Winterkorn ist als Zeuge im Kapitalanleger-Musterverfahren (KapMug) gegen Volkswagen und die Porsche SE geladen. In dem Zivilverfahren, das seit 2018 am Oberlandesgericht in Braunschweig läuft, wird nicht über Schuld oder Unschuld im Dieselskandal entschieden. Es geht stattdessen um Investoren, die VW vorwerfen, den millionenfachen Betrug zu lange verschwiegen zu haben. Die Anleger argumentieren, dass sie deshalb an der Börse mehrere Milliarden Euro verloren hätten. Darum ist die Frage, wer im Konzern zu welchem Zeitpunkt von dem Betrug wusste, für das Verfahren entscheidend.
Als der Abgasbetrug 2015 ans Licht kam, war Winterkorn Vorstandsvorsitzender bei Volkswagen. Darum gilt er als prominente Schlüsselfigur. Öffentlich zu dem Betrug geäußert hat er sich bisher nur ein einziges Mal, nämlich 2017 im Untersuchungsausschuss des Bundestags. Damals hatte der Ex-Manager bestritten, frühzeitig von den Manipulationen im eigenen Konzern gewusst zu haben. An die Öffentlichkeit kam der Dieselbetrug am 18. September 2015 durch eine Mitteilung der US-Umweltbehörde EPA. Kurz danach war Winterkorn zurückgetreten. Er hätte so einen Betrug im eigenen Haus nicht für möglich gehalten, sagte Winterkorn damals im Untersuchungsausschuss aus.
In dem Braunschweiger KapMug-Verfahren hat Winterkorn nichts zu befürchten, weil er nur Zeuge ist. Allerdings ist es möglich, dass der ehemalige VW-Vorstandschef noch in diesem Jahr als Angeklagter vor Gericht erscheinen muss - unter anderem wegen gewerbsmäßigen Betrugs. Bisher war Winterkorn ein Strafprozess aus gesundheitlichen Gründen erspart geblieben. Nach einem Gutachten für das Landgericht Braunschweig ist davon auszugehen, "dass die Verhandlungsfähigkeit ab September 2024 gegeben sein dürfte", sagte ein Sprecher des Landgerichts Braunschweig dem NDR Niedersachsen. Konkrete Termine stehen aber noch nicht fest.
Von einer vollständigen Aufklärung dieses sehr komplexen Themas ist man noch weit entfernt. Seit 2021 läuft am Landgericht Braunschweig ein Strafprozess gegen vier ehemalige Manager und Ingenieure von Volkswagen. Verhandlungstermine sind noch bis August angesetzt. Ob es dann tatsächlich Urteile gibt, ist offen. Noch deutlich länger wird sich wohl das KapMug-Verfahren vor dem Braunschweiger OLG hinziehen. Aus Sicht der Kläger-Anwälte dürfte dort frühestens 2026 eine Entscheidung anstehen. Je nach Ergebnis ist es wahrscheinlich, dass entweder die Kläger oder VW im Anschluss zum Bundesgerichtshof ziehen. Das würde das Verfahren um weitere Jahre verlängern. Im möglichen Strafprozess gegen Martin Winterkorn dürfte es ebenfalls Jahre dauern - denn dort müssten die zuständigen Richter im Dieselskandal-Dickicht wieder bei Null anfangen.
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Das milliardenschwere Mustervefahren startete am Dienstag vor dem OLG Braunschweig. Geklagt hatten Tausende Anleger. (16.01.2024)
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