Sexuelle Übergriffe unter Kindern: Projekt in Rostock will helfen
Über sexuelle Gewalt unter Erwachsenen wird inzwischen häufig in den Medien berichtet. Aber es gibt auch schon Kinder, die zwischenmenschliche Grenzen deutlich überschreiten. Das Rostocker Projekt "HALTestelle" steuert gegen.
Manchmal sind es verbale Attacken, Worte, die andere beschämen sollen, manchmal Berührungen oder sogar ganz klare sexuelle Handlungen: Lena Melle, Pädagogin und Leiterin der Rostocker Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt, hat sich schon während ihres Studiums mit solchen Übergriffen unter Kindern auseinandergesetzt. Als sie später zunächst als Praktikantin in die Beratungsstelle kam, wurde ihr eines immer klarer: "Es gibt inzwischen eine Versorgungsstruktur für die Betroffenen, aber für die grenzverletzenden Kinder nicht. In ganz Mecklenburg-Vorpommern gab es kein Projekt, das sich dieser Zielgruppe gewidmet hat." Nach langer Vorbereitungszeit konnte sie dann vor gut einem Jahr ihre "HALTestelle" ins Leben rufen – ein Beratungsangebot für Kinder im Alter zwischen sieben und dreizehn Jahren, ihre Eltern und Pädagogen.
Berater in Rostock: "Kinder sind keine Täter"
"Grenzverletzende Kinder sind keine Täter und sollen es auch nicht werden", so das Credo der Einrichtung unter dem Dach des Rostocker Vereins "Stark machen". Der Begriff "Täter" sei viel zu stigmatisierend und setze auch ein Bewusstsein voraus, das Kindern noch nicht unterstellt werden könne. Die Gründe für ihr Verhalten seien vielfältig, so zeigen es die ersten 30 Fälle, die Lena Melle und ihre beiden Fachberater Dana Cornelissen und Robin Sebastian im vergangenen Jahr betreut haben. "Es kann sein, dass Kinder sich selbst in ihrer Biografie immer wieder als ohnmächtig erlebt haben und versuchen, dem etwas entgegenzusetzen", so Melle. Eigene Gewalterfahrungen, Geburtstraumata, Unfälle, Verluste, schwierige Familiengeschichten - immer wieder geht es darum, die individuellen Hintergründe für das Verhalten der Jungen und Mädchen herauszuarbeiten, um es dann zu schaffen, den Kreislauf zu durchbrechen.
Beratung für Eltern und Pädagogen
Die Beratungsstelle in Rostock steht Eltern zur Seite, die nach Angaben der Pädagogin oft sehr verzweifelt sind. Sie bietet einerseits Beratung für andere Pädagogen, andererseits kümmert sie sich natürlich um die Kinder selber. Die Heranwachsenden für ihr Verhalten auszuschimpfen, ist in den Augen des Traumapädagogen Robin Sebastian nicht der richtige Weg: "Nein, auf keinen Fall. Sie brauchen eher Zuneigung als Schimpfen." Er versucht grenzverletzenden Kindern klar zu machen, dass er ihr Verhalten ablehnt, sie als Mensch aber nicht.
Projekt ist einzigartig in Mecklenburg-Vorpommern
Das Rostocker Projekt ist bis heute das einzige seiner Art in Mecklenburg-Vorpommern und eines von sehr wenigen in ganz Deutschland. Finanziert wird es bis September 2025 über eine Förderung durch die Aktion Mensch. Langfristig hofft Lena Melle allerdings, dass es verstetigt wird und die Kosten das Jugendamt trägt. Außerdem hätte sie gerne mehr Mitarbeiter, denn der Bedarf sei groß. "Was wir im ersten Jahr erreicht haben, ist ja noch lange nicht das Dunkelfeld. Die Zahl der grenzverletzenden Kinder ist sehr viel größer." Fachleute, also Lehrer und Erzieher, seien mittlerweile zwar etwas besser sensibilisiert. Aber noch immer werde zu häufig weggesehen, es dauere oft viel zu lange, bis Pädagogen das Geschehen ernst nehmen und eingreifen.