Jemand hält eine guthabenbasierte Debitkarte mit der Aufschrift "Bezahlkarte" vor ein Kartenlesegerät. © IMAGO / Bihlmayerfotografie

Koalitions-Ärger um Bezahlkarte: Grüne sprechen von Wortbruch

Stand: 05.07.2024 17:10 Uhr

Die Bezahlkarte für Geflüchtete sorgt für Streit in der rot-grünen Regierungskoalition in Niedersachsen. Die Grünen sehen im Verhalten der SPD einen Bruch des gemeinsamen Koalitionsvertrages.

von Mandy Sarti

Das geht aus einem Brief der Landesarbeitsgemeinschaft Migration und Flucht der Grünen an den Parteivorstand hervor. In dem Schreiben, das NDR Niedersachsen vorliegt, heißt es: "In der Positionierung des Ministerpräsidenten sehen wir eine unmissverständliche Missachtung des Koalitionspartners." Die Grünen hätten sich lange darauf verlassen, dass Stephan Weil (SPD) ebenso für eine diskriminierungfreie Bezahlkarte stehe, wie es die Grünen tun. "Umso schwerer wiegt jetzt der offensichtliche Wortbruch", heißt es weiter.

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Ist die geplante Bezahlkarte diskriminierend?

Die Grünen stören sich an der Bargeldgrenze von 50 Euro, die Geflüchtete mit der Karte abheben dürfen. Auf die haben sich Bund und Länder bei der vergangenen Ministerpräsidenten-Konferenz verständigt. Aus Sicht der Grünen eine klare Diskriminierung. Mit dieser Einigung "unterstützen wir die Verschiebung des Diskurses nach rechts und stützen eine Politik, die auf Abschottung und Abgrenzung abzielt", heißt es in dem Brief. Die Grünen fürchten von ihren Wählerinnen und Wählern abgestraft zu werden und den Zuspruch an der Basis zu verlieren, "wenn mit der Koalitionspartnerin SPD keine verlässlichen Absprachen getroffen werden können oder wenn kein Vertrauen mehr da ist".

Bezahlkarte soll voraussichtlich ab Herbst gelten

Das Thema scheint viele Parteimitglieder zu beschäftigten. "Viele Landtagsabgeordnete haben sich gefrustet in die Sommerpause verabschiedet", sagt ein Fraktionsmitglied hinter vorgehaltener Hand. "Diese Bezahlkarte verrät die ureigenen grünen Interessen", sagt ein anderes Mitglied. Der Ärger sei landesweit groß - die Grünen hätten sich einen niedersächsischen Sonderweg gewünscht. Im Herbst wollen Bund und Länder nun aber einen einheitlichen Weg beschreiten. Auch der Flüchtlingsrat Niedersachsen hält diesen Weg für diskriminierend.

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Weil will keinen Flickenteppich

Aus der Staatskanzlei heißt es: "Wir wollen keinen Flickenteppich." Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil stellte sich nach der Ministerpräsidentenkonferenz Ende Juni klar hinter den Beschluss von Bund und Ländern und argumentierte, der Konflikt mit dem Koalitionspartner sei geklärt.

Grüne sehen Onays Bezahlkarte als Erfolgsmodell

Doch das ist offenbar nicht der Fall. Ein Streitpunkt ist auch die Bezahlkarte, die Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) als Modellprojekt ins Leben gerufen hat. Diese Bezahlkarte schreibt den Menschen nicht vor, wie viel Bargeld sie abheben dürfen. "Das Hannoversche Modell der diskrimierungsfreien Bezahlkarte hat sich bewährt", macht Onay gegenüber NDR Niedersachsen deutlich. Man habe Bürokratie reduziert und den Menschen die Bezahloption erleichtert. "Für uns gilt: Wer Vertrauen sät, wird Vertrauen ernten." Es wäre sehr bedauerlich, wenn das Hannoversche Modell "zugunsten reiner Symbolpolitik" gestrichen werden müsste, so Onay.

Grüne wollen Onays Bezahlkarte retten

Doch entsprechende Gespräche dazu scheinen schon zu laufen. Denn die SPD will auch in Niedersachsen keinen Sonderweg, sondern eine einheitliche Regelung, heißt es. Für Onays Bezahlkarte könnte das also das Ende bedeuten. "Die Grünen wollen verhindern, dass Belit Onays Bezahlkarte angegriffen wird", sagt Landesvorsitzende Greta Garlichs. Sie kann den Unmut ihrer Parteifreundinnen und Parteifreunde über die geplante einheitliche Bezahlkarte verstehen.

Thema könnte nach der Sommerpause erneut hochkochen

Sollte die Bezahlkarte von Onay gestrichen werden, werten das einige Grünen-Mitglieder als klaren Angriff auf die Politik der Partei. So oder so steht für die Grünen fest: Spätestens nach der Sommerpause werde das Thema wieder hochkochen und der vermeintliche Koalitionsfrieden könnte weiter bröckeln.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 05.07.2024 | 06:00 Uhr

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