Winterkorn vor Gericht: Ahnungslos im eigenen Konzern?
Auch am zweiten Tag seiner Vernehmung bleibt Ex-VW-Chef Winterkorn dabei: Er habe vom Dieselbetrug im Konzern bis zum Schluss nichts geahnt. Daran waren nach seiner Darstellung auch Mitarbeiter schuld, die ihn nicht klar informiert hätten.
Die Geschichte des Dieselskandals bei Volkswagen ist lang. Auch an Tag zwei seiner Vernehmung vor dem Oberlandesgericht Braunschweig muss Martin Winterkorn zu verschiedenen Treffen, Gesprächen und Notizen seit dem Jahr 2007 aussagen. An einige entscheidende Schreiben oder Treffen erinnert sich Winterkorn nicht. Verschiedene Gespräche, über die andere Zeugen ausgesagt hatten, bestreitet der 76-Jährige. Einiges habe er vielleicht auch unterschätzt. "Im Nachhinein", sagt Winterkorn an einer Stelle, "hätte ich vertieft nachfragen sollen".
Alarmglocken haben nicht geschrillt
Dass es bei Volkswagen spätestens seit 2014 Hinweise auf einen Betrug bei Dieselmotoren in den USA gab, will Winterkorn nicht wahrgenommen haben. Mehrfache Hinweise und Berichte darüber, dass es in den USA Schwierigkeiten mit den Emissionen von Dieselfahrzeugen gab, habe er zwar zur Kenntnis genommen. Allerdings, betont Winterkorn, sei ihm immer wieder versichert worden, dass man die Probleme in den Griff bekomme. "Wenn Entwickler gesagt hätten, wir kriegen es nicht hin, hätten die Alarmglocken geschrillt", so der ehemalige Chef des Wolfsburger Autokonzerns. Das sei aber nicht passiert. Bereits bei seiner Vernehmung am Mittwoch hatte Winterkorn eine Schuld an der Dieselaffäre von sich gewiesen.
Verärgert über das Schweigen der Mitarbeiter
Über viele Monate, so stellt es Martin Winterkorn am Donnerstag vor Gericht dar, habe man ihn als VW-Vorstandsvorsitzenden im Unwissen gelassen über Vorgänge im Konzern. So gab es im Juli 2015, also einige Wochen vor Bekanntwerden des Dieselskandals, eine Testfahrt im US-Bundesstaat Florida. Dort wurden Probefahrten mit genau dem Modell gemacht, das wegen der andauernden Probleme mit den Dieselmotoren in den USA gar keine Zulassung bekommen hatte. Dort seien viele hochrangige Manager von VW und Audi dabei gewesen, erzählt Winterkorn. "Aber keiner der Herren sagt mir: Wir haben noch keine Zulassung." Der Ex-VW-Chef hat nach eigener Darstellung erst auf dem Heimweg von den Problemen erfahren. "Das hat mich persönlich sehr geärgert."
Waren uns bei US-Aufholjagd "vielleicht zu sicher"
Obwohl es vielfache Informationen zu den Unregelmäßigkeiten mit Dieselwagen in den USA gab, räumt Winterkorn ein, diese entweder nicht gesehen oder nicht vertiefend nachgefragt zu haben. Und das, obwohl das Projekt "Clean Diesel" für VW seit 2007 strategisch von höchster Bedeutung war. "Wir wollten in den USA Fuß fassen", sagt Winterkorn. Lange kamen die Autos der Wolfsburger in den USA nicht gut an. Mit dem "Clean Diesel" sollte eine Aufholjagd beginnen. Auf Nachfrage des Richters, ob genau das nicht ein "genaueres Augenmerk" auf die Probleme verlangt hätte, sagte Winterkorn: "Im Nachhinein fragt man sich das." Allerdings: Damals sei er sich sicher gewesen, so Winterkorn, mit dem Diesel in den USA gute Chancen zu haben. "Vielleicht zu sicher."
Kläger-Anwalt: Winterkorn hätte mehr wissen müssen
Für die Klägerseite ist die Aussage von Winterkorn erneut nicht befriedigend. Es reiche nicht, wenn der Vorstand eines Konzerns behaupte, er sei nicht informiert worden, sagt Kläger-Anwalt Axel Wegner. Wenn es Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten gab, hätte Winterkorn "aktiv nachfragen und sich erkundigen" müssen. Grundsätzlich, so Wegner, müsse der Vorstand eines Konzerns sicherstellen, dass wichtige Informationen immer auch die Unternehmensspitze erreichten. Auch, damit dann im nächsten Schritt die Aktionäre informiert werden könnten. Wegners Kanzlei TILP vertritt im Kapitalanlegermusterverfahren in Braunschweig Investoren, die von Volkswagen Schadenersatz verlangen, weil sie nach dem Auffliegen des Dieselskandals Kursverluste erlitten hatten.