Niedersachsens ÖPNV: Fast ein Drittel der Gemeinden abends abgehängt

Stand: 18.03.2024 21:28 Uhr

Eine NDR Datenrecherche zeigt, wie gut Niedersachsen mit Bus und Bahn versorgt ist. Das Ergebnis: Viele Gemeinden sind abends und am Wochenende unterversorgt - und in einer gibt es gar keine Bushaltestelle.

von Theresa Möckel, Michael Hörz

Grundsätzlich können die Niedersachsen mindestens einmal pro Stunde den Bus oder die Bahn nehmen - zumindest zwischen 6 und 20 Uhr. Die Routen der öffentlichen Verkehrsmittel verteilen sich relativ gleichmäßig über das ganze Land. Am stärksten sind erwartungsgemäß städtische Gebiete abgedeckt, wie der Großraum Hannover-Braunschweig-Wolfsburg oder Oldenburg. Je später es allerdings ist, desto schwieriger wird es, von A nach B zu gelangen.

Hinweis: In der ersten Version der Karte wirkte Rinteln und Umgebung besser versorgt als tatsächlich, da in den Fahrplandaten Anrufsammeltaxis als Busse ausgewiesen sind. Dies ist inzwischen korrigiert.

Nach 20 Uhr ist fast ein Drittel der Gemeinden abgehängt

Die Bushaltestelle im Ortszentrum von Groß Flöthe. © NDR Foto: Theresa Möckel
An Werktagen hält an dieser Bushaltestelle im Ortszentrum der Gemeinde Groß Flöthe nur neun Mal ein Linienbus.

Nach dem Kino- oder Restaurantbesuch mit Bus oder Bahn nach Hause? In fast einem Drittel der Gemeinden in Niedersachsen ist das nach 20 Uhr nicht mehr möglich. Nach 22 Uhr fahren in über 475 Gemeinden keine Bahn und auch kein Bus mehr. In Flöthe, einer Gemeinde mit rund 1.100 Einwohnern im Landkreis Wolfenbüttel, fährt der letzte Bus an Werktagen bereits kurz vor 18 Uhr. Auch tagsüber gibt es eine Lücke, in der von 8 bis 12 Uhr nichts fährt. Für Bürgermeister Christian Lehmberg (Wählergemeinschaft Flöthe) ist es ein "ganz unbefriedigendes Thema". Seit Jahren setzen er und der Gemeinderat sich dafür ein, dass das Angebot aufgestockt wird. Wer in Flöthe wohnt, ist auf das Auto angewiesen, so Lehmberg. "Die Älteren müssen auf Kinder oder Verwandte zurückgreifen".

Zusätzliche Fahrten schwer finanzierbar

Im Regionalverband Großraum Braunschweig, zu dem auch die Gemeinde Flöthe gehört, fahren täglich rund 1.000 Busse und 170 Züge. Verbandsdirektor Ralf Sygusch versteht den Wunsch nach mehr ÖPNV-Angeboten in ländlicheren Gebieten. Doch es fehlt an Geld. "Wir können nicht immer einfach etwas obendrauf packen. Wir haben ein defizitäres System, in dem wir gerade beim Busverkehr auf das Geld der Kommunen und der Landkreise angewiesen sind", so Sygusch. Das niedersächsische Verkehrsministerium will mit dem Bund über zusätzliche Mittel verhandeln. Laut Ministerium konnte das ÖPNV-Angebot "aufgrund der Kostenentwicklung der letzten Jahre" nur vereinzelt ausgeweitet werden. Das Hauptaugenmerk liege auf der Sicherung der Bestandsverkehre, also auf den Strecken, die es schon gibt.

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Eine Gemeinde ohne Bushaltestelle

Es gibt eine Gemeinde in Niedersachsen, in der es bisher gar keine Anbindung an Busse oder Bahnen gibt. In Guderhandviertel im Landkreis Stade gibt es lediglich Haltepunkte für Anruf-Sammeltaxis, aber keine Linienbusse. Die fahren auf der gegenüberliegenden Uferseite der Lühe in den Nachbarorten Mittelnkirchen und Neuenkirchen. Einige der Anwohner stört der Fußweg dahin nicht. Mit Blick auf das Älterwerden gibt es aber schon Sorgen, nicht mehr mobil sein zu können. Nicht nur für ältere Menschen sei die Anbindung wichtig, erzählt Bürgermeister Marco Hartlef (CDU). Auch junge Familien würden sich eher da niederlassen, wo es ÖPNV-Angebote gibt. Eine eigene Bushaltestelle in Guderhandviertel steht zumindest im neuen Nahverkehrsplan. Laut Landkreis Stade soll sie bis 2027 gebaut werden.

Samstagabend: Mehr als 400 Gemeinden unversorgt

Die Anzahl der Gemeinden, die nach 20 Uhr keine Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel haben, nimmt an den Wochenendtagen weiter zu. Samstagnacht, nach 22 Uhr, werden rund 500 Gemeinden nicht mehr angefahren. Im Gegensatz zu ländlichen Bereichen, falle es in den Ballungsräumen leichter, "ein gutes und häufig verkehrendes Angebot" anzubieten, so die Landesnahverkehrsgesellschaft. In der Region Hannover ist beispielsweise auch an den Wochenendnächten ein stündliches Angebot vorhanden. In den Kommunen, die am Rand der Region liegen, fahre bis circa 1 Uhr das On-Demand-Angebot "sprinti", das vor Kurzem mit dem Deutschen Mobilitätspreis ausgezeichnet wurde. Aus Kostengründen droht allerdings auch dem Vorzeigeprojekt "sprinti" schon wieder das Aus. An Sonntagen sind über 300 Gemeinden gar nicht an den öffentlichen Nahverkehr angebunden.

On-Demand-Busse als Alternative

Der Regionalverband Großraum Braunschweig testet flexible Angebote, die im ländlichen Raum in den Früh- und Abendstunden unterwegs sind, ähnlich dem Angebot in der Region Hannover. Das Land Niedersachsen will solche Angebote fördern und sieht darin "eine hochwertige Alternative zum klassischen Linienbus mit festem Fahrplan". Dafür müssten auch technische Voraussetzungen geschaffen werden, merkt der Zweckverband Verkehrsverbund Südniedersachsen an. Zum Beispiel durch Buchungs- und Bezahlmöglichkeiten via App.

Zur Datengrundlage

Die Analyse des öffentlichen Personennahverkehrs in Niedersachsen erfolgte mithilfe der Fahrplandatenbank DELFI (Durchgängige elektronische Fahrgastinformation). Diese Daten werden von der Initiative "OpenData ÖPNV" zur Verfügung gestellt. Die niedersächsischen Verkehrsbetriebe stellen dort ihre Fahrplandaten ein. Für die Auswertung wurden lediglich Busse und Bahnen berücksichtigt. Fähren, Seil- oder Schwebebahn und flexible Fahrangebote, wie zum Beispiel Anruf-Sammeltaxis, wurden von der Betrachtung ausgeschlossen. Abgesehen von der Gemeinde Gudehandviertel im Landkreis Stade sind in dieser Analyse deshalb auch die Nordseeinseln, bis auf Norderney, als unversorgte Gemeinden eingestuft.

 

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Dieses Thema im Programm:

Hallo Niedersachsen | 18.03.2024 | 19:30 Uhr

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