Prozess um Dieselskandal: Ex-VW-Boss Winterkorn gibt Erklärung ab
Der ehemalige VW-Vorstandschef Martin Winterkorn hat am Mittwoch vor dem Landgericht Braunschweig eine Erklärung abgegeben. Der Prozess findet neun Jahre nach Bekanntwerden des Abgasskandals statt.
Der 77-Jährige wies am zweiten Prozesstag sämtliche Vorwürfe der Anklage zurück. "Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, ich hätte in meiner Aufgabe als Vorstandsvorsitzender gebotene Handlungen unterlassen, Kunden und Aktionäre getäuscht und geschädigt und mich damit strafbar gemacht, trifft mich - am Ende meines beruflichen Weges - ganz erheblich", sagte Winterkorn vorm Gericht. Es sei nicht die Haltung, die er in fast 15 Jahren als Vorstandsvorsitzender an der Spitze von Audi und Volkswagen eingenommen habe, so der Angeklagte weiter. Es entspreche nicht seinem Verständnis, wie man in dieser Funktion seine Pflichten erfülle, so Winterkorn in seinem Eingangsstatement.
Winterkorns Anwälte sind zuversichtlich
Bereits kurz vor Beginn des ersten Prozesstages am Dienstag hatte Winterkorn über einen seiner Verteidiger jegliche Schuld am Dieselbetrug bestritten. "Unser Mandant weist die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entschieden zurück", sagte Felix Dörr im Landgericht Braunschweig. Der Ex-VW-Chef sei weder der "Hauptangeklagte" noch der "Hauptverantwortliche". Er sei zuversichtlich, zu einem guten Ergebnis für seinen Mandanten zu gelangen, so Dörr. Winterkorn treffe keine persönliche Schuld, er habe niemanden geschädigt und nicht gelogen, hieß es von den Anwälten. Das Gerichtsverfahren soll klären, ob und falls ja zu welchem Zeitpunkt der Ex-VW-Boss über die Manipulationen an Diesel-Autos Bescheid wusste.
Mehr als 1.200 Seiten Anklageschrift
Die Staatsanwaltschaft trug zum Prozessauftakt ihre Anklage vor. Diese umfasst mehr als 1.200 Seiten. Nicht alle davon wurden verlesen, trotzdem dauerte der Vortrag der Staatsanwälte mehrere Stunden. Er enthielt auch Zitate einzelner Sätze, die von Winterkorn stammen sollen, wie etwa: "Ihr Antriebsfritzen, was habt ihr jetzt wieder angestellt." Ein Satz, der er in einer Runde mit Managern in den Monaten vor Bekanntwerden des Betrugs gefallen sein soll. Winterkorn hatte kurz nach dem Bekanntwerden des VW-Abgasskandals im September 2015 seinen Chefsessel geräumt. Von dem groß angelegten Betrug habe er aber nichts geahnt, hatte Winterkorn im Laufe der Jahre immer wieder betont.
Staatsanwaltschaft: Kunden und Behörden über Jahre getäuscht
Über Jahre waren in Europa und den USA insgesamt mehr als neun Millionen Diesel-Fahrzeuge der Volkswagen-Marken VW, Audi, Skoda und Seat mit verbotener Abschalteinrichtung verkauft worden. Diese illegale Technik hatte dafür gesorgt, dass die Autos auf dem Prüfstand deutlich weniger Schadstoffe ausgestoßen haben als im Normalbetrieb auf der Straße. Kunden und Behörden wurden von VW über Jahre bewusst getäuscht, so die Überzeugung der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Die illegale Abschalteinrichtung sei außerdem stetig weiterentwickelt und verfeinert worden, so der Vorwurf. 2015 kam der Betrug ans Licht. Seitdem hat die Diesel-Affäre den VW-Konzern mehr als 32 Milliarden Euro gekostet.
Anklage wegen Betrugs, Marktmanipulation und Falschaussage
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig wirft dem inzwischen 77-jährigen Martin Winterkorn gewerbs- und bandenmäßigen Betrug vor. Spätestens seit Mai 2014 soll er von den illegalen Manipulationen gewusst, diese aber absichtlich geheim gehalten haben. Außerdem geht es um den Vorwurf der Marktmanipulation. Denn Vorstände börsennotierter Unternehmen sind verpflichtet, hohe finanzielle Risiken für den Konzern öffentlich zu machen, sobald sie davon erfahren. Auch wegen des Verdachts der Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags ist der ehemalige Manager angeklagt.
Winterkorn ist sich keiner Schuld bewusst
Martin Winterkorn hat sämtliche Vorwürfe immer wieder entschieden zurückgewiesen. Bereits bei seinem Rücktritt im September 2015 war er sich "keines Fehlverhaltens bewusst". Im September 2020 teilte sein Verteidiger mit, dass der Vorwurf der Marktmanipulation "aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht fundiert ist". Auch als Winterkorn im Februar 2024 als Zeuge in einem großen VW-Zivilverfahren aussagte, zeigte er sich ahnungslos. Mehrfache Hinweise auf Probleme mit Dieselfahrzeugen in den USA habe er zwar zur Kenntnis genommen. Er sei aber von technischen Schwierigkeiten ausgegangen, so Winterkorn. Von einem Betrug habe er nichts geahnt.
Aufwändiges Verfahren erwartet
Gemeinsam mit vier anderen ehemaligen Managern und Ingenieuren sollte Martin Winterkorn eigentlich schon vor drei Jahren vor Gericht stehen. Ein Gutachten hatte ihm damals aber bescheinigt, dass er nach mehreren Hüftoperationen nicht verhandlungsfähig ist. Das Verfahren wurde auf Eis gelegt. Das Landgericht Braunschweig nennt das nun startende Winterkorn-Verfahren "außerordentlich umfangreich". In zunächst 89 Terminen bis Herbst kommenden Jahres soll der Dieselskandal erneut aufgearbeitet werden. Die Verhandlung gegen die vier anderen Angeklagten läuft parallel in Braunschweig weiter. Frühestens im Januar sollen die Urteile fallen.
VW-Konzern-Management bisher nicht belangt
Ihre Mitschuld am Abgasbetrug haben bisher der frühere Porsche-Entwicklungschef Wolfgang Hatz und der frühere Audi-Motorenentwickler Giovanni Pamino eingeräumt. In dem Betrugsprozess am Landgericht München hatten sie gestanden, den Einbau verbotener Software veranlasst zu haben. Beide wurden 2023 zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt. Ex-Audi-Vorstandschef Rupert Stadler hatte den Diesel-Betrug zwar nicht eingefädelt, aber nach dem Auffliegen den Verkauf der Autos nicht gestoppt. Dafür war er im Juni 2023 zu einer Bewährungs- und Geldstrafe verurteilt worden. Ob und wer aus der obersten Volkswagen-Chefetage früh in den Diesel-Betrug verwickelt war, ist bis heute offen.