Puls des Waldes: Forscher ermitteln Zustand der Bäume bei Demmin
In einem Wald bei Demmin untersuchen Wissenschaftler die Bäume von der Wurzel bis in die Krone. Ziel ist es, den Baum besser zu verstehen, um künftig ein schnelleres und genaueres Bild vom Zustand des Waldes zu bekommen.
Der Sicherheitsgurt sitzt. Waldwissenschaftlerin Anne Clasen hat die orangeleuchtende Krangondel bestiegen. Behutsam steuert sie die Kabine in die Höhe. Mit dem Kran kann sie ganz dicht an die Baumkronen heranfahren. "Hier oben nehmen wir Blattproben und messen Biomarker", erzählt sie. "Das ist quasi so etwas Ähnliches wie ein Blutbild beim Menschen. Und da sehen wir, ob der Baum Stress hat und ob er auf den Stress reagieren kann." Es sei sehr deutlich zu sehen, dass manche Bäume ihre Kraft eher zum Wachsen benutzen, andere würden sie eher in Schädlingsabwehr investieren. Anne Clasen gehört zu einem Team aus Forschern, die ein Waldstück ganz genau unter die Lupe nehmen.
Forschungsfläche bei Demmin auf 10.000 Quadratmetern
Seit etwa einem Jahr läuft in Demmin (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) das Forschungsprojekt "FeMoPhys" (Fernerkundungsbasiertes Monitoringverfahren auf Grundlage einer physiologisch fundierten Vitalitätsbewertung von Hauptbaumarten in Mischbeständen). Angesetzt ist es zunächst auf fünf Jahre. Dafür steht mitten im Wald auch ein Drehkran. Mit 45 Metern überragt er die abgezäunte Forschungsfläche. Sie ist 10.000 Quadratmeter groß. Auf ihr wachsen Eichen, Buchen, Lärchen, Fichten und Douglasien. "Das ist im Prinzip die Ausrichtung, wie die Landesforst sich ihre Wälder vorstellt - in Zukunft immer strukturierter, immer gemischter", sagt Eric Thurm von der Landesforstanstalt Mecklenburg-Vorpommern.
Kran, Drohne, Satellit: Fernerkundung aus verschiedenen Höhen
Vom Kran aus entstehen Spektralbilder. Außerdem betrachten die Forscher den Wald mit Hilfe von Drohnen, vom Flugzeug aus und werten Satellitenbilder aus. Das sei nötig, um besser verstehen zu können, was der Klimawandel für Auswirkungen haben kann. "Wir müssen uns mehr damit beschäftigen, wie sich die Vitalität des Waldes, des einzelnen Baumes verhält, um abschätzen zu können, was da in Zukunft auf uns zukommt", so der Wissenschaftler.
Wald am Boden verkabelt
Auch am Boden passiert eine Menge. Kabel laufen von den Bäumen in den Boden, silberne Röhren ragen aus der Erde. Alle 300 Bäume tragen ein Umfangmaßband. Von der Wurzel bis zur Krone versuchen die Forscher so, an allen Bereichen zu messen. Sie kommen aus sechs Instituten und beurteilen gemeinsam, wie gesund ein Baum ist. Die vielen Messgeräte brauchen wiederum Strom. Für den sorgen die sogenannten "Loggerboxen".
Loggerboxen sorgen mitten im Wald für Strom
Die Loggerboxen sind über Kabel mit den Sensoren an den Bäumen verbunden, erklärt Joraine Schmoldt von der Universität Greifswald. "Wir haben hier 41 Probebäume, die alle dann mit Sensoren bestückt sind." Schmoldt misst unter anderem den Saftfluss in den Bäumen. Das sei beispielsweise bei Dürre ein wichtiger Faktor. "Wir haben an zwölf Baumindividuen diese Saftfluss-Sensoren installiert und schauen uns in den äußeren zwei Zentimetern des Baumstammes an, wie viel Wasser nach oben transportiert wird."
Wachstum der Feinwurzeln wird gescannt
Die silbernen Röhren, die aus dem Boden ragen, sind Rhizotron-Röhren, erläutert die wissenschaftliche Mitarbeiterin. Was man sieht, sei nur das obere Ende einer anderthalb Meter langen Plexiglasröhre, die in den Boden eingelassen ist. In diese Röhren werden Scanner eingesetzt. Sie erzeugen ein 360-Grad-Bild vom Wurzelraum. Die Forscher wollen so das Wachstum der Feinwurzeln abbilden. Sie werden im Zwei-Wochen-Takt gescannt. "Innerhalb von wenigen Wochen kann eine Wurzel wachsen, aber auch wieder absterben", betont Schmoldt. Wenn die gescannten Bilder miteinander verglichen werden, könne sichtbarer werden, wie viele Wurzeln gewachsen sind.
Forscher geben den Bäumen Namen
Um die Bäume besser wiederzuerkennen, haben die Forscher ihnen Namen gegeben. "Der nadellose Verdurstende", so wird eine der verkabelten Douglasien genannt. Ihr geht es nicht gut, darauf weist bereits ihre schüttere Krone hin. Ganz anders schätzen die Forscher den "vitalen Klassenprimus" ein. Diese Douglasie ist mit 34 Metern die höchste auf der Fläche. Auch ihr Umfang wächst stark. "Die große Einzelgängerin" heißt eine der wenigen Fichten auf der Fläche. "Der blaue Hamster" ist eine Douglasie mit blau gefärbten Nadeln. Sie sei nicht so stark gewachsen und habe sehr viel auf Reservestoffe gesetzt - also "gehamstert", witzelt Eric Thurm.
Bäume sind genauso individuell wie Menschen
Das Projekt befindet sich noch am Anfang. Eines können die Forscher aber schon feststellen: Die Bäume sind innerhalb einer Art sehr individuell. Das liegt auch an der unterschiedlichen genetischen Grundausstattung der Bäume. "Das ist nicht anders als bei uns Menschen. Wir haben den einen, der ist von der Natur aus ein bisschen fitter und der andere ist von Natur aus ein bisschen träger." Und so würden sich auch die Bäume unterscheiden, erkärt Thurm. Er sagt, dass er von dieser Individualität überrascht war. Ähnlich sieht es auch Anne Clasen: "Wenn man bedenkt, dass die meisten Nadelbäume hier gleich alt sind, sind sie doch sehr unterschiedlich in ihrem jetzigen Aussehen. Das finde ich grandios."