Ein Monat E-Rezept: Gute Idee, aber mit Startschwierigkeiten
Seit dem 1. Januar müssen Ärztinnen und Ärzte die meisten Medikamente per E-Rezept verschreiben. Aus Sicht von Praxen und Apotheken klappt das bisher ganz gut. Es gibt aber noch viel "Luft nach oben".
Schluss mit den gewohnten rosafarbenen Papierausdrucken, das digitalisierte Rezept wird vom Arzt auf einem zentralen Server gespeichert. Beim Einstecken der Versichertenkarte in das Lesegerät wird die Apotheke dann autorisiert, es abzurufen - alles digital. Das Versprechen: Die Digitalisierung im Gesundheitswesen soll einfacher, schneller und sicherer sein. Doch das elektronische Rezept steckt noch in den Kinderschuhen - mit allen dazugehörigen Anlaufschwierigkeiten.
Beratungsaufwand für Ärzte ist vorerst größer
In der Hausarztpraxis von Dr. Kristina Spöhrer in Winsen (Luhe) hat der Start allerdings reibungslos funktioniert. Natürlich sei jeder neue Prozess in der Praxis erst einmal mit mehr Aufwand verbunden, sagt die Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Digitales beim Hausärztinnen- und Hausärzteverband Niedersachsen. Manche Patienten seien verunsichert, wenn sie nichts mehr in der Hand haben. "Bei den Patientinnen und Patienten tauchen mehr Fragen auf", berichtet die Fachärztin für Allgemeinmedizin. Wie geht das jetzt? Was muss ich machen? Wo ist das Rezept? Wegen solcher Fragen sei der Beratungsaufwand für die Ärzte jetzt erst einmal größer, bis sich das neue System eingespielt habe.
Kein E-Rezept für Hilfsmittel oder Physiotherapie
Startschwierigkeiten gibt es auch durch technische Probleme: Bei manchen Ärzten funktioniert die Software nicht einwandfrei, bei anderen haken die Geräte. Auch können bisher nur Arzneimittel digital verordnet werden, Rezepte für Hilfsmittel wie Verbandsmaterial, für Betäubungsmittel oder auch für einen Rollstuhl oder eine Physiotherapie gibt es noch gar nicht elektronisch - sie müssen weiter ausgedruckt werden. Das gleiche gilt für Privatrezepte. Es bleibe also ein Mix, sagt Spöhrer, und das mache das System kompliziert. Ein Beispiel: Diabetiker bekommen nun ihr Insulin per E-Rezept auf die Karte, die Spritzen dazu bekommen sie aber weiter auf Papier verschrieben.
Übertragung kann dauern
Ein Knackpunkt der neuen digitalen Methode: Die Übertragung des E-Rezeptes von der Arztpraxis in die Apotheke dauert eine gewisse Zeit. Der Arzt muss ein Rezept "freischalten", seine digitale Signatur ist nötig, damit das Medikament herausgegeben wird - und diese Datenübertragung verzögert sich oft nicht nur aus technischen Gründen. Apotheker Christian Jung aus Hannover erlebt das gerade fast täglich. "Die meisten Ärztinnen und Ärzte, die es nicht so schön machen, geben ihre Verordnungen erst nachmittags oder abends frei, so dass die Patienten dann die Praxis ohne Rezept verlassen", berichtet Jung. "Das verwirrt viele - gerade ältere Leute."
Probleme vor allem für ältere Menschen
Denn das ist wohl der größte Kritikpunkt am neuen E-Rezept: Für Senioren bedeutet die neue digitale Welt oft große Hürden. Besonders ältere Menschen in Pflegeheimen oder Frauen und Männer, die auf häusliche Pflege angewiesen sind, haben Probleme. "Das heißt, wenn ich das Haus nicht verlassen kann, dann kriege ich auch die Karte nicht zum Arzt, die Karte nicht zur Apotheke", sagt Apotheker Jung. "Ich muss also jemanden finden, der das für mich tut." Ärztin Kristina Spöhrer bestätigt das, hier sei das Konzept E-Rezept noch nicht zu Ende gedacht. "Das hätte man besser lösen können, wenn wir aus der Versorgung heraus früher in den Prozessen mit eingebunden worden wären". Dann, sagt sie, wäre die Schwachstelle sicher eher aufgefallen.
Sozialverband kritisiert mangelnde Barrierefreiheit
Die Sozialverbände unterstützen zwar grundsätzlich die Einführung des E-Rezeptes, sehen aber durchaus noch Schwachstellen im neuen System. Friedrich Stubbe, Landesvorsitzender des VdK Niedersachsen, ist besorgt: "Aus unserer Sicht fällt die Bilanz der ersten Wochen eher negativ aus. Barrierefreiheit muss auch bei Digitalisierungsschritten gewährleistet sein. Dies ist aktuell noch nicht der Fall." So hätten einige Patientinnen und Patienten das Gefühl, durch das E-Rezept nicht mehr nachvollziehen zu können, welche Medikamente ihnen verschrieben wurden. "Ich kann an dieser Stelle nur eindringlich dazu auffordern, dass bei solchen Neuerungen im Gesundheitssystem alle Menschen mitgenommen werden müssen", betont Stubbe.
Es hapert an der Aufklärung
Vor der Einführung wurde, so die einhellige Kritik, von offizieller Seite nicht ausreichend aufgeklärt. Diese Aufgabe werde nun auf die Ärztinnen und Ärzte und Apotheken abgewälzt. Auch Apotheker Jung beklagt fehlende Kommunikation - im Vorfeld und auch jetzt, da das E-Rezept sich in der Praxis bewähren muss. "Es wäre schön, wenn die Politik nach vier Wochen fragen würde: Wie läuft’s eigentlich? Können wir was ändern? Können wir was verbessern? Und das passiert halt nicht."