Rostocks heimlicher Nord-Stream-2-Deal
Nun hat die große Geopolitik die Hansestadt Rostock erreicht. Regelmäßig sichtbar wird das am MAGEB Süd Kai in Rostock-Groß Klein.
Offshore-Versorger machen fest, Material und Ausrüstung für die Nord Stream 2 Baustelle werden verladen, Mannschaften ausgetauscht. Am Eisentor sorgt ein Wachschutz dafür, dass Unbefugte dem Gelände fernbleiben. Gerade hat US-Außenminister Blinken jedem Unternehmen, das an der Nord-Stream-2-Pipeline beteiligt ist, Sanktionen angedroht. Die USA verfolgten das Projekt genau und werteten alle Informationen über beteiligte Firmen aus, so der frisch gebackene Chef des US State Department. Alles was im Dunstkreis der umstrittenen Ostseepipeline passiert, wird deshalb diskret behandelt.
Nicht alle Entscheidungsträger in Vorhaben eingeweiht
Rostocks Eintritt in den verschwiegenen Kosmos von Nord Stream 2 ist knapp einen Monat her. Der Pachtvertrag für den MAGEB Süd Kai wurde am 23. Februar im Hauptausschuss der Bürgerschaft behandelt und abgesegnet. Nicht erwähnt wurde dabei, dass die Pächterin, die ROKAI GmbH, gegründet wurde, um den Bau der Ostseepipeline voranzutreiben. Im Pachtvertrag ist vielmehr die Rede von Offshore-Versorgungsschiffen für Windkraft und andere Anlagen. Rostocks Pressesprecher Ulrich Kunze räumt Informationsdefizite ein. "Im Nachgang stellte sich heraus, dass dieses Wissen nicht alle im Raum hatten, die darüber entschieden haben, was der Pächter dort letztendlich vorgeschlagen hat. Das war, wie sich im Nachgang herausstellte, für einige ein Problem."
Verwaltung verheimlicht Hintergrund
Andrea Krönert von Bündnis 90/Grüne konnte gerade die Akten einsehen und ist sauer. "Ich muss mich als ehrenamtliches Bürgerschaftsmitglied darauf verlassen können, dass Beschlussvorlagen der Verwaltung sachlich so verfasst sind, dass sie nichts Falsches vorgaukeln und ich dann bei meiner Abstimmung politisch auch meine Meinung vertreten kann." Den Akten habe sie außerdem entnommen, dass es den Beteiligten klar war, dass es sich um eine heikle Angelegenheit handelt, die zudem bereits seit Dezember 2020 in der Verwaltung behandelt wurde. Dessen Chef ist Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen (parteilos). Nach Angaben seines Sprechers Ulrich Kunze wusste er, dass eine Firma Gewerbeflächen sucht, über die Dienstleistungen für Nord Stream 2 abgewickelt werden sollen. Dass hinter dem Kai-Pächter ROKAI gleichzeitig Nord Stream 2 steht, habe er zum Zeitpunkt der Hauptausschusssitzung aber ebenfalls nicht gewusst, so Kunze.
SPD mit Wissensvorsprung
Ausnahme ist die SPD-Fraktion und deren Senator Chris Müller-von Wrycz Rekowski. Alle waren auffällig gut informiert. Auf Anfrage des NDR teile SPD-Fraktionschef Wandscheider-Kastell mit, dass man sich ein sachgerechtes Bild vom Vorgang verschaffen konnte. Kein Wunder, der SPD-Senator hatte die Vorlage für den Pachtvertrag selbst erstellt, ohne auf Nord Stream 2 hinzuweisen. Und dann ist da noch der kurze Draht zum sozialdemokratisch geführten Verkehrsministerium. Dort sitzt Minister Christian Pegel, Architekt der Stiftung Klima- und Umweltschutz des Landes, die Firmen vor Sanktionen der US-Regierung schützen soll. Und tatsächlich hat die ROKAI GmbH einen Vertrag mit der Stiftung geschlossen. Über Sanktionen und die Stiftung mag Minister Pegel aber nicht sprechen. Versuche, ihn ins NDR-Landesfunkhaus einzuladen, sind immer wieder aus Termingründen gescheitert.
Sanktionen auch gegen die Stadt Rostock denkbar
Stadtsprecher Kunze glaubt nicht, dass Rostock Gefahren durch US-Sanktionen drohen. Regierungsbehörden und Gebietskörperschaften wie die Stadt Rostock und staatliche Institutionen seien seiner Meinung nach sicher. Vorsichtshalber lässt die Stadt das aber noch einmal rechtlich prüfen. Sascha Lohmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) kann dazu nur raten. Der Sanktionsexperte hält es im Moment noch für unwahrscheinlich, dass öffentliche Institutionen und die Umwelt-Stiftung des Landes mit Sanktionen belegt werden. Rechtlich sei dies seiner Ansicht nach aber durchaus möglich. Dazu bedarf es allerdings einer weiteren Eskalation im Konflikt zwischen den USA und Russland. Lohmanns Meinung nach hätte Donald Trump im Umgang mit Russland noch den "Schongang" gewählt. Bei Biden sei nun der "Schleudergang" zu erwarten.
Kreuzfahrtindustrie als wunder Punkt
Geographisch liegt Russland deutlich näher an Rostock als an den USA. Wirtschaftlich ist es genau umgekehrt. Platzhirsch AIDA Cruises beispielsweise ist eine Tochter des Carnival Konzerns mit Sitz in Miami, Florida. Und auch die anderen Kreuzfahrtreedereien, die vor der Pandemie regelmäßig in Warnemünde und im Seehafen festmachten, gehören mehrheitlich amerikanischen Reedereien oder Finanzinvestoren. Sollten die wegbleiben, könnte das der Hansestadt wehtun. Vielleicht legen die russischen Versorger deshalb am MAGEB Süd Kai am westlichen Warnowufer und nicht im Seehafen an. Beide sind rechtlich und wirtschaftlich voneinander getrennt. Sicher ist sicher.