Defekte Datenkabel in Ostsee: War es ein chinesisches Schiff?
Bei den beschädigten Unterseekabeln in der Ostsee zwischen Finnland und Deutschland ist die Ursache noch nicht geklärt. Der Betreiber geht von äußerer Einwirkung aus, Bundesverteidigungsminister Pistorius und Außenministerin Baerbock vermuten "Sabotage" und "hybride Kriegsführung". Steckt ein chinesischer Frachter dahinter?
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vermutet im Fall der beiden in der Ostsee beschädigten Datenkabel eine vorsätzliche Aktion. Das sei offensichtlich, sagte er vor Beratungen der EU-Verteidigungsminister in Brüssel. "Niemand glaubt, dass diese Kabel aus Versehen durchtrennt worden sind", so Pistorius. Es muss laut Pistorius davon ausgegangen werden, "dass es sich um eine hybride Aktion handelt", fuhr der Minister fort. "Und wir müssen auch davon ausgehen, ohne es schon zu wissen, versteht sich, dass es sich um Sabotage handelt", auch wenn noch nicht konkret klar sei, "von wem es kommt". Er gehe zumindest nicht davon aus, dass die Kabel zufällig von beispielsweise Ankern beschädigt worden seien.
Schwedische Behörden ermitteln wegen mutmaßlicher Sabotage
Auch die schwedischen Behörden ermitteln nun wegen möglicher Sabotage. Derzeit werde der Tatbestand als Sabotage eingestuft, dies könne sich aber noch ändern, teilte die Polizei des skandinavischen NATO-Landes mit. Demnach haben die schwedische Küstenwache und die Armee Schiffsverkehr verzeichnet, der sich mit den Schäden an den beiden Kabeln in der Ostsee deckt. Dies sagt Katastrophenschutz-Minister Carl-Oskar Bohlin dem Sender TV4.
Außenministerien von Berlin und Helsinki: Bedrohung durch "hybride Kriegsführung"
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach am Dienstag in Berlin von einer "hohen Bedrohungslage", die "sehr, sehr ernst" genommen werde. Auch die Außenministerien von Finnland und Deutschland äußerten sich in einer gemeinsamen Erklärung besorgt. "Wir sind als Behörden noch nicht beteiligt, haben aber Hilfe angeboten zur Unterstützung, zur Aufklärung dieses Falles", sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Montagabend in Berlin. In einer gemeinsamen Stellungnahme hieß es, "dieser Vorfall" löse "sofort Verdacht auf absichtliche Beschädigung aus" und weiter: "Die Sicherheit Europas wird nicht nur durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine bedroht, sondern auch durch hybride Kriegsführung." Der Schutz der gemeinsamen kritischen Infrastruktur sei "entscheidend für die Sicherheit und Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaften".
Datenkabel zwischen Schweden und Litauen durchtrennt
Die Stelle, an der das Kabel durchtrennt ist, liegt laut finnischem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zwischen der schwedischen Insel Öland und Litauen, direkt in einer schwedischen Sonderwirtschaftszone. Dort ist der Schiffsverkehr eher gering. Weder das staatliche, finnische Betreiber-Netzwerk Cinia noch die Polizei haben derzeit einen Anhaltspunkt, wie der Defekt am Ostsee-Glasfaserkabel "Cinia C-Lion1" entstanden ist. Die Beschädigung hatte Störungen bei verschiedenen Telekommunikationsdiensten verursacht, teilte Cinia am Montag mit. Mittlerweile sei ein Spezialschiff aus dem französischen Calais unterwegs, um das Kabel zu reparieren. Die Arbeiten könnten zwischen fünf und 15 Tagen dauern, da das Kabel vom Grund der Ostsee geholt werden müsse, hieß es im finnischen Rundfunk.
Betreiber vermutet äußere Einwirkung
Cinia geht davon aus, dass das Kabel am Grund der Ostsee gebrochen ist und durch äußere Einwirkung durchtrennt wurde, etwa durch einen Anker oder ein Grundschleppnetz. Informationen über mögliche Sabotage liegen demnach bislang nicht vor.
In einer gemeinsamen Erklärung des deutschen Auswärtigen Amtes und des finnischen Außenministeriums heißt es, "die Tatsache, dass ein solcher Vorfall sofort den Verdacht einer vorsätzlichen Beschädigung aufkommen lässt, spricht Bände über die Unbeständigkeit unserer Zeit". Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und ihre finnische Amtskollegin Elina Valtonen machten klar, dass der Schutz der gemeinsamen kritischen Infrastruktur entscheidend für die Sicherheit beider Länder sei.
Verbindung zu großem Rechenzentrum
C-Lion1 verläuft auf einer Länge von mehr als 1.170 Kilometern von der finnischen Hauptstadt Helsinki bis nach Rostock. Zum Teil führt es über die selbe Route wie die vor zwei Jahren zerstörten Nordstream-Pipelines. Es verbindet unter anderem Metropolen wie Frankfurt am Main mit einem riesigen Rechenzentrum in Finnland und zeichnet sich durch seine hohe Kapazität, Schnelligkeit und Sicherheit bei der Datenübertragung aus, schreibt der Betreiber Cinia auf seiner Internetseite. Das Kabel wurde 2016 in Betrieb genommen. Es ist das einzige Untersee-Datenkabel, das direkt von Finnland nach Mitteleuropa führt.
Auch Arelion-Kabel zwischen Gotland und Litauen defekt
Am Montagabend wurde zudem bekannt, dass noch ein weiteres Datenkabel in der Ostsee defekt ist. Der litauische Rundfunksender LRT berichtete unter Berufung auf das schwedische Kommunikationsunternehmen Telia, dass am Sonntag ein Kabel zwischen Schweden und Litauen beschädigt worden sei. Ein Telia-Sprecher bestätigte der Deutschen Presse-Agentur, dass das Arelion-Kommunikationskabel zwischen der Insel Gotland und Litauen physisch beschädigt worden sei. Litauische Telia-Kunden hätten dadurch aber keine größeren Probleme festgestellt. Man hoffe, dass die marine Glasfaserverbindung zeitnah wiederhergestellt werde. Schwedens Zivilschutzminister Carl-Oskar Bohlin sagte, schwedische Behörden würden die Vorfälle untersuchen.
2023 Schaden an Pipeline durch Anker eines Schiffes
Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 und den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines gut sieben Monate später steht die kritische Infrastruktur in der Ostsee stärker im Fokus der Öffentlichkeit und insbesondere der NATO. Vor knapp einem Jahr war die Ostsee-Pipeline Balticconnector zwischen dem NATO-Neumitglied Finnland und dem weiteren NATO-Staat Estland beschädigt worden - nach Angaben der finnischen Ermittler höchstwahrscheinlich vom Anker eines chinesischen Containerschiffs namens "Newnew Polar Bear". Ob es sich bei dem Vorfall um einen Unfall oder um bewusste Sabotage handelte, ist bis heute nicht geklärt. In dem Zuge war damals auch ein Datenkabel zwischen den beiden EU-Staaten beschädigt worden.
Chinesischer Frachter möglicher Urheber der Beschädigungen?
Die Frage, wer es war, wird auch unter OSINT-Accounts (OSINT - Open source intelligence) in sozialen Medien diskutiert. Dort gilt der chinesische Frachter "Yi Peng 3" als möglicher Urheber der Beschädigungen. Aus Daten des Schiffs-Tracking-Portals marinetraffic.com geht hervor, dass das Schiff in etwa zeitgleich mit den Beschädigungen über dem betreffenden Areal verkehrt und dabei teilweise Kurskorrekturen vornimmt.
Des Weiteren wird das chinesische Schiff einige Stunden nach den Vorfällen von dänischen Marineschiffen begleitet. Zunächst näherte sich die Fregatte "Niels Juel" mit hoher Geschwindigkeit dem Frachter und wich für Stunden nicht von dessen Seite. Später wurde die Fregatte von dem Patrouillenschiff "HDMS Hvidbjoernen" der Königlichen Dänischen Marine und weiteren Marineschiffen abgelöst. Am Dienstag Abend stoppte das chinesische Schiff im Kattegatt, wo es bis jetzt – in Sichtweite dänischer Marineschiffe – noch liegt. Das dänische Verteidigungskommando äußerte sich dazu zunächst nicht, bestätigte auf der Online-Plattform "X" jedoch, dass man in der Nähe der "Yi Peng 3" präsent sei.
Experte für maritime Strategie und Sicherheit: Infrastruktur unter dem Meer "verwundbar"
Johannes Peters, Experte für Maritime Strategie und Sicherheit am Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel sagte am Dienstag in Kiel, die Infrastruktur unter dem Meer sei in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, sie sei verwundbar. Über ihren Schutz habe man sich lange Zeit zu wenig Gedanken gemacht. "Hundertprozentigen Schutz werden Sie nie herstellen können." Man müsse aber überlegen, welchen Grad an Schutz mit welchem Aufwand zu erreichen sei. Ein gutes Lagebild sei dafür wichtig, so Peters, Informationen, die da sind - von Betreibern, von der öffentlichen Hand und der Wissenschaft - müssten besser vernetzt werden.
Faeser: Gesetz zum Schutz kritischer Infrastrukturen trotz Ampel-Aus beschließen
Bundesinnenministerin Faeser hat nach dem mutmaßlichen Sabotage-Akt ebenfalls einen besseren Schutz kritischer Infrastruktur gefordert. Ziel müsse es sein, die kritischen Infrastrukturen "widerstandsfähiger und krisenfester" zu machen. Sie plädierte dafür, das geplante Gesetz zum Schutz kritischer Infrastrukturen trotz des Bruches der Ampel-Koalition noch in dieser Legislaturperiode zu beraten und beschließen.