AfD Mecklenburg-Vorpommern: "Dexit" nicht undenkbar
Europa sei enorm wichtig für die Wirtschaft und Arbeitsplätze in Mecklenburg-Vorpommern - meint Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. Die Landes-AfD schließt dagegen einen Austritt aus der EU nicht aus.
Der Mann legt seine Stirn in Denkfalten. Was fällt einem bei einer Straßenumfrage zum Thema Mecklenburg-Vorpommern und Europa ein? "Schwierige Frage", meint er schließlich. Und: "Ich denke, dass wir zusammen eine Stärke sind in Europa und dass das eigentlich auch wichtig ist, dass wir zusammenhalten." Eine Frau widerspricht vehement: "Nee, da ist man so abhängig von den anderen und man kann ja nicht alleine für sich entscheiden, fürs Land und so!" Für die Menschen, die wir in Rostock befragen, scheint Europa vor allem ein Gefühl zu sein. Für die einen ist es ein bürokratischer Moloch im fernen Brüssel, für die anderen eine Art sicherer Hafen in einer stürmischen Zeit.
Europa steckt in jeder Straße
"Europa ist in fast jeder Straße in Mecklenburg-Vorpommern zu finden", meint Bettina Martin (SPD), die Landesministerin für Europäische Angelegenheiten in Schwerin. Damit spielt sie auf die Fördergelder der EU an. Ganz konkret kann man beispielsweise an der Universität Rostock sehen, was Europa so bringt. Die Neubauten des Instituts für Chemie wurden von Brüssel mit 10 Millionen Euro gefördert, das Fraunhofer-Institut für Großstrukturen mit 16,3 Millionen und die Forschungshalle der Ingenieurwissenschaftlichen Fakultät mit 4,7 Millionen Euro. Klingt beeindruckend, aber die EU-Kritiker beeindruckt man mit solchen Zahlen nicht.
AfD: Europa bringt nicht viel für MV
Und dazu zählt zweifellos der Chef der AfD-Fraktion im Landtag in Schwerin. Nikolaus Kramer rechnet vor, dass die geflossenen Fördergelder im Vergleich zum Haushalt von Mecklenburg-Vorpommern oder den innerdeutschen Aufbauhilfen verschwindend gering seien. Man denkt unweigerlich an das berüchtigte "Peanuts"-Zitat eines Bankmanagers. "Für Investitionen und Wohlstand ist also die Tüchtigkeit unserer Unternehmer und Arbeitnehmer entscheidend und nicht so sehr die Zuweisung aus der Europäischen Union", sagt Kramer. Mecklenburg-Vorpommern ist Netto-Empfängerland
Für die Europabefürworter ist das eine Milchmädchenrechnung. Denn viele Investitionen seien ohne die Co-Finanzierung aus Brüssel gar nicht machbar gewesen. Bettina Martin rechnet vor: "In den letzten Jahren ist unheimlich viel Geld aus Europa nach Mecklenburg-Vorpommern geflossen. Insgesamt seit der Wiedervereinigung 25 Milliarden €." Das sei schon eine Ansage, meint die SPD-Politikerin. Und im Gegensatz zu Gesamtdeutschland erhielten die Bürger in Mecklenburg-Vorpommern mehr Fördergelder aus Brüssel, als sie an Steuergeldern einzahlten - jedenfalls statistisch gesehen.
Fördergelder in Gefahr
Acht Staaten drängen in die EU, darunter die Ukraine oder Albanien. Bei der Neuverteilung der Fördergelder im Jahr 2027 würden sie wohl bereits berücksichtigt werden Auch Mecklenburg-Vorpommern müsste dann wohl mehr Geld nach Brüssel überweisen, als es herausbekommt. Die Europaministerin sieht Handlungsbedarf. Jetzt werde darüber verhandelt, wie viel Geld nach 2027 auch nach Mecklenburg - Vorpommern fließt, sagt Bettina Martin. "Und ich kämpfe dafür zusammen mit der Landesregierung, dass das so bleibt, dass wir Nettoempfänger bleiben."
Für Euroskeptiker ist die Hilfe aus Brüssel verzichtbar
Für den AfD-Fraktionschef Nikolaus Kramer wäre der Verlust der Fördergelder verschmerzbar, große Auswirkungen werde der Wegfall der Fördergelder kaum haben: "Wenn diese EU Mittel wegfallen, dann kann die Landesregierung weniger Geschenke verteilen und Leute, die sich gerne auf Steuerzahlerkosten beschenken lassen, bekommen weniger." Einen "Dexit", also den Austritt Deutschlands aus der EU nach britischem Vorbild, fordert selbst die AfD zur Zeit nicht. Europa ist bei vielen Menschen dann doch zu populär, trotz aller Probleme. Der Bundesvorsitzende der AfD, Tino Chrupalla, hatte sich vor einigen Wochen gegen einen "Dexit" ausgesprochen, weil es dafür "zu spät" sei.
Der "Dexit" ist für die AfD doch noch denkbar
Die Partei will stattdessen einen Umbau hin zu einem Bund Europäischer Nationen erreichen, reduziert auf eine Art Binnenmarkt mit Außengrenzschutz. Und wenn die anderen Europäer da nicht mitmachen wollen, hat Nikolaus Kramer den "Dexit" dann doch noch im Sinn: "Wenn der Wille der Reformation aber nicht da ist, mehrheitlich von den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, dann sollten wir schon darüber nachdenken, diesen Dexit zu wagen", meint Kramer. Dann sei man nicht mehr an die von der EU gewollten Zölle und Sanktionen gebunden. Europaministerin Martin widerspricht, ein "Dexit" wäre undenkbar schwierig für Mecklenburg-Vorpommern: "Wir haben es in Großbritannien gesehen, das hat nichts Gutes gebracht."