Astrid und Henning Helms stehen im Kuhstall © Henning Helms Foto: Henning Helms

Westdeutscher Landwirt findet sein Glück in MV

Stand: 03.10.2024 08:21 Uhr

Im Zuge der Deutschen Einheit geben viele Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) auf. So auch in Gehmkendorf bei Teterow. Henning Helms sucht als Landwirt eine neue Herausforderung und zieht in das kleine Dorf im Landkreis Rostock.

von Jürgen Drewes

Es kehrt Ruhe ein auf den Feldern rings um Gehmkendorf, einem kleinen Ortsteil von Jördenstorf in der Mecklenburgischen Schweiz im Landkreis Rostock. Die Felder sind abgeerntet, gerade wurde zum Schluss der Mais eingefahren. Hier wirtschaftet Henning Helms mit seiner Familie und fünf Mitarbeitern auf 850 Hektar. Er hält zudem 460 Milchkühe. Bis 1995 war der 59-Jährige mit seiner Frau und heute drei Kindern in Schleswig-Holstein zu Hause. Er lebte in Rümpel im Kreis Stormarn. Der Ort ist ähnlich klein wie Gehmkendorf, aber zum Wirtschaften deutlich enger. Zum bäuerlichen Familienbetrieb gehörten gerade mal 13 Hektar Eigentum, inklusive Dorfkneipe. 

Anzeige ändert das Leben

Henning Helms wollte mehr, suchte nach Veränderung und wurde um die Jahreswende 1994/95 im "Schleswig-Holsteinischen Bauernblatt" fündig. Dort wurde ein Agrarbetrieb in Sachsen-Anhalt zum Kauf angeboten. Das las sich gut. Doch der Makler hatte eine noch bessere Idee: Landwirte aus Schleswig-Holstein gehören nach Mecklenburg-Vorpommern. Und er lieferte ein Kaufangebot gleich mit, eben in Gehmkendorf. "Das sollten wir uns unbedingt einmal ansehen", erinnert sich Henning Helms.

Agrarbetrieb in MV war schnell beschlossene Sache

Ein Männertrio mit Vater und Schwiegervater machte sich auf den Weg gen Osten. Ein langer Weg, die Verkehrsverbindungen waren noch schwierig. Was sie vorfanden, war ein heruntergewirtschafteter Betrieb. Der Vorgänger, ein Nicht-Landwirt, hatte kaum etwas für den Erhalt getan und der Insolvenzverwalter den verbliebenen Rest kassiert. Geblieben waren allein der Boden, marode Stallungen und kaum noch nutzbare Technik. Und doch: "Hier lässt sich was entwickeln", war sich das Trio schnell einig. Es war sprichwörtlich Liebe auf den ersten Blick. Noch auf der Heimfahrt wurde Ehefrau Astrid erklärt, dass sie schon mal die Koffer packen sollte. Das zweite Kind der Familie war gerade unterwegs. Eine schwierige Situation, die zudem damit verbunden war, sich vom gewohnten Umfeld zu trennen, Abschied zu nehmen - von Familienmitgliedern, Verwandten und Freunden. Das wollte erst einmal verarbeitet sein. Und dann ging alles ganz schnell. Am 6. April 1995 war es so weit. Eigene Technik ging gleich mit auf die Reise Richtung neue Heimat.

Neustart mit viel Enthusiasmus

Feldarbeit, Stallsanierung, Tierbeschaffung, Kinderbetreuung - alles musste unter einen Hut gebracht werden. Ein drittes Kind, eine zweite Tochter, sollte noch kommen. Und dann war da noch das Wohnungsproblem. Anfangs ging es ins nahegelegene Lehrlingsheim. Zeitnah wurde der leerstehende Ex-Konsum zum Wohnhaus umgebaut, später ein Wohnhaus mit Büro auf dem Hofgelände komplett neu errichtet. Auch zwei Stallneubauten sollten folgen. 2011 und 2017 war es so weit. Zuvor war der noch zu DDR-Zeiten gebaute Rinderstall umfangreich saniert worden. Aktuell ist ein dritter Neubau beantragt. "Doch es dauert gerade. Das Genehmigungsverfahren zieht sich, alles ist komplizierter geworden, die Bürokratie halt", erklärt Henning Helms. Doch aufgeben ist nicht sein Ding.

Milchvieh aus Tradition

Die Rinderhaltung soll als traditionelles Standbein des Familienbetriebes ausgebaut werden. Die Milchproduktion aufzugeben aufgrund der geringen Erlöse zwischenzeitlich, so wie viele andere Halter, kommt nicht in Frage. Auch wenn der Erlös mit 20 Cent pro Liter schon mal deutlich unter den Produktionskosten lag. "Es ist ein ständiges Auf und Ab. Gerade sieht es mal wieder etwas besser aus. Wir halten durch", erklärt Henning Helms. Auch aufgrund der Tatsache, dass Tochter Marleen die Tierproduktion eines Tages übernehmen möchte und der Sohn den Ackerbau, inklusive Futterzulieferung. Die Unternehmensnachfolge ist gesichert, auch wenn dafür noch etwas Zeit bleibt.

Landwirt engagiert sich ehrenamtlich

Der Betrieb von Henning Helms in Gehmkendorf bei Teterow von oben © Henning Helms Foto: Henning Helms
"Landwirte aus Schleswig-Holstein gehören nach Mecklenburg-Vorpommern", beschloss ein Makler und schickte den Landwirt aus Schleswig-Holstein 1995 nach zu einer ehemaligen LPG nach MV.

Startschwierigkeiten hätten sie keine gehabt, erklärt das Ehepaar unisono. Schon schnell gab es Kontakt zu Nachbarn. Die Kinder waren in der Tagesstätte, später in der Schule integriert. So kam nie Heimweh auf. "Wir waren angekommen, hatten voll zu tun, waren auf Erfolgskurs, unter Berufskollegen anerkannt", blickt Henning Helms zurück. Zur Arbeit auf dem eigenen Hof gesellte sich bald auch ehrenamtliche Tätigkeit. Anfangs als Mitglied der Gemeindevertretung ist CDU-Mann Helms seit 2016 gewählter Bürgermeister in Jördenstorf mit fünf Ortsteilen. Gerade wurde ein Schulneubau auf den Weg gebracht, Kita und Dorfgemeinschaftshaus sollen folgen. Das bedeutet viele Absprachen, Sitzungen und Gespräche. Zeit, die sich der Landwirt gern nimmt, im Interesse der Gemeinschaft. Das sei für ihn selbstverständlich. "Viele Menschen engagieren sich ehrenamtlich. In Vereinen, im Sport- und Kulturbereich und halt auch in der Politik. Nur so ist Zusammenhalt möglich. Und man kann der Gesellschaft etwas zurückgeben, von dem was man selbst erhalten hat. Schade nur, dass längst nicht alle mitmachen", so seine Aussage.

Rückzug ausgeschlossen

"Es hätte für uns nicht besser laufen können", bilanzieren Astrid und Henning Helms ihr nunmehr fast 30-jähriges Hiersein in MV. Groß geworden in Schleswig-Holstein, gut ausgebildet, beruflich ständig dazu gelernt, folgte nach der Wende mit der "zweiten Welle", wie sie selbst sagen, der Neustart im Osten der Bundesrepublik. Nun auf wesentlich größerer Fläche mit deutlich mehr Tieren. "Das war unser Wunsch. Und es hat geklappt. Wir haben alles richtig gemacht. Ein Rückzug in die alte Heimat ist völlig ausgeschlossen! Die Zeit ist für uns Geschichte. Uns zieht nichts mehr nach Schleswig-Holstein. Hier haben wir unsere Wurzeln geschlagen, hier sind wir rundum glücklich, hier fühlen wir uns wohl", bilanziert das Ehepaar seine ganz persönliche Nachwendegeschichte. Und die drei längst erwachsenen Kinder stimmen zu, wollen auch bleiben, da wo sie aufgewachsen sind, in Gehmkendorf.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Mittagsschau kompakt | 03.10.2024 | 12:00 Uhr

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