Nach Propaganda und Skandal: Kampf um öffentliche Medien in Stettin

Stand: 04.03.2024 11:17 Uhr

Radio Szczecin ist in der schwersten Krise seiner Geschichte. Verantwortlich dafür ist die abgewählte rechtskonservative Partei PiS. Sie trimmte den Sender auf Regierungskurs – mit einer tragischen Folge.

von Heiko Kreft

Ende Januar erschien auf der Website von Radio Szczecin eine Mitteilung des amtierenden Senderchefs. Es war eine Nachricht in eigener Sache. "Bei Radio Szczecin endet die einseitige Ausrichtung, die von den Hörern in den letzten Jahren wahrgenommen wurde und in krassem Widerspruch zu den Grundsätzen der journalistischen Objektivität und der Wahrung des politischen Pluralismus steht", schreibt Robert Murawski. Er ist der sogenannte "Liquidator" des öffentlichen Rundfunksenders und wurde von der neuen Regierung in Warschau eingesetzt. Die Aufgabe des Stettiner Rechtsanwaltes: Aufräumen mit den Hinterlassenschaften von acht Jahren Herrschaft der Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS).

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Jacek Kurski: "Bullterrier" als Fernsehchef

Klar benanntes Ziel der PiS war und ist es, den polnischen Staat und seine Institutionen in ihrem Sinne umzubauen. Dazu zählen auch die staatlichen Medien: Rundfunk und Fernsehen. In Polen hat die Politik einen direkteren Zugriff auf die Besetzung von Spitzenpositionen. Anders als in Deutschland, wo öffentlich-rechtliche Sender staatsfern organisiert sind. Die PiS nutzte die Macht konsequent. Kurz nach ihrem Wahlsieg 2015 besetzte sie die Senderführungen mit eigenen Gefolgsleuten. Chef des öffentlichen Fernsehens wurde beispielsweise Jacek Kurski. "Er wurde als Bullterrier der PiS bezeichnet. Wir alle wissen, was für Hunde das sind: Bullterrier", sagt Adam Zadworny. Der Journalist arbeitet für die Stettiner Lokalredaktion der liberalen Tageszeitung "Gazeta Wyborcza".

Polarisierte Filterblasen

Kurski und die anderen PiS-Führungskader verwandelten die staatlichen Medien zunehmend zum Regierungsfunk. Das geschah auch bei Radio Szczecin und dem ebenfalls staatlichen Regionalsender TVP 3 Szczecin. Die damalige Opposition kam bald kaum noch zu Wort. Wie überall in Polen polarisierte sich das Mediensystem - zwei sich gegenüber stehende Filterblasen entstanden. Die einen unterstützten die PiS, die anderen schrieben und sendeten gegen sie an. Ein Problem für objektiven Journalismus, findet auch Adam Zadworny, dessen Zeitung sich im Anti-PiS-Lager verortet: "Weil wir sahen, dass die Macht der PiS eine Bedrohung für Freiheit und Demokratie in Polen darstellt. Wir waren der Meinung, dass die Situation von uns verlangt, eine klare Position einzunehmen."

Gewissensfrage: Bleiben oder gehen?

Je stärker die Vereinnahmung der öffentlichen Medien durch die PiS wurde, desto mehr stellte sich den Mitarbeitern eine Gewissensfrage: Bleiben oder gehen? Agata Rokicka arbeitet seit rund 30 Jahren für Radio Szczecin: "Es gibt ein bekanntes Lied: 'Unser Ding machen'. Darin heißt es: 'Wir werden die Paranoia überleben, solange wir unser eigenes Ding machen'." Es wurde zu ihrer Strategie. Als Journalistin kümmert sie sich vor allem um Kultur- und Geschichtsthemen. Doch vor einem Jahr ging das nicht mehr. Die Chefredaktion des Senders verursachte einen Skandal, der in ganz Polen für Empörung sorgte.

PiS-Propaganda ignoriert Opferschutz

Radio Szczecin veröffentlichte einen Bericht, in dem es um einen Missbrauchsfall ging. Ein Mitarbeiter des Stettiner Marschallamtes hatte Jahre zuvor einen Minderjährigen missbraucht. Dafür war er - aus Gründen des Opferschutzes - in einem nicht öffentlichen Prozess zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Dass der PiS-gesteuerte Radiosender den alten Fall aufwärmte, hatte einen perfiden Grund: Die Mutter des Opfers ist die Sejm-Abgeordnete Magdalena Filiks. Sie und der Täter gehörten zur "Bürgerplattform" von Donald Tusk. Der Beitrag erweckte den falschen Eindruck, die damalige Oppositionspartei habe den Täter gedeckt. Zudem gab er deutliche Hinweise auf die Identität des Opfers. Durch Angabe persönlicher Details war sein Name mit wenigen Klicks im Internet recherchierbar.

15-jähriges Opfer nimmt sich das Leben

Adam Zadworny stand damals in direktem Kontakt mit der Mutter: "Sie war schockiert über das, was passierte. Sie sagte, ihr Sohn habe sich den ganzen Tag in einem Zimmer eingesperrt." Wenig später nimmt sich der Junge das Leben -er wird gerade mal 15 Jahre alt. "Du hast Blut an deinen Händen" schreiben daraufhin Unbekannte auf die Hauswand von Radio Szczecin. "Was damals passierte, geht als schwarzes Kapitel in die Geschichte des polnischen Journalismus ein", sagt Paulina Olechowska. Die Medienwissenschaftlerin arbeitet an der Universität Stettin und verfolgte die Politisierung der staatlichen Medien intensiv.

Unterschriften gegen den eigenen Chef

Für Agata Rokicka endet damals ihre Duldsamkeit. "Ich glaube, danach ist etwas in mir zerbrochen", sagt sie mit bewegter Stimme. Auch wenn sie persönlich mit der Sache nichts zu tun hatte - als bekannte Mitarbeiterin des Senders fühlte sie Verantwortung: "Ich gab meinen Namen für diese Niedertracht her. Und für den verrohten Umgang." Im Kollegenkreis sammelt sie Unterschriften gegen den von der PiS eingesetzten Chefredakteur Tomasz Duklanowski. Etwas mehr als die Hälfte der Mitarbeiter unterschreibt. Doch für Duklanowski hat der Bruch journalistischer Ethik und menschlichen Anstands keine Folgen. Nach dem Regierungswechsel in Warschau kündigte er seinen Job beim Sender und ging nach Afrika. Polnische Medien berichten, er baue dort im Auftrag der Katholischen Kirche ein Missionsheim auf.

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Aufbruch in die Zukunft

Radio Szczecin versucht unterdessen den Neuanfang. "Wir wollen zeigen, dass sich das Radio verändert, dass Journalisten verantwortlich sind", sagt Redakteurin Anna Kolmer. Auch sie arbeitet seit Jahrzehnten beim Sender. Es komme nun darauf an, wieder gutes Lokalradio zu machen - für die Hörer, nicht für die Politik. "Wir haben überlebt, und ich habe die Genugtuung, dass ich nicht von Bord des sinkenden Schiffs ging. Ich möchte, dass dieser Sender funktioniert." Verlorenes Vertrauen zurück gewinnen, darum geht es nicht nur für Radio Szczecin. Einer aktuellen Umfrage nach glauben 70 Prozent der Befragten, dass die öffentlichen Medien lügen, berichtet die Medienwissenschaftlerin Paulina Olechowska: "Es ist also die Frage, wie Pluralismus im polnischen Mediensystem wieder aufgebaut werden kann."

Eindrücke von vor Ort in Stettin

NDR Reporter Heiko Kreft beschäftigt sich schon länger mit den politischen Entwicklungen in Polen und der Lage der polnischen Medienlandschaft. Von seinen Recherchen vor Ort in Stettin und den Erlebnissen mit den Menschen, die er dort getroffen hat, erzählte er Annette Ewen ausführlich im Podcast Dorf Stadt Kreis #162 Pomerania - Kampf um öffentliche Medien in Stettin.

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