Eine Notärztin von hinten im Einsatz. © dpa Foto: Oliver Berg

Kommen Rettungsdienste in Niedersachsen rechtzeitig?

Stand: 17.07.2024 06:15 Uhr

Bei einem Herzstillstand kann medizinische Hilfe nicht schnell genug vor Ort sein. Doch eine Datenrecherche zeigt: Mancherorts brauchen Niedersachsens Rettungsdienste zu viel Zeit bis zum Einsatzort.

von Lars Stuckenberg

Jährlich rücken Rettungsdienste in Deutschland 120.000 Mal aus, weil das Herz eines Menschen nicht mehr schlägt. Laut Bundesgesundheitsministerium versucht der Rettungsdienst 60.000 Mal, Menschen wiederzubeleben. Nur 11 Prozent überleben. Experten meinen, dass es mehr sein könnten. Und sie fordern eine Reform des Rettungsdienstes.

Nach einem Herzinfarkt zählt jede Sekunde

Wenn das Herz aufhört zu schlagen, bleiben nur zwei bis vier Minuten, bis die Organe, vor allem das Gehirn, Schaden nehmen. Etwa zehn Prozent der Gehirnleistung gehen pro Minute ohne Wiederbelebung irreversibel verloren. Im Schnitt ist der Rettungsdienst in gut sieben Minuten vor Ort. Doch es gibt regionale Unterschiede, wie eine Datenrecherche des SWR DataLabs zeigt.

Nur in Osnabrück läuft es gut

In Osnabrück ist der Rettungsdienst in 92 Prozent der Fälle in unter acht Minuten vor Ort. In Oldenburg schaffte er es nur in 57 Prozent der Fälle, die acht-Minuten-Grenze einzuhalten. In Goslar waren es nur 43 Prozent. Entscheidend ist, wie der Rettungsdienst organisiert ist.

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Gesetzliche Hilfsfristen sind nicht ausreichend

In Niedersachsen regelt das Rettungsdienstgesetz (NRettG) die maximale Eintreffzeit. Von der Entscheidung des Disponenten bis zum Eintreffen sollen maximal 15 Minuten vergehen. Dieses Ziel müssen die Rettungsdienste in 95 Prozent aller Einsätze erreichen. Der NDR Niedersachsen hat bei allen 49 Rettungsdienstträgern nachgefragt. Fast alle halten die 15-Minuten-Frist ein. Im Harz, Lüchow-Dannenberg und im Landkreis Osterholz werden die Ziele jedoch deutlich verfehlt.

Deutsches Reanimationsregister fordert anlassorientierte Hilfsfristen

Die Hilfsfrist von 15 Minuten gilt für Einsätze aller Art. Klagt jemand über Kopfschmerzen, gilt die Frist ebenso wie für den Herzkreislaufstillstand. Das Reanimationsregister kritisiert diese Fristsetzung. Für reanimationspflichtige Patienten soll eine neue Hilfsfrist von maximal acht Minuten gelten. Landkreise und Kommunen müssten Rettungswagen oder Notärzte bereithalten, um bei Wiederbelebungen schnell zu reagieren.

Nach Notruf: Viele Faktoren, um Leben zu retten

Herzdruckmassage an einem auf dem Boden liegenden Mann © colourbox
Oft sind es Ersthelfer vor Ort, die Leben retten. Deswegen sollen Bürger mehr Erste-Hilfe-Kurse belegen.

Damit die Rettung vom Notruf bis zum Krankenhaus erfolgreich ist, müssen viele Faktoren zusammenspielen. Moderne Leitstellen verwenden systematisierte Notrufabfragen. Der Computer gibt dem Disponenten Fragen vor und schlägt Rettungsmittel vor. Im ländlichen Raum wird lieber ein Hubschrauber als ein Notarzt geschickt, der eine längere Anfahrt hätte. Auch die Platzierung der Rettungswagen und Notarztstandorte beeinflusst die Reaktionszeit. In manchen Kreisen kommen professionelle Ersthelfer, sogenannte First Responder, zum Einsatz.

Ersthelfer können Leben retten

In Oldenburg wird seit gut 20 Jahren auf First Responder gesetzt. Das sind Pflegekräfte mit Zusatzqualifikationen, Rettungssanitäter im Dienstfrei oder Ärzte, die mit einem Funkpieper ausgestattet sind. Bekommt die Rettungsleitstelle einen Herzkreislaufstillstand gemeldet, schlägt der Computer vor, den nächsten First Responder zu alarmieren. Dieser kann oft schneller als der Rettungswagen vor Ort sein und mit der Wiederbelebung beginnen. Ein solches Prinzip gibt es nur in 19 Landkreisen und Kommunen in Niedersachsen. In sechs weiteren ist die Einführung geplant.

Ohne Laien als Ersthelfer ist die Überlebenschance gering

Damit zukünftig Menschen Herz-Kreislauf-Stillstände überleben, braucht es eine umfassende Reform des Rettungswesens. Der Bundesverband der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst fordert eine Neuaufstellung. Rettungswagen sollen vor allem für echte Notfälle eingesetzt werden. Einsätze, die weniger zeitkritisch sind, müssten häufiger vom hausärztlichen Bereitschaftsdienst oder von Notfallkrankenwagen versorgt werden. First Responder müssten flächendeckend organisiert werden. Und das Wichtigste: Bürger sollen mehr Erste-Hilfe-Kurse belegen. 65 Prozent der Herzkreislaufstillstände finden im häuslichen Kontext statt. Ist kein Helfer vor Ort, sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit mit jeder Minute.

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