Katholische Kirche: Forscher stellen Studie zu Missbrauch vor
Ein Forschungsteam hat eine Studie zu sexualisierter Gewalt an Minderjährigen in der katholischen Kirche in Mecklenburg zwischen 1946 und 1989 vorgestellt. Das Team hat 19 Täter und 40 Betroffene ermittelt.
Forscherinnen und Forscher der Uniklinik Ulm haben 40 Betroffene ermittelt, die in der katholischen Kirche in Mecklenburg zwischen 1946 und 1989 sexualisierte Gewalt erlitten haben. Das Forschungsteam habe auch 19 Täter benennen können, sagte Studienleiterin Manuela Dudeck am Freitag in Schwerin. Dreizehn Betroffene habe das Team interviewt. Dabei berichteten sie sowohl über sexuellen Missbrauch mit und ohne Körperkontakt wie auch über teils brutale körperliche und psychische Gewalt.
Autoren gehen von hoher Dunkelziffer aus
Die drei Frauen und zehn Männer waren zum Zeitpunkt der Missbräuche laut Studie im Durchschnitt zehn Jahre alt, der jüngste Betroffene war beim ersten Missbrauch fünf, der älteste 14 Jahre alt. Die Dauer der Missbräuche betrug im Schnitt fünfeinhalb Jahre. Ein Betroffener sei mehr als sieben Jahre sexuell missbraucht worden. Die Autoren der Studie gehen von einer hohen Dunkelziffer weiterer Betroffener aus. Die Forscherinnen hatten rund 1.500 kirchliche und staatliche Akten eingesehen - darunter 12 Stasi-Akten - sowie Gespräche in Gemeinden geführt.
"Anerkennung und Würde der Betroffenen"
Die Studie wurde im Auftrag des Erzbistums Hamburg in den vergangenen drei Jahren vom Lehrstuhl für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Ulm erarbeitet. Erzbischof Stefan Heße bekam die Studienergebnisse am Freitag in Schwerin überreicht. Er will sich am kommenden Montag dazu äußern. In der vergangenen Woche hatte er den Katholiken in Mecklenburg geschrieben. "Es geht um die Anerkennung und Würde der Betroffenen", hieß es in dem Brief.
Lebenslange Folgen für die Betroffenen
Dudeck berichtete über lebenslange Folgen, unter denen die Betroffenen leiden. Manchmal sind es zum Beispiel Gerüche, die schlimme Erinnerungen wieder hervorrufen. "Ich rieche noch immer dieses Rasierwasser", so einer der Betroffenen. Wenn er es heutzutage riecht, dann spult sich ein Film vor seinem inneren Auge ab. Er sieht den Mann, hört seine Worte, fühlt seine Hände und spürt seine Gewalt. "Er war geliebt und gleichzeitig auch gefürchtet und gehasst", beschreibt ein anderer Betroffener seinen Peiniger. Viele Täter erschlichen sich das Vertrauen der Kinder und Jugendlichen durch Zuwendung und Geschenke. Manuela Dudeck: "Dadurch konnten sie gezielt den Kontakt aufbauen und den Missbrauch vorbereiten."
Mancher wusste Bescheid
Der Missbrauch spielte sich keineswegs hinter verschlossenen Türen ab, sondern in der Sakristei, auf dem Beichtstuhl, in Kirchenräumen oder im Pfarrhaus – und so mancher wusste offenbar Bescheid. "Die DDR unterschütze das Nichteingreifen", so die Studie. "Die katholische Kirche wusste zu jeder Zeit um die sexualisierte Gewalt und kannte die Beschuldigten und die Betroffenen", heißt es in der Auswertung. Die Staatssicherheit warb demnach Täter innerhalb der Kirche gezielt als inoffizielle Mitarbeiter an und nutzte sie für eigene Zwecke, weshalb Strafverfolgungen ausblieben. Zudem habe die DDR sexuellen Missbrauch ganz allgemein zum Schutz der sozialistischen Ideologie tabuisiert.
"Aufarbeitung muss gestärkt werden"
Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, begrüßte, dass diese Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche in der DDR in den Blick genommen wurden. Zugleich mache die Studie klar, dass die Aufarbeitung sexueller Gewalt auch von staatlicher Seite gestärkt werden müsse, so Claus. Die Missbrauchsbeauftragte hob positiv hervor, dass die Untersuchung auch die jeweiligen Einflussmöglichkeiten beleuchte, die es gegeben habe, um Maßnahmen zur Aufdeckung der Tat, zur Bestrafung der Täter und zur Prävention einzuleiten.