Listspinne (Pisaura mirabilis)  Foto: Guido Steinhäuser

Spinnenatlas vorgestellt: 615 Spinnenarten leben in MV

Stand: 09.07.2021 05:28 Uhr

615 verschiedene Spinnenarten leben in Mecklenburg-Vorpommern. Sie sind jetzt erstmals in einem 1.100 Seiten umfassenden Spinnenatlas zusammengefasst worden. Dafür sammelte der 75 Jahre alte Biologe und Autor Dieter Martin seit mehr als 50 Jahren Daten.

Jahrelang ist Martin mit einem speziellen Kescher durch Wald und Wiesen gezogen, um die Achtbeiner zu fangen. Unterstützt wurde er dabei von vielen Helfern, die seit vier Jahren Spinnen in sieben Naturparken fingen oder systematisch Wiesen und Felder nach bestimmten Arten absuchten. Der nun vorgestellte Spinnenatlas ist sein Lebenswerk. Dazu wurden rund eine viertel Millionen Daten über die Tiere zusammengetragen.

Spinnenexperte mit Arachnophobie

Dabei ist Martin eigentlich gar nicht zum Spinnenexperten prädestiniert gewesen. Denn er litt als junger Mensch an einer Spinnenphobie, wie er gegenüber NDR 1 Radio MV erklärt. "Ich habe dann angefangen, Biologie zu studieren. Da hatte ich natürlich Probleme, meinen Kommilitonen gegenüber nicht in Schreikrämpfen auszubrechen, wenn die eine Spinne brachten." Deswegen habe er mit dem Anblick toter Spinnen geübt, seine Ängste zu überwinden. "Irgendwann habe ich dann gemerkt, dass Spinnen eine sehr schöne Tiergruppe sind."

Die sieben Zentimeter lange Hauswinkelspinne ist die Größte

Ganz geheilt von seiner Phobie ist er bis heute nicht. Großen Respekt hat Martin vor der Hauswinkelspinne, die ihre Netze gern in Hausecken baut. Sie ist eine von mindestens 615 im Nordosten heimischen Spinnen - und mit bis zu sieben Zentimetern Länge auch eine der Größten. "Die kleinste mit weniger als einem Millimeter Länge ist das Grünliche Sumpfspinnchen", so Martin. "Gefährlich für Menschen ist aber keine der Spinnen", ergänzt der Experte. Die meisten Spinnen haben sehr kleine Beißwerkzeuge - dafür ist die menschliche Haut zu dick. Lediglich eine heimische Spinnenart stuft Martin als bedenklich ein. Das ist der aus dem Süden eingewanderte Ammendornfinger. Die Spinnenart lebt ausschließlich auf Wiesen und reagiert nur, wenn sie sich bedroht fühlt. Der Biss sei in etwa so schmerzhaft wie ein Wespenstich. Durch das Nervengift kann es zu Schwellungen, Übelkeit und Fieber kommen.

"Sternstunde für Spinnenforscher"

Spinnen sind zwar nicht jedermanns Liebling. Doch sie gelten als wichtiges Indiz für eine intakte Natur. "Spinnen sind eine megadiverse Gruppe", sagte Christoph Muster, Vorsitzender der Arachnologischen Gesellschaft (Würzburg), mit Blick auf den Insektenrückgang. Die Achtbeiner seien neben Käfern besonders wichtig für Untersuchungen zur Artenvielfalt. Dazu müsse man nun genauer sehen, wie sich die Bestände entwickeln. Der Spinnenatlas sei eine Sternstunde für Spinnenforscher, so Muster.

Zwei Spinnenarten gibt es nur in MV

Er habe festgestellt, dass die Spinnen-Vielfalt auf nicht genutzten Flächen wie etwa Trockenrasen auf alten Militärübungsplätzen besonders hoch sei. Auf intensiv genutzten Flächen nähmen die Bestände dagegen ab, so Martin. Auch Arten, die lange als "nicht mehr auffindbar" galten, fanden die Spinnensucher nun wieder: Die Amerikanische Streckenspinne an der Müritz sowie die Steppen-Plattbauchspinnen. In zwei besonders geeigneten Biotopen, bei Marienfließ südlich von Plau und in den Binnendünen von Altwarp, leben sogar zwei Arten, die bisher nirgends in Deutschland gefunden wurden, wie Martin erklärt. Bei Marienfließ krabbelt der Steppen-Sichelspringer, der möglicherweise von russischen Soldaten eingeschleppt worden sei. Nahe Altwarp lebt der Sand-Dornfinger, der eigentlich aus Ungarn kommt. Sogar auf der abgelegenen Ostsee-Insel Greifswalder Oie hat sich eine besondere Art niedergelassen - die Pechschwarze Tapezierspinne.

Nosferatu-Spinne und Co. - Einwanderer aus dem Süden auf dem Vormarsch

Damit Spinnen in Deutschland mehr Aufmerksamkeit bekommen, haben die Spinnenforscher gerade erst deutsche Namen für alle Arten entwickelt, so Muster. Bisher gab es für viele Arten nur lateinischen Namen. Grundsätzlich würden sich durch Klimaerwärmung mehr wärmeliebende Spinnenarten weiter nördlich ansiedeln, so Udo Steinhäuser vom Naturschutzbund Deutschland. Die Nosferatu-Spinne etwa habe sich bereits von Süden bis Berlin ausgebreitet. Sie lebe in Häusern und sei groß: "Sie sieht auch furchterregend aus, aber sie ist harmlos."

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | 08.07.2021 | 16:40 Uhr

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