Herz-Kreislauf-Stillstand: Rettungsdienste in MV selten rechtzeitig vor Ort
Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand zählt jede Sekunde. Wie schnell eine Person reanimiert wird, kann über Leben und Tod entscheiden. Wann Rettungskräfte eintreffen, unterscheidet sich bundesweit mitunter stark. In Flächenländern wie Mecklenburg-Vorpommern entscheiden daher auch organisierte Erste Hilfe oder vor allem Ersthelfer über die Überlebenschancen im Notfall.
Von etwa 55.000 reanimierten Notfallpatienten überleben in Deutschland nur 7.400. Das ist das Ergebnis einer Recherche des Südwestrundfunks (SWR). Für Mecklenburg-Vorpommern errechneten die Autoren der Datenanalyse, dass von mindestens 1.060 Reanimierten pro Jahr nur etwa 140 mit akuten Herzproblemen überleben. Je schneller professionelle Hilfe im Notfall vor Ort ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, einen Herz-Kreislauf-Stillstand zu überleben. Dabei sind laut Experten die ersten acht Minuten entscheidend, um einem Patienten mit beispielsweise akuten Herzproblemen wirksam helfen zu können.
Rettungsdienste in MV selten unter acht Minuten am Notfallort
Bis der Rettungsdienst in Mecklenburg-Vorpommern vor Ort ist, vergeht jedoch in der Regel mehr Zeit. Die Empfehlung medizinischer Fachgesellschaften, nach der 80 Prozent der Reanimationsfälle innerhalb von acht Minuten vor Ort professionell versorgt werden sollten, wurde nach den Berechnungen des SWR Data Lab im Landkreis Rostock nicht einmal in einem Drittel der Fälle erreicht. Am schnellsten sind die Rettungskräfte demnach in der Stadt Rostock unterwegs. Dort erreichten die Rettungskräfte ihre Notfallpatienten im Jahr 2022 im Schnitt in 76 Prozent der Fälle in unter acht Minuten. In den größeren Städten des Landes wurden die Einsatzorte von Rettungskräften im Jahr 2022 beispielsweise in 95 Prozent aller Fälle innerhalb von zehn Minuten erreicht, im ländlichen Raum gelang das nur in 75 Prozent der Fälle.
Gesetzliche Hilfsfristen bei Herz-Kreislauf-Versagen zu langsam
Gemessen an den bundesweit erfolgreichsten Rettungsdienstbereichen hätetn in Mecklenburg-Vorpommern nach Ansicht von Experten rechnerisch rund 50 weitere Personen gerettet werden können. Wie schnell der Rettungsdienst in Notfällen am Einsatzort ankommen sollte, ist in den Rettungsdienstgesetzen der Bundesländer festgelegt. In MV sollen Notfallpatienten in unter zehn Minuten am Einsatzort erreicht werden, maximal aber in 15 Minuten, je nachdem, ob sich der Notfallort in einem städtischen (ab 20.000 Einwohner) oder ländlichen Raum befindet.
"Die Hilfsfrist wird in einem Rettungsdienstbereich erfüllt, wenn im jeweiligen Rettungsdienstbereich an einer Straße gelegene Notfallorte im Jahresdurchschnitt aller Einsätze in nicht mehr als zehn Minuten erreicht werden. Im städtischen Bereich soll in 95 Prozent der Einsätze und im ländlichen Bereich in 90 Prozent der Einsätze die maximale Hilfsfrist von 15 Minuten nicht überschritten werden." Rettungsdienstplanverordnung MV (2016)
Herz-Kreislauf-Versagen gilt als der zeitkritischste aller Notfälle. Im Fall einer Reanimation reicht das Einhalten der gesetzlichen Fristen in den meisten Fällen also nicht aus. Bei einem Herzinfarkt kommt es auf jede Minute an.
Wichtigstes Glied in der Rettungskette sind die Leitstellen
In der Schweriner Leitstelle gehen täglich bis zu 1.000 Anrufe ein. Insgesamt waren es in Mecklenburg-Vorpommern laut Deutschem Rotem Kreuz, das etwa zwei Drittel aller Einsätze im Nordosten fährt, im Jahr 2022 rund 210.000 Einsätze - knapp 20.000 mehr als im Jahr zuvor. Damit sichergestellt wird, dass lebensrettende Maßnahmen bestenfalls sofort begonnen werden, gelten zudem Ersthelfende und unterstützende Systeme als unerlässlich. Als wichtigstes Glied in der Rettungskette gelten jedoch die Leitstellen. Sie sind in Rettungsdienstbereichen organisiert, die in MV mit den Landkreisen zusammenfallen. Sie müssen am Telefon die richtigen Fragen stellen, Rettungsfahrzeuge und Ersthelfer koordinieren und bestenfalls am Telefon Anleitungen geben. Bei der Art wie gefragt wird, gibt es bundesweit Unterschiede.
Studien zeigen, dass der Einsatz von strukturierten oder standardisierten Notrufabfragen (SSNA) dazu beiträgt, lebensbedrohliche Notfälle zuverlässiger und schneller zu erkennen, als wenn frei und auf Grundlage von Erfahrung gefragt wird. Bundesweit nutzt laut SWR Data Lab mindestens ein Fünftel der deutschen Rettungsdienstbereiche bislang keine SSNA in ihrer Leitstelle. In Mecklenburg-Vorpommern hingegen wird in allen acht Rettungsdienstbereichen strukturiert oder standartisiert abgefragt.
Wie wichtig Ersthelfer im Notfall wirklich sind
Wird eine Person im Falle von Herz-Kreislauf-Versagen nicht innerhalb von zehn Minuten reanimiert, sinkt die Wahrscheinlichkeit ihres Überlebens gegen Null. Bereits nach zwei Minuten ohne Puls und Wiederbelebungsmaßnahmen sterben erste Gehirnzellen unwiederbringlich ab, nach vier Minuten beginnen Organe wie die Lunge oder die Nebennieren zu versagen. Die Zeit bis zum Eintreffen der Rettungskräfte sollte deswegen von Ersthelfenden überbrückt werden. Da rund 60 Prozent aller Fälle von Herz-Kreislauf-Stillstand von Zeugen beobachtet werden und sich mit 70 Prozent die häufigsten Notfälle dieser Art im häuslichen Umfeld ereignen, kann Erste Hilfe im Ernstfall Leben retten oder Folgeschäden verhindern. Dazu zählen in der Rettungskette auch sogenannte First Responder, die von den Leitstellen zum Einsatzort geschickt werden und im Idealfall eintreffen, bevor der Rettungsdienst vor Ort ist. First Responder können zum Beispiel Ärzte ohne Bereitschaft, ausgebildete Ersthelfer, Feuerwehrleute oder vom Katastophenschutz sein.
Auch durch solche First-Responder-Systeme steigt die Überlebensrate von Betroffenen. Um die Überlebensrate aber noch deutlicher zu steigern, müssten nach Ansicht der Experten mehr Umstehende oder Angehörige in der Lage sein, sofort mit der Reanimation zu beginnen. Auch hier helfen in Mecklenburg-Vorpommern die Leitstellen mit Anleitungen zur Reanimation am Telefon.
Maßnahme gegen lange Anfahrtswege: Die Landretter-App
In Mecklenburg-Vorpommern, wo sich die flächenmäßig größten Landkreise bundesweit befinden, erschweren außerdem lange Wege die Situation für die Rettungskräfte. Warnkenhagen im Landkreis Rostock beispielsweise liegt zwischen den zwei Rettungswachen in Laage und in Teterow, die etwa 24 Kilometer und rund 24 Minuten Fahrtzeit auseinander liegen. Nach Warnkenhagen hätten Rettungsgskräfte beider Wachen auch mit Blaulicht eine reine Fahrzeit von acht bis zehn Minuten. Ähnlich sind die Gegebenheiten in Vorpommern Greifswald.
In Vorpommern-Greifswald sind jedoch dank einer Notfall-App "Die Landretter" oftmals geschulte, freiwillige Helferinnen und Helfer früher vor Ort als der Rettungsdienst. Mit der Lebensretter-App werden registrierte First Responder zum Notfall gerufen, weil sie zufällig in der Nähe sind. Seit Einführung dieser App 2017 hat sich das schon viele hunderte Male bewährt. Über 500 Helfende haben sich dort bereits registriert. Auch Dr. Timm Laslo, Leiter Rettungsdienst im Kreis Vorpommern-Greifswald, hält die smartphonebasierte Ersthelfer-Alarmierung für eine "sinnvolle Ergänzung zum bestehenden System des Rettungsdienstes". In einem flächenmäßig großen Landkreis bei gleichzeitig geringer Besiedlung würden die "Landretter" so zu einer höheren Überlebensrate im Falle eines Herz-Kreislauf-Stillstands beitragen. "Damit wird zugleich auch die Versorgungsqualität im Landkreis Vorpommern-Greifswald erhöht", so Laslo. Alle anderen Landkreise und kreisfreien Städte in Mecklenburg-Vopommern haben ein solches Modell allerdings noch nicht etabliert.