polizist in Hannover. Andererseits soll der Ex-Hauptkommissar laut Anklage zum "militärischen Arm" der mutmaßlichen Terrorgruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß gehört haben. Er und ein Finanzberater aus dem Landkreis Harburg stehen seit Dienstag mit sieben weiteren mutmaßlichen "Reichsbürger"-Terroristen vor dem Oberlandesgericht Frankfurt. Es geht um die Rädelsführer der Vereinigung. Noch nie war eine so große Gruppe mutmaßlicher Reichsbürger angeklagt.

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Dieser ehemalige Polizist ist Teil der Reichsbürger-Gruppierung, die einen gewaltsamen Umsturtz geplant hat und sich dafür nun vor Gericht verantworten muss. © Screenshot
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Weiterer Reichsbürger-Prozess startet in Frankfurt am Main

Heinrich XIII. Prinz Reuß und acht weitere Angeklagte stehen vor Gericht - darunter auch zwei Niedersachsen. Angelika Henkel mit Details. 5 Min

Ehemalige Bundeswehrsoldaten und AfD-Abgeordnete unter Angeklagten

Den Angeklagten wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen und die sogenannte "Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens", so die Bundesanwaltschaft. Unter den Angeklagten sind Ex-Bundeswehrsoldaten und eine AfD-Bundestagsabgeordnete.

Faeser: Keine "harmlosen Spinner"

Kurz nach den Festnahmen im Dezember 2022 war noch unklar, wie gefährlich diese Vereinigung ist. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) teilte dazu mit, dass es sich nicht um "harmlose Spinner" handele, sondern um gefährliche Terrorverdächtige. Das Netzwerk habe schließlich geplant, bewaffnet in den Bundestag einzudringen, Abgeordnete festzunehmen und das demokratische System zu stürzen. Die Strafprozesse hätten eine neue Dimension.

Drei Mammutverfahren in drei Städten

Medienvertreter und andere Besucher stehen in einer Warteschlange vor Beginn des Prozesses gegen die mutmaßliche «Reichsbürger»-Gruppe um Prinz Reuß vor dem provisorischen Gerichtsgebäude im Frankfurter Stadtteil Sossenheim. © dpa-Bildfunk Foto: Helmut Fricke
Am Oberlandesgericht begann am Dienstag der Prozess gegen neun mutmaßliche "Reichsbürger"-Terroristen.

Allein im Frankfurter Verfahren gibt es 25 Verteidiger, rund 260 Zeugen und 800 Ordner mit Akten. Ende April hatte in Stuttgart die erste Gerichtsverhandlung begonnen, die dritte ist ab dem 18. Juni in München geplant. Insgesamt 26 mutmaßliche Verschwörer und Verschwörerinnen sind angeklagt. Für die Beschuldigten gilt bis zum Urteil die Unschuldsvermutung. In Frankfurt geht es unter anderem um den Unternehmensberater Hans-Joachim H. und den Ex-Polizisten Michael Fritsch. Beide sollen zur Kerngruppe um Prinz Reuß gehört haben.

Massives Arsenal mit 380 Schusswaffen und mehr

Der Vorwurf gegen sie: Mit einem Putsch habe die Gruppe rund um Heinrich XIII. Prinz Reuß die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam beseitigen und durch eine eigene ersetzen wollen. "Dazu legte sich die Vereinigung ein massives Arsenal an Waffen und anderen militärischen Gegenständen zu. Darunter waren etwa 380 Schusswaffen sowie rund 350 Hieb- und Stichwaffen", sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft.

Ex-Polizist soll Kräfte rekrutiert haben

Michael Fritsch wäre nach dem geplanten Umsturz eine Art "Innenminister" geworden, heißt es. Bei den Treffen des Führungszirkels der "Reichsbürger"-Vereinigung im Jagdschloss ihres Rädelsführers Prinz Reuß soll der ehemalige Hauptkommissar bereits skizziert haben, wie er sich den Wiederaufbau nach einem Zusammenbruch der Bundesrepublik vorstellt. Das mutmaßliche Ziel: Nach dem Umsturz sollten bundesweit 286 sogenannte Heimatschutzkompanien die neue Ordnung sichern, auch in Niedersachsen sollte es sie geben: in Gifhorn und Wolfsburg, Lüneburg und dem Wendland sowie in Nienburg und Verden. Dafür soll Michael Fritsch laut Anklage versucht haben, insbesondere Polizisten und Bundeswehrsoldaten anzuwerben. Es soll Rekrutierungsveranstaltungen in der Region Hannover und im Harz gegeben haben.

Vom Polizisten zum Terroristen? 

Bei einer Razzia gegen sogenannte Reichsbürger führen maskierte Polizisten den Verdächtigen Heinrich R. in Frankfurt zu einem Polizeifahrzeug. © dpa Foto: Boris Roessler
Heinrich XIII. Prinz Reuß wurde im Dezember 2022 verhaftet.

"Der eine Michael Fritsch ist der kompetente, rational denkende", erinnert sich Hannovers ehemaliger Polizeipräsident Volker Kluwe gegenüber NDR Niedersachsen. Er hatte Michael Fritsch aus dem Dienst geklagt. Einst war Fritsch als Experte für Einbruchschutz auch für das Sicherheitskonzept der jüdischen Gemeinde in Hannover zuständig. Aber während der Corona-Pandemie trat der Polizist immer häufiger auf Demonstrationen von Corona-Leugnern auf. Nach und nach scheint sich der Kriminalhauptkommissar immer weiter in seinen Glauben an Verschwörungsmythen vertieft zu haben. "Das ist der andere Michael Fritsch, der dann verhaftet ist in Ideologien, von denen wir sagen, sie sind abstrus, die niemand von uns verstehen kann", sagt Kluwe.

"Reichsbürger": Glaube an nicht existierenden Geheimbund

Die Mitglieder der Vereinigung um Prinz Reuß berufen sich neben "Reichsbürger"-Thesen auch auf demokratiefeindliche Verschwörungsmythen wie die QAnon-Ideologie - und auf eine sogenannte Allianz. Dieser nicht wirklich existierende Geheimbund aus Nachrichtendiensten, Militärs sowie Regierungen wie Russland und den USA sollte den "Tag X" bestimmen. An dem sollten die Mitglieder der "Reichsbürger"-Vereinigung unter anderem den Bundestag stürmen und Amtsträger in Kommunen, Kreisen und Bundesländern beseitigen. Eine solche Machtübernahme wäre auch mit der Tötung von Menschen verbunden gewesen - heißt es in der Anklage.

Verteidiger: Michael Fritsch wusste nichts von Umsturzplänen 

"Er sagt, er habe nichts von den Umsturzplänen gewusst - und wenn er etwas gewusst hätte, wäre er ausgestiegen", sagte Martin Heynert. Er vertritt mit anderen Anwälten Michael Fritsch. Der Ex-Polizist habe an eine "Allianz" geglaubt, die gemeinsam mit Russland und anderen einen Umsturz anstoßen würde. Die Bundesanwaltschaft sieht in Michael Fritsch ein Mitglied des Führungszirkels der Vereinigung um Prinz Reuß.

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Finanzberater soll Tausende Euro gespendet haben 

Der Finanzberater Hans-Joachim H. aus dem Landkreis Harburg soll der Vereinigung, die sich selbst "Patriotische Union" nannte, laut Anklage mehr als 160.000 Euro gespendet haben. Auch er steht nun in Frankfurt vor Gericht. Sein Mandant sei getäuscht worden und distanziere sich deutlich von der Gruppe um Prinz Reuß, sagte Tobias Weissenborn, der Anwalt von Hans-Joachim H. "Mein Mandant hat der Gruppe kein Geld für einen Umsturz gespendet. Er hat einem Mitbeschuldigten zweckgebundene Darlehen gegeben im besten Glauben, dass es für die Opfer des Ahrtals und für die Bekämpfung eines pädophilen Netzwerks eingesetzt wird." Hans-Joachim H. habe tatsächlich an Treffen teilgenommen. Doch als er ahnte, dass es um ganz andere Ziele geht, als er zunächst angenommen hatte, habe er Abstand genommen und sich zurückgezogen, so sein Anwalt. 

Weitere Verfahren in Stuttgart und München 

In drei parallelen Verfahren müssen sich 27 Angeklagte aus der "Reichsbürger"-Vereinigung um Prinz Reuß vor den Oberlandesgerichten in Stuttgart, Frankfurt am Main und ab Juni auch in München verantworten. Die "Reichsbürger"-Prozesse haben eine bisher beispiellose Dimension - sie sollen bis mindestens 2025 dauern. In München stehen auch ein Anwalt aus Hannover und eine Ärztin aus dem Landkreis Peine vor Gericht. Sie sollten laut Anklage nach dem geplanten Umsturz eine Art "Außenminister" und "Gesundheitsministerin" werden. Seit ihren Festnahmen im Dezember 2022 und Mai 2023 sitzen alle vier mutmaßlichen "Reichsbürger"-Terroristen aus Niedersachsen in Untersuchungshaft.  

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 21.05.2024 | 12:00 Uhr

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Terrorismus

Rechtsextremismus

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